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Ein (un)möglicher Austausch. Drei Unterschiede zwischen dem Gerichtsprozess gegen Sawtschenko und dem gegen die russischen Offiziere der GRU-Spezialkräfte

Sept. 29, 2015 - Kiev, Ukraine - Sept. 29, 2015 - Kiev, Ukraine - Two alleged Russian soldiers Yevgeny Yerofeyev (L) and Alexander Alexandrov (R) during a trial in the Holosiivskyi District Court ,in Kiev, Ukraine, 29 September 2015. According to the Ukrainian army,Yerofeyev and Alexandrov, were captured not far of pro-Russian rebel controlled territory near the town of Schastye, Luhansk, area on 16 May 2015. Moscow has insisted that the prisoners were former soldiers who were in Ukraine of their own volition. Kiev has alleged that they are Russian troops sent to fight in the pro-Russian separatist rebellion that has gripped the country's two eastern-most regions for one and a half year. (Credit Image: В© Nazar Furyk/NurPhoto via ZUMA Press)

Am 18. April endete der Prozess gegen die russischen Militärangehörigen der GRU-Spezialkräfte, Aleksandr Aleksandrow und Jewgenij Jerofejew. Beide wurden jeweils zu 14 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Vor einem Monat, am 22. März 2016, hatte ein Gericht im südrussischen Donezk im Rostower Gebiet die Offizierin der ukrainischen Armee, Nadija Sawtschenko, zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt.

In letzter Zeit wird viel über einen möglichen Austausch von Sawtschenko gegen Aleksandrow und Jerofejew gesprochen. Sowohl in der Presse, als auch unter den Strafverteidigern hört man nicht selten die Ansicht, dass die Prozesse miteinander zusammenhängen, sich praktisch “spiegeln” würden. Russische Anwälte verteidigen die ukrainische Pilotin und Offizierin, während ukrainische Anwälte die beiden russischen Militärangehörigen in der Ukraine vor Gericht verteidigen. Die beiden Urteile machen alle Unterschiede zwischen der ukrainischen und der russischen Haltung im russisch-ukrainischen Krieg deutlich. Sie zeigen die wesentlichen Unterschiede in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und Verarbeitung der Ereignisse in den beiden Ländern.

Unterschiede bei Anklage und Urteil

Aleksandrow und Jerofejew wurden im Mai 2015 im Gebiet Luhansk im Zuge eines Kampfgefechts festgenommen.

Die staatliche Anklage in der Ukraine bat das Gericht, Aleksandrow und Jerofejew in den folgenden Anklagepunkten schuldig zu sprechen:

1) Führung eines aggressiven Angriffskrieges;

2) Unterstützung der Tätigkeit einer terroristischen Vereinigung;

3) Transport von Waffen und Munition über den nicht von der Ukraine kontrollierten Bereich der ukrainisch-russischen Grenze

4) Verübung eines terroristischen Anschlags, der zu schweren Folgen und dem Tod eines Menschen geführt hat.

Die Anklage konnte nicht beweisen, dass es Aleksandrow und Jerofejew waren, die den ukrainischen Soldaten Wadym Puhatschow töteten, obwohl absolut sicher ist, dass Wadym Puhatschow im Zuge dieser Operation (Anm.: des von Aleksandrow und Jerofejew angeführten Aufklärungstrupps der GRU-Spezialkräfte) zu Tode gekommen ist.

Nadija Sawtschenko wurde am 17. Juni auf dem Territorium der Ukraine in der Nähe des Orts Metalist (Vorort von Luhansk) im Gebiet Luhansk im Zuge eines Kampfgefechts gefangen genommen. Nadija Sawtschenko wurde des Mordes an den beiden russischen Journalisten, Igor Korneljuk und Anton Woloschin, sowie des illegalen Grenzübertritts beschuldigt. Von den Anschuldigungen erfuhr die Kampfpilotin erst am 30. Juni 2014, als sie sich bereits auf russischem Territorium in der südwestrussischen Stadt Woronesch befand, wohin sie illegal mit einem Sack über dem Kopf in Begleitung eines bewaffneten Konvois verschleppt wurde.

Die Position der Anklage und der Verteidigung war in den Fällen Sawtschenko und Aleksandrow-Jerofejew unterschiedlich. Im Falle der russischen Offiziere setzte die Verteidigung vor allem auf die Behauptung, dass beide bereits vor ihrer Ankunft auf dem vom ukrainischen Staat nicht kontrollierten Territorium aus der russischen Armee entlassen und vor ihrer Gefangenenahme Angehörige der Volksmiliz der sogenannten Volksrepublik Luhansk (LVR) gewesen seien. Dies stellte nicht in Frage, dass die beiden russischen Staatsbürger an militärischen Handlungen auf dem Gebiet des Nachbarlandes mit einer Waffe in den Händen teilgenommen haben. Die Verteidigung war bestrebt, die individuelle Schuld der Angeklagten nachzuweisen. Sie wollte beweisen, dass die beiden Männer aus “ideologischen Gründen” in die Ostukraine gegangen seien. So wollte die Verteidigung die Russische Föderation, den Staat, der die Männer dorthin geschickt hatte, von einer Verantwortung freimachen. Die Verteidigung wollte weniger Aleksandrow und Jerofejew, sondern vielmehr die Russische Föderation entlasten.

Sawtschenkos Verteidigung setzte vor allem auf eine andere Strategie. Die Anwälte betonten, dass ihre Mandantin keine Journalisten habe töten können, da sie zu diesem Zeitpunkt bereits seit Tagen in Geiselhaft gewesen sei. Als Beweis führte die Verteidigung Sawtschenkos Handydaten an, was das russische Gericht jedoch ablehnte. Somit wurde von der russischen Justiz erstmals die Ablehnung eines Alibis, basierend auf Handydaten mit Ortung und Anrufen, unverhohlen legalisiert.

Im Falle der russischen Offiziere der GRU-Spezialkräfte ging es der Verteidigung darum, zu beweisen, dass die Russische Föderation an den Handlungen der Offiziere keinen Anteil hatte. Und der  Verteidigung der ukrainischen Kampfpilotin ging es darum, Sawtschenkos Unschuld in Bezug auf den Tod der russischen Journalisten zu beweisen.

In beiden Fällen wurden die Angeklagten vom Gericht schuldig gesprochen.

Die Ironie liegt darin, dass gemäß dem sogenannten “Sawtschenko-Gesetz” – einem Gesetz, das Nadija Sawtschenko selbst initiierte, als sie bereits im russischen Untersuchungsgefängnis saß – ein Tag Untersuchungshaft als zwei Tage im Strafvollzug gewertet werden. Somit reduziert sich dank Sawtschenko die Haftdauer der Offiziere der russischen GRU-Spezialkräfte um zwei Jahre, da sie ein Jahr in Untersuchungshaft verbrachten, womit ihre noch zu verbüßende Haftstrafe noch 12 Jahre beträgt.

Reguläre Angehörige des russischen Militärs oder Freiwillige?

Die Causa Sawtschenko und der Fall der russischen Offiziere Aleksandrow und Jerofejew unterscheiden sich auch darin, wie sie von offizieller Seite präsentiert werden: als reguläre Militärangehörige oder als Freiwillige.

Die Ukraine erkennt Nadija Sawtschenko als reguläre Militärangehörige an, obwohl sie zum Zeitpunkt ihrer Geiselnahme nicht im Dienst der ukrainischen Streitkräfte stand. Sie war als Freiwillige im Bataillon “Aidar” an der Front, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht als 24. Sondersturmbrigade Teil der ukrainischen Armee war. Bevor sich Sawtschenko dem Freiwilligen-Bataillon anschloss, diente sie vier Jahre in der 16. Brigade der ukrainischen Luftstreitkräfte. Im März 2014 wurde Sawtschenko klar, dass sie als Pilotin in nächster Zeit nicht an die Front kommen wird. Sie beantragte daraufhin die Versetzung in eine Infanterie-Einheit. Doch die Entscheidung darüber wartete sie nicht ab.  Faktisch verstieß sie gegen das Verfahren, als sie sich dem Freiwilligen-Bataillon “Aidar” anschloss. Deswegen gilt Nadija Sawtschenko formal gemäß dem Armee-Statut als Deserteurin, als eine Militärangehörige, “die eigenmächtig ihren Dienstort verlassen hat”.

Der Gruppenführer (des Aufklärungstrupps) Jewgenij Jerofejew und der Feldwebel Aleksandr Aleksandrow sind russische Armeeangehörige, die in der 3. Gardebrigade der GRU-Spezialkräfte gedient haben, die in Toljatti stationiert ist und zur “Elite der russischen Aufklärung” gehört. Wie die beiden russischen Militärangehörigen selbst unmittelbar nach ihrer Gefangennahme bei einem Verhör zugaben, hatten sie auf Befehl ihres obersten Kommandos Aufklärungsaktivitäten betrieben. Sie beschrieben genau, wie sie als Angehörige eines Bataillons mit einer Stärke von 220 Mann auf das Territorium der Ukraine gelangten.

Als Anwälte zu ihnen kamen, änderten die Offiziere ihre Haltung. Die offiziellen Vertreter Russlands und die Anwälte Oksana Sokolowska und Jurij Hrabowskyj bestanden darauf, dass die beiden Russen erst nachdem sie aus dem Militärdienst ausgeschieden waren in den Donbass gelangt seien. Der offizielle Vertreter des russischen Verteidigungsministeriums, Generalmajor Igor Konaschenko, erklärte, dass Aleksandrow und Jerofejew zum Zeitpunkt ihrer Festnahme keine regulären Militärangehörigen mehr gewesen seien. Vorgelegt wurde eine Entlassungsurkunde des russischen Verteidigungsministeriums. Doch während der Debatten im Gericht erklärte am 15. April in Kiew der Militärstaatsanwalt Igor Nimtschenko, dass die vom russischen Verteidigungsministerium vorgelegten Entlassungsurkunden von den Angeklagten nicht unterschrieben seien. Das sei Beweis dafür, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Festnahme reguläre Armeeangehörige des Truppenteils Nr. 21208 mit Stützpunkt in Toljatti gewesen seien.

Die Haltung der Ukraine und Russlands unterscheidet sich darin, dass die Ukraine die Verantwortung für das Vorgehen Sawtschenkos, einer Freiwilligen des Bataillons “Aidar”, übernimmt, und die Russische Föderation ihre Verantwortung als Staat auf seine Militärangehörigen abschiebt, indem sie sich von ihnen lossagt.

Politische Unterstützung, Medienberichterstattung und internationale Solidarität

Der Fall Aleksandrow-Jerofejew zeigt, wie sich das russische Regime – und unter dem Druck des Regimes auch die russische Gesellschaft – gegenüber seinen Mitbürgern verhält, die sich auf fremdem Staatsgebiet in Gefangenschaft befinden. Unmittelbar nach deren Festnahme haben sich die Familienangehörigen der beiden Männer von ihnen losgesagt: Aleksandrows Ehefrau sagte, dass ihr Mann bereits im Dezember 2014 aus dem Armeedienst ausgeschieden sei und dass sie nicht wüsste, dass er sich im Ausland befände. Wenig später bestätigten dies auch Kameraden aus seiner Truppe. Die russischen Medien schenkten dem Gerichtsprozess wenig Beachtung und auf offizieller Ebene wurde der Prozess von Russland völlig ignoriert. Diplomatische Vertreter Russlands waren bei dem Prozess nicht anwesend.

Aleksandrow und Jerofejew, die erst zugegeben und später widerrufen haben, reguläre russische Militärangehörige zu sein, wurden zu Geiseln der Politik, die der russische Präsident Wladimir Putin im Donbass betreibt. Für Moskau existieren keine russischen Armeeangehörige in der Ostukraine. Kein einziges Land hat die Ukraine aufgefordert, die beiden russischen Militärangehörigen freizulassen, anders als im Fall der Pilotin Sawtschenko, für die sich die Weltgemeinschaft einsetzt.

Die Russische Föderation, die gerne mit dem Argument kommt, ihre russischen Landsleute im Ausland verteidigen zu müssen, hat es abgelehnt, für ihre eigenen Soldaten und Offiziere Verantwortung zu übernehmen.

Die Geschichte von Nadija Sawtschenko ist völlig anders. Als sie bereits im russischen Untersuchungsgefängnis saß, setze sie die Partei “Batkiwschtschyna” (Vaterland) von Julija Tymoschenko auf den ersten Platz ihrer Wahlliste.  Im Oktober 2014 wurde sie Abgeordnete des Parlaments (den Amtseid leistete sie per Videoaufnahme) und wenig später auch Abgeordnete der Parlamentarischen Versammlung des Europarats. Die ukrainische Gesellschaft und die Weltgemeinschaft haben ihre Bereitschaft gezeigt, sich für ein gemeinsames Ziel – die Freilassung von Sawtschenko – zusammenzuschließen. Unzählige Petitionen, offene Briefe und Pressekonferenzen für Sawtschenko sind Zeugnis einer Solidarität, die viele Ukrainer und viele andere Europäer Tag für Tag aufs Neue bekunden.

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Der Austausch, von dem in den Medien gesprochen wird, kann keinesfalls als gleichwertig betrachtet werden, denn es wäre einer gegen zwei.

Er kann auch deswegen nicht als gleichwertig angesehen werden, da es ein Austausch einer illegal vom Staatsgebiet der Ukraine nach Russland verschleppten Militärangehörigen und zweier Angehöriger der russischen Armee wäre, die bei einem Militäreinsatz auf fremdem Staatsgebiet, dem der Ukraine, gefangen genommen wurden.

Der Austausch kann nicht gleichwertig sein, denn Sawtschenko hätte bereits laut den Bestimmungen der Minsker Vereinbarungen vom 12. Februar 2015 freigelassen werden müssen.

Es läuft somit auf einen Austausch der zu Unrecht des Mordes beschuldigten Sawtschenko hinaus, die für die Tatzeit ein vom russischen Gericht ignoriertes Alibi besitzt (Handydaten des Mobilfunkanbieters), gegen zwei russische Staatsbürger, die zweifelsfrei als Militärangehörige der russischen Streitkräfte an Kampfhandlungen im Donbass teilgenommen haben. Der Streit, ob sie zum Zeitpunkt ihrer Gefangennahme noch offiziell im Dienst der russischen Armee standen oder bereits aus dem Dienst entlassen waren, löst vielleicht ein Problem der Russischen Föderation, ändert aber nichts an der Situation von Aleksandrow und Jerofejew.

Gleichzeitig ist ein Austausch von Sawtschenko gegen die russischen Militärangehörigen einer Eliteeinheit der GRU-Spezialkräfte trotzdem wünschenswert, auch wenn ihn Nadija Sawtschenko selbst ablehnt, denn es ist wohl die einzige realistische Möglichkeit, ihre Freilassung zu erwirken.