Wochenübersicht der ukrainischen Pressenachrichten vom 27. September bis 3. Oktober 2016

Die Situation im Kampfgebiet in der Ostukraine

Trotz der Vereinbarungen, denen zufolge beide Seiten ihre Militärtechnik und Truppen in der Ostukraine entflechten sollen, haben Beobachter weitere Verstöße gegen die “Waffenruhe” festgestellt. Insgesamt wurden die ukrainischen Checkpoints zwischen dem 26. September und 2. Oktober 262 Mal beschossen. In der vergangenen Woche wurden zwei ukrainische Soldaten getötet und zwölf weitere verletzt.

Verstöße gegen die Waffenruhe. Nach Angaben des Stabs der Anti-Terror-Operation wurden im Frontabschnitt Luhansk Granatwerfer, Fliegerabwehrlafetten und Schützenwaffen bei Stanyzja Luhanska, Krymske, Nowooleksandriwka und Nowozwaniwka eingesetzt. Bei Krymske und Nowooleksandriwka wurden ebenfalls Granatwerfer mit einem Kaliber von 120 und 82 Millimetern eingesetzt. Im Frontabschnitt Mariupol wurden die ukrainischen Checkpoints bei Pawlopil, Wodjane und Schyrokyne beschossen. Im Frontabschnitt Donezk wurden die ukrainischen Streitkräfte bei Awdijiwa, Nowhorodske, Werchniotorezke, Kamjanka und Saizewe (ebenfalls mit Artillerie mit einem Kaliber von 152 Millimetern) unter Beschuss genommen.

Entflechtung der Truppen – Probleme: Eine Zunahme des Beschusses im Kampfgebiet kann die Entflechtung der Truppen beidseits der Kontaktlinie verzögern. Das teilte der Leiter der ukrainischen Seite des Gemeinsamen Zentrums zur Koordinierung und Kontrolle der Waffenruhe (JCKK) in der Ostukraine, Borys Kremezkyj, mit. Er betonte, dass eine Entflechtung bei Stanyzja Luhanska wegen des Beschusses seitens der prorussischen Militärverbände zurzeit nicht möglich sei. Die Beobachter des JCKK dokumentierten die Folgen des Beschusses. Beweise werden der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) vorgelegt. Bei Petrowske können die Truppen nicht entflochten werden, solange die prorussischen Militärverbände die Gebiete nicht entminen und nicht gewährleisten, dass sich die OSZE-Beobachter frei bewegen können. Die ukrainischen Streitkräfte haben damit begonnen, an allen drei Abschnitten Beobachtungsposten für die OSZE und JCKK-Offiziere zu errichten. Ferner entminen sie die Gebiete.

Am 2. Oktober teilten die Vertreter der selbsternannten “Donezker Volksrepublik” mit, dass sie ihre Truppen von Petrowske aus nicht zurückziehen werden, weil die ukrainische Seite dafür nicht bereit sei.

Entflechtung der Truppen – Fortschritte: Nach Angaben der ATO-Pressestelle wurden die Truppen bei der Ortschaft Solote auf die von OSZE-Vertretern vorgesehene Entfernung zurückgezogen. Die Entflechtung wurde laut der Minsker Rahmenvereinbarung vom 21. September 2016 umgesetzt.

“Vorwahlen im Donbass”. Im Gebiet der selbsternannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” finden “Vorwahlen” statt. Der Anführer der selsternannten “Donezker Volksrepublik”, Olexander Sachartschenko, betonte, dass im Donbass laut Minsker Vereinbarungen Wahlen durchgeführt werden sollen, aber ohne Beteiligung ukrainischer Parteien.

Sexuelle Gewalt im Donbass. Ukrainische Parlamentsabgeordnete haben sich an die Vereinten Nationen mit der Aufforderung gewandt, sich dem Problem der sexuellen Gewalt im Osten der Ukraine zuzuwenden. In einer Erklärung weisen sie darauf hin, dass es dort Einrichtungen gibt, in denen Minderjährige zu sexuellen Diensten gezwungen werden; dass dort grenzüberschreitender Menschenhandel, darunter mit Frauen und Kindern, betrieben wird; ausländische Staatsbürger Kinderpornos produziert haben, um sie im Ausland zu verbreiten, aber auch wo Minderjährige für den Einsatz in Kampfhandlungen rekrutiert und ausgebildet werden. Die Abgeordneten berufen sich dabei auf Informationen, die von der sogenannten internationalen Brigade “Pjatnaschka” der sogenannten “Donezker Volksrepublik” veröffentlicht wurden. Darüber hinaus fordern die Abgeordneten den UN-Sonderbeauftragten des Generalsekretärs für Kinder und bewaffnete Konflikte dazu auf, Informationen über den Einsatz Minderjähriger zu Kampfzwecken auf der Seite der sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” zu untersuchen und zu dieser Frage Stellung zu nehmen.

Menschenrechte: Ukrainischer Journalist in Russland festgenommen

Am 29. September ist in Moskau der ukrainische Journalist und Mitarbeiter der ukrainischen staatlichen Nachrichtenagentur “Ukrinform”, Roman Suschtschenko, festgenommen worden. Das Moskauer Lefortowo-Gericht wirft ihm Spionage vor. Er sei in Wirklichkeit Mitarbeiter der Hauptabteilung für Aufklärung des ukrainischen Verteidigungsministeriums und habe gezielt geheime Informationen über die russischen Streitkräfte und die Nationalgarde der Russischen Föderation gesammelt. Ein Durchsickern dieser Informationen ins Ausland könnte der Verteidigungsfähigkeit Russlands schaden, so das russische Gericht.

Suschtschenko selbst hat inzwischen gegenüber russischen Menschenrechtsverteidigern erklärt, dass er von Mitarbeitern des russischen Geheimdienstes FSB psychisch unter Druck gesetzt werde. Sein Rechtsanwalt Mark Feigin erklärte am Ort des Gefängnisses, in dem der ukrainische Journalist einsitzt, er hoffe, dass der FSB ein Treffen mit Suschtschenko erlauben werde.

Iryna Heraschtschenko, Erste stellvertretende Parlamentsvorsitzende und Vertreterin der humanitären Gruppe in Minsk, sagte, die Ukraine verlange die sofortige Freilassung von Roman Suschtschenko. Ihr zufolge sollte die OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, Dunja Mijatovic, der Generalsekretär des Europarates, Thorbjörn Jagland, sowie andere Institutionen gegen die Festnahme Suschtschenkos protestieren. Heraschtschenko betonte, der Vorwurf der Spionage gegen Suschtschenko sei erfunden.

Der Rat der Europäischen Allianz der Nachrichtenagenturen (European Alliance of News Agencies – EANA) trat mit der Forderung an die russischen Behörden, Beweise für die Schuld des in Moskau verhafteten Journalisten Roman Suschtschenko vorzulegen. Sollte dies nicht geschehen, sei er unverzüglich freizulassen. Sein Anwalt, Mark Fejgin, teilte mit, dass es ihm heute gelang, Beschwerde gegen die Inhaftierung seines Mandanten einzureichen.

Verbot des Medschlis der Krimtataren

Am 26. April 2016 wurde von dem sogenannten “Obersten Gericht der Krim”, das sich unter der Kontrolle der Russischen Föderation befindet, der Medschlis der Krimtataren zu einer extremistischen Organisation erklärt und verboten. Am 29. September hat das Oberste Gericht der Russischen Föderation das Verbot des Medschlis auf der vorübergehend besetzten Krim bestätigt. Der Leitende Staatsanwalt der Krim, Wladimir Tschuchrin, bestand auf der Behauptung, dass “die Aktivitäten des Medschlis eine Gefahr für die Sicherheit des Staates und der Gesellschaft darstellen”.

Die Verteidigung des Medschlis will sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden. Anwalt Kirill Korotjejew betonte, das Oberste Gericht Russlands habe mit seiner Entscheidung vom 29. September die indigene Bevölkerung der Krim, die Krimtataren, des Rechts auf eine politische Organisation beraubt. “Dieses Recht garantiert ihnen das Völkerrecht. Ab jetzt wird es strafrechtliche Verfolgungen geben. Die Staatsanwaltschaft hat damit bereits begonnen”, so der Anwalt.

Der Leiter der EU-Delegation in der Ukraine, Hughes Mingarelli, fordert die Russische Föderation dazu auf, die Rechte der Krimtataren in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht zu gewährleisten. Die Entscheidung der russischen Justiz verschärfe die Lage der Menschenrechte auf der von Russland im Jahr 2014 annektierten ukrainischen Halbinsel Krim, so der Diplomat.

In Kiew fand eine Protestaktion unter dem Motto “Verbot des Medschlis = Verbot des Volkes” statt. (Fotos).

Korruptionsbekämpfung: Erneute Versuche, das Vermögen von Beamten zu verbergen

Unmittelbar nach der Zuteilung einer Tranche des IWF an die Ukraine, nachdem das Land seine Verpflichtungen im Bereich der Anti-Korruptions-Gesetzgebung erfüllt hatte, wurden mehrere Gesetzentwürfe im Parlament registriert, um die Errungenschaften bei der Korruptionsbekämpfung wieder zu nivellieren.

Aus diesem Grunde führten am 3. Oktober Aktivisten des “Zentrums für Korruptionsbekämpfung” der ukrainischen Nichtregierungsorganisation “Reanimation Package of Reforms”, der NGOs “Gesellschaftliches Lustrations-Komitee”, “Automaidan”, “Transparancy International Ukraine” sowie von “Center UA” vor dem Parlament eine Mahnwache durch mit der Forderung, die Korruptionsbekämpfung im Lande nicht zu sabotieren.

Die Demonstranten forderten, den Gesetzentwurf von Ihor Hryniw, dem Vorsitzenden der Fraktion “Block Petro Poroschenko”, nicht zuzulassen. Dieser sieht vor, dass keine Informationen über das Vermögen von Staatsbediensteten und Geschenke an sie veröffentlicht werden sollen. Der entsprechende Gesetzentwurf wurde am 29. September im Parlament registriert. Hryniw allerdings meint, sein Gesetzentwurf würde gerade den Zugang zu Informationen über das Vermögen der Staatsbediensteten regeln. Darüber hinaus sagte Hryniw, mit seinem Gesetzentwurf schlage er vor, die strafrechtliche Verfolgung für falsche Angaben bei der Vermögenserklärung von Staatsdienern wieder abzuschaffen. Anastasia Krasnosilska, Expertin des “Zentrums für Korruptionsbekämpfung” ist hingegen überzeugt, dass mit dem Gesetzentwurf in Wirklichkeit das Vermögen von Staatsdienern nicht offenbart werden soll.

Andere Gesetzentwürfe von Abgeordneten des Blocks Petro Poroschenko sehen vor, dass  dem Nationalen Anti-Korruptions-Büro (NABU) Befugnisse wieder entzogen werden sollen. Ferner soll der Generalstaatsanwalt des Landes allein darüber bestimmen können, welche Fälle das NABU untersucht und welche nicht. Nach Ansicht von Vertretern der Zivilgesellschaft würde dieser Gesetzentwurf die Bekämpfung von Korruption auf höchster Ebene zu einem Instrument für politische Abrechnung in den Händen einer Person werden lassen.

Nach 18 Uhr wurde bekannt, dass der Vorsitzende der Fraktion „Partei Block Petro Poroschenko“, Ihor Hryniw, den Gesetzentwurf „Über die Verhinderung von Korruption“ zurücknahm. Hryniw sagte, dass er schwierige Gespräche mit dem Präsidenten hatte, deren Inhalt die öffentlichen Proteste waren, weshalb er den Gesetzentwurf zurückzog.

Wirtschaft

Die Zuteilung der dritten Tranche der makrofinanziellen Hilfe von der Europäischen Union ist auf das nächste Jahr verschoben worden. Das teilte der stellvertretende Finanzminister der Ukraine, Jurij Buza, mit. Im Jahr 2016 rechnet die Ukraine noch mit der zweiten Tranche der makrofinanziellen Hilfe der EU in Höhe von 600 Millionen Euro. Das gab Finanzminister Oleksandr Danyljuk bekannt. Dem Minister zufolge hat die Ukraine immer noch nicht alle Bedingungen für den Erhalt von EU-Mitteln erfüllt. So habe sie unter anderem noch kein Gesetz über ein Moratorium für den Export von Rundholz angenommen.

Die Europäische Kommission hat den Vorschlag ukrainischer Hersteller angenommen und sich bereit erklärt, die Quoten für den Export bestimmter ukrainischer Waren und Produkte auf den europäischen Markt zu erhöhen. Dies teilte in ihrem Blog die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström mit. Dabei gehe es um Getreide, verarbeitete Tomaten, Honig, Düngemittel, Schuhe, Elektrogeräte und einige Arten von Stahlerzeugnissen. “Wir werden die Quoten in dem Rahmen erhöhen, den das Assoziierungsabkommen erlaubt”, so Malmström.

Die Verluste der ukrainischen Banken, ohne die insolventen Finanzinstitute, belaufen sich im Zeitraum Januar bis August 2016 auf 6,596 Milliarden Hrywnja, was 6,8 Mal weniger ist als noch im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Dieses Ergebnis wird auf der Webseite der Nationalbank der Ukraine mitgeteilt. Die Verluste gingen aufgrund der Verringerung der Reservebildung bei Banken für aktive Operationen um 62 Prozent, bzw. um 50 Milliarden Hrywnja zurück.

Nachfolgend eine Auswahl an englischsprachigen Interviews, Analysen und Videos zur Situation in der Ukraine

Reportagen

MH17-Tragödie – Wie alles begann. Sonderreportage von Ukraine Today.

Das ukrainische Parlament hat 29 korrupte Richter entlassen. Reportage von KyivPost.

Die Ukraine gedenkt dem 75. Jahrestag der Tragödie von Babyn Jar. Reportage von Ukraine Today.

Russland wirft der Ukraine vor, Beweise im Fall MH17 gefälscht zu haben. Reportage von Ukraine Today.

Die Ratten verlassen das sinkende Schiff: Die ukrainische Polizei nimmt 220 ehemalige Rebellen auf ukrainisch kontrolliertem Gebiet fest. Reportage von Ukraine Today.

Ein russisches Gericht lehnt die Berufung gegen das Verbot des Medschlis der Krimtataren ab. Reportage von KyivPost.

In Donezk wurde die Zwangsmobilmachung und die freiwillige Mobilmachung verstärkt. Reportage von Ukraine Today.

Der ehemalige “Ministerpräsident” der selbsternannten “Luhansker Volksrepublik” hat vermutlich Selbstmord begangen. Reportage von Ukraine Today.

Interviews

Ukrainische Familien haben während den Erschießungen bei Babyn Jar Juden versteckt. Interview von Hromadske International mit der kanadischen Regisseurin Iryna Korpan.

Babyn Jar: gemeinsames Land, gemeinsames Leid. Interview von Hromadske International mit Katja Petrowska, einer deutschen Schriftstellerin ukrainischer Abstammung, der Autorin des Buches “Vielleicht Esther”.

Es war unmöglich, sich selbst zu retten, wenn niemand einen retten wollte. Interview von Hromadske International mit Olexandr Skljanskyj, ein Zeuge der Tragödie von Babyn Jar.

Meinung

Europäische Grundsätze versus russisches Vorgehen. Kolumne des Politologen Olexandr Chara bei Ukraine Today.

Putins Regime trägt alle Merkmale des Faschismus. Der Politikexperte Oleg Belokolos für Ukraine Today.

Analyse

Vollständiger Bericht über den Abschuss des Flugs MH17. Analyse von Ukraine Today.

Business Digest der Woche von KyivPost