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Ein russischer Teilnehmer des Euromaidan wird in einer russischen Strafkolonie gefoltert

Vor drei Jahren kam der russische Oppositionelle Ildar Dadin in die Ukraine, um die „Revolution der Würde“ mit eigenen Augen zu sehen und sie mit den Aussagen des russischen Fernsehen zu vergleichen, wo von Faschisten in Kiew die Rede war. Dadin war an den heißesten Tagen, von Januar bis März 2014, auf dem Maidan, wo er der „Berkut“ [ehemalige Polizeisondereinheit der Ukraine] gegenüberstand und auf sich aufmerksam machte, um das Feuer auf sich zu lenken. Er rettete Verletzte vor den Schüssen.

Nachdem die Ukrainer Janukowitsch verjagtet hatten, ging Dadin zurück nach Russland, wo er seine Protestaktionen fortsetzte. Er trat unter anderem für die territoriale Integrität der Ukraine ein, sowie für die Verteidigung von ukrainischen Gefangenen des Kreml. Und da die Moskauer Behörden Bescheid wussten, dass sich Dadin an den Ereignissen auf dem Maidan beteiligte, geriet er in deren Visier und wurde als erster Russe zu einer realen Freiheitsstrafe für seine Proteste und andere gewaltlose Aktionen verurteilt: am 7. Dezember 2015 bekam er drei Jahren Strafkolonie.

Der politische Gefangene Ildar Dadin wird seit seiner Ankunft im Straflager Nr. 7 systematisch gefoltert und mit dem Tod bedroht. Am 31.10. gelang es ihm, über seinen Anwalt mitzuteilen, was ihm dort widerfährt.

UCMC veröffentlicht den Brief an seine Ehefrau, der von DRA (Deutsch-Russischer Austausch) übersetzt wurde.

„Meduza“ veröffentlichte den Brief von Ildar Dadin an seine Frau Anastasija Sotowa, in dem er über die von der Leitung organisierten Folterungen im Straflager Nr. 7 in Segescha (Russland) berichtet. Der Förderale Strafvollzugsdienst bestätigt die Anwendung von Gewalt gegen den Gefangenen. Dadin ist der erste Verurteilte nach dem Paragraphen „Mehrfacher Verstoß gegen die vorgegebene Regelung für die Organisation oder Durchführung einer Versammlung/Meeting“ (212.1 StGB RF). Er wurde zur Verantwortung für mehrfache Verhaftungen bei Einzelkundgebungen strafrechtlich gezogen.
Dieser Brief wurde am 31. Oktober 2016 von dem Rechtsanwalt Alexeji Lipzer nach Dadins mündlichen Angaben veröffentlicht.

„Von 10 bis 12 Personen prügelten mich“
“Nastja! Wenn du dich dazu entscheidest, die Informationen über das, was mit mir geschieht, zu veröffentlichen, dann versuche sie so weit wie möglich zu verbreiten. Das erhöht die Chancen, dass ich am Leben bleibe. Du musst wissen, dass im Straflager Nr. 7 eine ganze Mafia herrscht, an der die gesamte Verwaltung dieser Einrichtung beteiligt ist: der Leiter des Straflagers, Kossiev Sergeji Leonidovitch, Major des Innendienstes und die absolute Mehrheit der Angestellten des Straflagers, die Ärzte inbegriffen.

Seit meiner Ankunft in der Strafkolonie am 10. September 2016 wurden mir fast alle Sachen abgenommen und man steckte mir heimlich zwei Rasierklingen zu, die danach bei einer Durchsuchung „gefunden“ wurden. Hier ist das eine alltägliche Praxis, die angewandt wird, um neuankommende Inhaftierte unbedingt in die Isolierzelle einzusperren. Sie sollen gleich verstehen, in welche Hölle sie hier geraten sind. Ich wurde in die Isolierzelle ohne jegliche Rechtsakte geschickt, dabei wurden mir alle Sachen einschließlich Seife, Zahnbürste, Zahnpasta und sogar das Toilettenpapier abgenommen. Als Antwort auf diese rechtswidrigen Handlungen habe ich einen Hungerstreik erklärt.
Am 11. September 2016 kam der Leiter der Strafkolonie Kossiev mit drei Mitarbeitern zu mir. Sie fingen an mich zu schlagen. Insgesamt haben sie mich an diesem Tag vier Mal zusammengeschlagen; 10 bis 12 Menschen gleichzeitig; sie traten mit den Beinen. Nach dem dritten Mal haben sie meinen Kopf in die Toilette eingetaucht, direkt in der Isolierzelle.
Am 12. September 2016 kamen Mitarbeiter, banden mir die Hände hinter dem Rücken zusammen und hängten mich an den Handschellen auf. Dieses Aufhängen bereitet unglaubliche Schmerzen in den Handgelenken, außerdem werden die Ellenbogengelenke ausgerenkt und man fühlt einen furchtbaren Schmerz im Rücken. So hing ich eine halbe Stunde. Danach wurde mir die Unterhose ausgezogen und man sagte mir, dass ein anderer Inhaftierter hereingeführt werde um mich zu vergewaltigen, wenn ich den Hungerstreik nicht beende. Danach wurde ich ins Büro von Kossiev geführt, wo er in Anwesenheit anderer Mitarbeiter Folgende: „Du wurdest noch wenig geschlagen. Wenn ich es den Mitarbeitern befehle, dann wirst du noch viel stärker geschlagen. Wenn du versuchst, dich zu beschweren, dann wird man dich umbringen und hinter dem Zaun vergraben.“ Danach wurde ich regelmäßig zusammengeschlagen, ein paar Mal am Tag. Immerwährende Prügelattacken, Verhöhnung, Erniedrigung, Beleidigungen und unerträgliche Haftbedingungen – all das passiert auch mit den anderen Inhaftierten.

Alle weiteren Tadel und Unterbringungen in die Isolierzelle wurden fabriziert und beruhten auf einer offensichtlichen Lüge. Alle Videoaufnahmen, auf denen mir Tadel ausgesprochen wurden, waren inszeniert: bevor die Aufnahmen gemacht wurden, hat man mir gesagt, wie ich mich verhalten und was ich machen soll: nicht diskutieren, nicht widersprechen, auf den Boden schauen. Andernfalls, so sagten sie, brächten sie mich um und niemand erführe davon, weil ja sogar niemand weiß, wo ich mich befinde. Ich kann keine Briefe versenden, ohne die Kontrolle der Gefängnisverwaltung. Die Gefängnisverwaltung hat mir versprochen, dass sie mich im Falle einer Beschwerde meinerseits umbringen. Nastja, in meinem ersten Brief aus dem Straflager Nr. 7 habe ich dir über den Europäischen Gerichthof für Menschenrechte geschrieben, um die Zensur zu umgehen und wenigstens eine kleine Andeutung zu machen, dass nicht alles in Ordnung ist bei mir und ich Hilfe brauche (Ich habe keinen einzigen Brief von Ildar aus dem Straflager bekommen – Anmerkung Anastasija Sotowa, Dadins Ehefrau).

Ich bitte dich, diesen Brief zu veröffentlichen, da in dieser Strafkolonie eine richtige Informationsblockade herrscht. Ich sehe keine anderen Möglichkeiten, diese zu brechen. Ich bitte nicht darum, mich hier rauszuholen oder in ein anderes Gefängnis zu verlegen: ich habe mehrmals gesehen und gehört, wie andere Gefangene zusammengeschlagen werden. Deswegen erlaubt mein Gewissen es mir nicht, von hier zu fliehen. Ich habe vor zu kämpfen, um den Anderen zu helfen. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe vor allem Angst, dass ich die Folterungen nicht mehr aushalten kann und aufgebe.

Wenn das „Komitee gegen Folterungen“ noch nicht zerschlagen wurde, bitte ich sie um ihre Hilfe bei der Gewährleistung des Rechts auf Leben und Sicherheit für mich und die anderen Gefangenen. Ich bitte um die Verbreitung der Information, dass Major Kossiev direkt mit Mord für den Versuch einer Beschwerde über die Folterungen. Ich wäre glücklich, wenn du einen Anwalt findest, der ständig in Segescha [Ort der Strafkolonie] anwesend ist und juristisch helfen kann.

Die Zeit spielt gegen mich. Die Videoaufnahmen der Videoüberwachung würden sowohl die Folter als auch die Schläge beweisen. Aber die Chancen werden immer geringer, dass es die Videoaufnahmen noch gibt. Wenn man mich weiter Folter, Schlägen und Vergewaltigungen unterzieht, halte ich wahrscheinlich nicht länger als eine Woche aus. Für den Falle meines plötzlichen baldigen Todes kann ich dir sagen, dass der Grund für meinen Tod ein Selbstmord, ein Unfall, ein Schuss bei einem Fluchtversuch oder eine Prügelei mit einem Gefangen sein wird. Aber du sollst wissen – das wird eine Lüge sein, das ein von der Verwaltung geplanter Mord, mit dem Ziel einen Zeugen und ein Folteropfer aus der Welt zu schaffen.

Ich liebe dich und ich hoffe, dich irgendwann wiederzusehen.
Dein Ildar ”

Der Brief wurde von Philine Bickhardt und Artem Orlov für den DRA übersetzt