Wochenübersicht der ukrainischen Pressenachrichten vom 21. bis 27. Juni 2016

Die Situation in der Zone der Anti-Terror-Operation

In der vergangenen Woche blieb die Situation in der ATO-Zone angespannt. Der ATO-Generalstab vermerkte 317 Mal Beschuss seitens der besetzen Gebiete von Luhansk und Donezk. Durch die Kampfhandlungen starben in der Ostukraine 4 ukrainische Militärangehörige und 30 wurden verletzt.

Der Beschuss von ukrainischen Stellungen bei Donezk und in Richtung Mariupol hielt an. Laut Angaben des Stabs kamen dabei verschiedene Waffengattungen bei Marijinka, Nowotroizke, Hranite, Starohnatiwka, Taramtschuk, Wodjane, Talakiwka, Tschermalyk, Nowoseliwka Druha, Awdijiwka, Sajzewe, Nowgorodske, der Grube „Butowka“, Opytne, Popasna, Nowoaleksandriwka und Nowoswaniwka zum Einsatz (Bericht über die Situation in der ATO-Zone vom 26.06.2016 auf Englisch). Die Okkupationskräfte setzten weiterhin schwere Waffen ein, wie 82-Milimeter Granatwerfer und 122-Milimeter Artillerie (Meldung auf Englisch).

Der erste stellvertretende Vorsitzende der Sonderbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (SMM-OSZE) in der Ukraine, Alexander Hug, berichtete über einen Rückgang des Beschusses im Donbass in der vergangenen Woche. „Nach vier Wochen ständiger Verstöße gegen die Waffenruhe stellten unsere Beobachter in dieser Woche einen Rückgang (um 35 Prozent) aller Verstöße fest“, sagte er. Hug ergänzte, dass dieser Rückgang besonders in den „heißen Punkten“ im Bereich des Donezker Flughafens merklich war, sowie in Jasinowata, Awdijiwka und Debalzewe.

Politische Verhandlungen. Die Situation in einzelnen Bezirken in den Gebieten von Donezk und Luhansk verbessert sich nicht, weshalb die Verhandlungsparteien im Normandie- und Minsk-Format bewerten sollen, was und was nicht erreicht wurde. Darüber sprach die deutsche Politikerin Rebecca Harms und Vorsitzende der Grünenfraktion im Europaparlament in einem Interview von „Radio Swoboda“. „Im Donbass gibt es weiterhin enorme Kämpfe mit schwerer Technik. Wir waren oftmals Zeugen einer Eskalation, besonders im Mai. Dies ist sehr besorgniserregend. Die westlichen Partner im Minsk-Prozess sollen Russland und natürlich auch die Ukraine an den Verhandlungstisch zurückbringen. Die Berichte der OSZE-Beobachtermission zeigen, dass die Verstöße hauptsächlich durch Söldner auf Seiten der Separatisten stattfinden. Dies sollte eine der Fragen sein, die wir mit Moskau besprechen müssen“, sagte Rebecca Harms.

Wahlen im Donbass. Die ukrainischen Behörden müssten bis zum 14. Juli 2016 ein mit der “Donezker Volksrepublik” abgestimmtes Gesetz über Lokalwahlen im Donbass annehmen. Andernfalls werde der Zeitpunkt der Wahlen einseitig festgelegt, erklärte einer der Führer der sogenannten “Donezker Volksrepublik”, Oleksandr Sachartschenko. “Dieses Gesetz muss unbedingt mit den Vertretern des Donbass abgestimmt werden. Wenn ein solches Gesetz nicht angenommen wird, werden wir selbständig über die Lokalwahlen entscheiden”, sagte er.

Neue Geisel. Die Vertreter der illegalen bewaffneten Gruppierung “Luhansker Volksrepublik” haben erklärt, die ukrainische Journalistin Olha Bohdanowa aus der Stadt Iwano-Frankiwsk, die Korrespondentin von “Holos-Info” festgenommen zu haben. “Sie hat im Auftrag ukrainischer Geheimdienste politische und militärische Informationen auf dem Gebiet der Luhansker Volksrepublik gesammelt und weitergegeben. Dabei hat sie den persönlichen Kontakt zu einem Militärvertreter der Republik ausgenutzt”, heißt es seitens der sogenannten “Luhansker Volksrepublik”. Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) erklärte, die Journalistin arbeite nicht mit ihm zusammen. Der Vorwurf der Spionage zugunsten des SBU sei erfunden.

SBU. Der russische Offizier des gemeinsamen Zentrums zur Kontrolle und Koordination des Waffenstillstands, Wladimir Tscheban, ist aus der Ukraine ausgewiesen worden. Er darf fünf Jahre lang nicht in die Ukraine einreisen. Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) teilte mit, sein Verhalten stehe den Interessen der nationalen Sicherheit und den Minsker Vereinbarungen entgegen. Nach Angaben des SBU hatte Tscheban dem stellvertretenden Stabschef des ersten Armeekorps der sogenannten “Donezker Volksrepublik” mit dem Spitznamen “Jakub” die monatlichen Zeitpläne und Flugrouten von Drohnen der OSZE-Sonderbeobachtermission übermittelt. Basierend auf diesen Informationen hätten die Soldaten der hybriden Invasionskräfte ihre Stellungen sowie Standorte schwerer Waffen und Militärtechnik vor den internationalen Beobachtern verbergen können. Die russischen Vertreter im gemeinsamen Zentrum zur Kontrolle und Koordination des Waffenstillstands werfen der Ukraine vor, die Arbeit des Zentrums zum Scheitern bringen zu wollen.

Eine Patrouille der Sonderbeobachtungsmission (SMM) der OSZE geriet am 22. Juni im Donbass unter Mörserbeschuss, als sie Wodiane besuchte, das 94 Kilometer südlich von Donezk im von der Ukraine kontrollierten Gebiet liegt. Die Beobachter verständigten sofort ihre Kollegen in Kominternowe, das 23 Kilometer nordöstlich von Mariupol liegt und von der sogenannten „Donezker Volksrepublik“ kontrolliert wird. Diese Kollegen wurden von Armeeangehörigen der Russischen Föderation begleitet, die zum Gemeinsamen Kontroll- und Koordinationszentrum gehören und dort versuchen, dass die Waffenruhe eingehalten wird (Nachricht auf Englisch).

Militärübungen

Heute beginnen auf dem Truppenübungsplatz Jaworiw im Gebiet Lwiw die großangelegten ukrainisch-amerikanischen Militärübungen Rapid Trident-2016. Nach Angaben des ukrainischen Verteidigungsministeriums werden an den Übungen mehr als 1800 Soldaten aus 14 Ländern teilnehmen. Vor allem Militärs aus NATO-Staaten werden ihren ukrainischen Kollegen Erfahrungen vermitteln. Bei den Manövern werden gepanzerte Fahrzeuge und Militärflugzeuge eingesetzt.

Menschenrechte: Ukrainische politische Häftlinge in Russland

Der ukrainische Staatsbürger Oleksandr Koltschenko, der in einem Gefängnis der russischen Stadt Tscheljabinsk festgehalten wird, wird gezwungen, die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Das teilten Mitglieder der gesellschaftlichen Beobachterkommission mit. Der ukrainische Konsul wird nicht zu Koltschenko gelassen, mit der Begründung, der Gefangene sei inzwischen russischer Staatsbürger. Doch Koltschenko besitzt nur einen ukrainischen Pass.

Im Laufe der Woche werden in der russischen Stadt Rostow am Don vier Gerichtsverhandlungen im Rahmen der laufenden Prozesse gegen Muslime auf der Krim stattfinden. Ihnen wird vorgeworfen, Verbindungen zur Organisation “Hizb ut-Tahrir” zu unterhalten. Das erklärte der Anwalt Emil Kurbedinow. Vertreter von “Hizb ut-Tahrir” haben wiederholt erklärt, Ziel der internationalen islamischen politischen Organisation sei, alle muslimischen Länder in einem islamischen Kalifat zu vereinigen. Doch sie lehnen dabei Terror-Methoden ab. Sie beklagen, in Russland ungerechtfertigt verfolgt zu werden.

Das ukrainische Außenamt hat gegenüber Russland Protest geäußert, da ukrainischen konsularischen Vertretern verwehrt wird, in Russland gefangene ukrainische Staatsbürger, die von der Krim deportiert wurden, zu besuchen. Es handelt sich dabei um Ruslan Sejtulajew, Nuri Primow, Rustem Waitow und Ferat Sajfullajew, die, wie es in der Erklärung heißt, illegal auf der besetzten Krim festgenommen und zur Haft nach Russland gebracht worden seien. “Wir bewerten die vorsätzliche Behinderung, konsularischen Kontakt des ukrainischen Staates mit seinen Bürgern herzustellen, nicht nur als grobe Verletzung deren Rechte, sondern auch als Versuch Russlands, vor der Außenwelt zu verbergen, dass die gegen die Männer eingeleiteten Strafverfahren erfunden sind”, so das Außenministerium.

Der Journalist und freie Mitarbeiter von Radio Liberty, Mykola Semen, den der russische FSB des Extremismus beschuldigt, wird mittels strafrechtlicher Verfolgung auf der von Russland besetzten Krim unter Druck gesetzt, erklärte sein Anwalt Oleksandr Popkow. Er teilte ferner mit, die russischen Behörden würden gegen Aktivisten auf der Krim, denen Extremismus vorgeworfen werde, häufig Bewährungstrafen und Bußgelder verhängen. Auch werde ihnen oft verboten, nach Russland zu reisen. Mykola Semen befindet sich unter Hausarrest.

Wirtschaft

2015 wurden in ukrainische Unternehmen 132 Mio. US-Dollar investiert. Darüber berichtete die Ukrainian Venture Capital Association (UVCA). Dabei handelte es sich hauptsächlich um Privat- und Venture-Investitionen in IT-Unternehmen. Laut den Untersuchungsergebnissen wurden 2015 insgesamt 66 Geschäfte abgeschlossen, aber die Gesamtinvestitionssumme war um 257 Prozent höher als 2014. Demnach ziehen ukrainische IT-Unternehmen immer mehr ausländische Investoren an, die ihr Interesse nicht verlieren. Zirka die Hälfte der Geschäfte (48 Prozent) wurde unter Beteiligung internationaler Fonds abgeschossen. Dies zeugt davon, dass weltweites Interesse an der Ukraine besteht und ukrainische Projekte auf dem Weltmarkt anerkannt sind.

Die Gesamtausgaben für Lebensmittel und alkoholische Getränke, sowie für Wohnraum, Wasser, Strom, Gas und andere Treibstoffarten bildeten im ersten Quartal 2016 57,9 Prozent der Gesamtsumme an den Konsumausgaben von ukrainischen Haushalten, heißt es auf der Website des Staatlichen Statistikamts der Ukraine.

In der Ukraine werden von in- und ausländischen Investoren 34 Sonnenkraftwerke gebaut. Darüber berichtete Ostap Semerak vom ukrainischen Umweltministerium. 2015 wurden drei neue Großkraftwerke in Betrieb genommen. Nach seinen Angaben soll die Ukraine laut den Verpflichtungen gegenüber der EU bereits bis 2020 den Anteil erneuerbarer Energiequellen an der inländischen Energiebilanz auf 11 Prozent erhöhen.

Reformen

Makroökonomische Stabilisierung. Die Ukrainische Nationalbank (NBU) senkte den Leitzins zum zweiten Mal 2016. Seit dem 24. Juni beträgt dieser Wert 16,5 Prozent. Diese Entscheidung war von der NBU dadurch motiviert, weil die Inflationserwartungen und die stabile Situation auf dem Devisenmarkt ermutigend sind. Die offizielle Inflation betrug laut Ergebnissen vom Mai 7,5 Prozent; die Eingänge aus Devisenerlösen nahmen zu. Die NBU zeigt sich vorsichtig optimistisch und meint, dass die Verbraucherinflation bis Ende 2016 bei zirka 12 Prozent (+/- 3 Prozentpunkte) liegen kann, und bis Ende 2017 bei zirka 8 Prozent (+/- 2 Prozentpunkte).

Reform der Öffentlichen Beschaffung. Vom Ein- zum Verkauf: das elektronische System für öffentliche Beschaffungen „ProZorro“ erweiterte seinen Anwendungsbereich. In diesem Fall ist die Rede über die Nutzung des Systems beim Verkauf des Eigentums von Banken, die abgewickelt werden. Das Thema ist sehr aktuell, da das Bankensystem derzeit bereinigt wird, weshalb sich mehrere Bankinstitute im Liquidationsprozess befinden. Deshalb besteht die Frage zum Verkauf deren Eigentums, wobei es sich um über 440 Mrd. Hryvna handelt. Auf der anderen Seite wird diese Verkaufsprozedur wegen der Intransparenz kritisiert. Deshalb soll „ProZorro“ zum Einsatz kommen, das sich bereits bei den Staatlichen Beschaffungen bewährt hat, um die Probleme im Bankensystem zu lösen. Technisch werden dezentrale Auktionen organisiert. Diese nutzen die Plattform „ProZorro“, wobei dann die Höchstpreise genutzt werden. Das System ist zu 95 Prozent getestet und damit fast einsatzbereit. Die ersten Ergebnisse sollen sich bis zum Jahresende zeigen.

Rechtsschutzreform. Die Vorsitzende der Nationalen Polizei, Khatia Dekanoidze, bestätigte, dass es bisher nicht gelang, alle Korruptionskomponenten bei der Polizei zu beseitigen. Dies erklärt sie mit dem Motivationsniveau, sowie der Technik bei der Polizei (nicht alle verfügen über Uniformen und Fahrzeuge) und insgesamt mit dem Rechtsschutzsystem (derzeit wird faktisch nur die Polizei reformiert). Sie sagte auch, dass das Vertrauen in die Nationale Polizei bei 48 Prozent liegt (der vorhergehenden Miliz trauten früher 5-6 Prozent).

Nachfolgend eine Auswahl an englischsprachigen Interviews, Analysen und Videos zur Situation in der Ukraine

Video

“Pawlenskyj-Sawtschenko: Dialoge” – Ein Projekt mit den beiden bekanntesten ehemaligen politischen Häftlingen in Russland. Video von Hromadske-International

Reportage

Wie der Brexit die Visafreiheit zwischen der EU und der Ukraine beeinflussen wird. Reportage von Ukraine Today

Die EU verlängert die Sanktionen gegen Russland um weitere sechs Monate. Reportage von Ukraine Today

Aktivisten haben Beweise für eine russische Präsenz im Donbass veröffentlicht (Fotos und Videos). Reportage von Ukraine Today

Der Konflikt zwischen dem Zoll in Odessa und der Staatlichen Finanzverwaltung ist festgefahren. Reportage von KyivPost

Bellingcat veröffentlicht neue Fotos des russischen “Buk” am Tag des Abschusses der MH17. Reportage von UNIAN

Interviews

“Die Sanktionen gegen Russland sind ein Mittel, kein Ziel” – Interview von Ukraine Today mit der französischen Botschafterin in der Ukraine, Isabelle Dumont

Analyse

Wie sich der Brexit auf die Ukraine auswirken wird: Vier Dinge, die man wissen sollte. Analyse von Hromadske International

Im Jahr 2015 ist in ukrainische Start-ups die Rekordsumme von 132 Millionen US-Dollar an Investitionen geflossen. Analyse von KyivPost

Warum Investoren an das Potenzial der Ukraine glauben. Analyse von KyivPost

Wie das orthodoxe Konzil in Griechenland die Welt verändern kann. Analyse von Ukraine Today

Ohne Chance. Wie der russische Geheimdienst FSB Menschen in Gefangenschaft bricht