Kiew, 18. Februar 2016 – In Kiew eröffnet das internationale Kunstprojekt „Identität. Hinter dem Vorhang der Unbestimmtheit“, dessen Idee noch während des Maidans entstand.
„Zwei Jahre nach den Ereignissen auf dem Maidan ist es notwendig, die damaligen Ereignisse nicht nur im Kontext dessen zu sehen, was heute falsch läuft, sondern als Barrikade zwischen zwei Weltanschauungen oder zwei Zivilisationen“, sagte der Schauspieler Ewgenij Nischtschuk während einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center.
Auf der einen Seite der Barrikaden befanden sich Menschen ohne klar ausgeprägte Identität, die bereit waren, Befehlen zu gehorchen, ohne darüber nachzudenken, dass ihnen Menschen gegenüberstanden. Und auf der anderen Seite befanden sich jene, die sich ihren Zielen und Wünschen bewusst waren und diese verteidigen wollten. Dazwischen gab es einen Abgrund.
„Wir sollten jene, die wir „Himmlische Hundertschaft“ nennen, nicht als Opfer sehen, die ihr Leben für europäische allgemeinmenschliche Werte gaben, gerade hier in der Ukraine. Wir sollten sie auf einer Mission betrachten. Sie leisteten ihren Beitrag dazu, die Gesellschaft zu verändern“, sagte Ewgenij Nischtschuk. „Heute ist es wichtig, damit zu beginnen, über dieses Phänomen in der Sprache der Kunst zu sprechen.“
Während der Zeit der „Revolution der Würde“ befand sich das Nationale Kunstmuseum hinter den Linien der inneren Armee. Das Museum war von seinem Publikum und dem Volk abgeschnitten, erinnerte sich Maryna Skirda, stellvertretende Generaldirektorin des Nationalen Kunstmuseums für wissenschaftliche und aufklärende Arbeiten. Als die Reifen zu brennen begannen, kam die Frage über die Verantwortung für den Schutz des Museums auf. Da man nicht mit Hilfe durch die Behörden rechnete, entschied die Museumsleitung, dort zu übernachten.
„Diese eine Nacht dauerte im Museum eineinhalb Monate“, berichtete Maryna Skirda.
Heute können die Museumsmitarbeiter jene Ereignisse auch nicht einseitig betrachten.
Olena Gontscharuk, Spezialistin für Öffentlichkeitsarbeit, meinte, dass die Ehrung jener Ereignisse ein besonderes Feingefühl erfordert.
„Erst vor zwei Jahren erlebte unsere Gesellschaft ein gemeinsames Unglück. Und um vorwärts zu kommen, bedarf es eines positiven Sinns. Die Gesellschaft kann die Toten damit ehren, indem sie täglich an der enormen Aufgabe arbeitet und die Ideen vertritt, für die die „Himmlische Hundertschaft“ ihr Leben ließ. Wenn dies nicht passiert, wird sich das Land wahrscheinlich nicht verändern“, sagte Olena Gontscharuk.
Die Ereignisse des Winters 2013/14 werden in dem Projekt „Identität. Hinter dem Vorhang der Unbestimmtheit“ reflektiert, dessen Idee bereits während der Revolution entstand. Eingeleitet von den Botschaften aus Lettland, aus den nordeuropäischen Ländern und dem Baltikum, sollte es ein gemeinsames Projekt für moderne Kunst werden, worin Werke von Künstlern aus dem Baltikum, aus Skandinavien und der Ukraine aufgenommen worden wären.
„Das Projekt entwickelte sich und wandelte sich nun zu einer künstlerischen Präsentation der Geschichte mit einem gewissen sozialen unausgesprochenen Sinn, wobei das Thema nicht nur für die Ukraine sehr wichtig ist, die eine Identität sucht […], sondern es ist auch für die baltischen und skandinavischen Länder aktuell. Sie befinden sich an den nordöstlichen Grenzen von Europa, wodurch sie einerseits am Rand zwischen Russland und Europa liegen, und andererseits große innere Widersprüche aufweisen“, erklärte Olena Gontscharuk.
Die Veranstaltung findet im Rahmen des Projekts vom 18. März bis 21. Mai im Nationalen Kunstmuseum der Ukraine statt. Voraussichtlich wird es keine reine Ausstellung, sondern auch ein Raum für eine offene und freie Diskussion. Die geladenen Künstler werden in moderner Sprache über verschiedene Aspekte der Identität sprechen: über eine nationale, politische, territoriale und Genderidentität, sagte Julia Waganowa, stellvertretende Generaldirektorin des Nationalen Kunstmuseums für die Ausstellungsarbeit.
Das Projekt beinhaltet mehrere Diskussionen, Workshops und andere Aufklärungsveranstaltungen.
„Als die Leute auf die Barrikaden gingen, waren sie auf der Suche nach ihrem „ich“. Sie gingen nicht aus Spaß dorthin, sondern suchten ihre eigene Identität. Sie versuchten auf die Fragen „Wer sind wir?“, „Woher kommen wir?“ und „Wohin wollen wir?“ Antworten zu finden. Und vielleicht ist gerade das die bewegende Kraft und sind es diese Fragen, die wir als Museum stellen“, sagte Julia Waganowa.
Künstler sind „Pioniere“, Indikatoren und Instrumente, die dabei helfen, Antworten auf diese Fragen zu suchen. Nach Meinung der stellvertretenden Generaldirektorin des Nationalen Kunstmuseums ist es für die Menschen nicht nur wichtig, in den Museen Ausstellungen zu besuchen, sondern auch sich zu unterhalten, Fragen zu stellen und Antworten zu erhalten.
„Kunst hat eine außerordentliche Kraft, die Wunden und die Seele heilen kann. Und die Menschen, die nach Antworten suchen, zieht es in Museen“, fasste Julia Waganowa zusammen.