Der dritte Jahrestag zum Beginn der „Revolution der Würde“ endete in Kiew dadurch, dass Demonstranten die Scheiben einer Filiale der russischen „Sberbank“ einschlugen und das Büro des pro-russischen Politikers Viktor Medwedtschuk angegriffen. Das Video über die Zerstörung des Büros und der Brandstiftung, was mehrere junge Leute verübten, kam breit in den Medien. Allerdings besteht dabei die Frage, ob dies den Einfluss äußerst rechter Kräfte in der Ukraine zeigt und ob es in der Ukraine wirklich diesen Radikalismus gibt.
Das Ukraine Crisis Media Center veröffentlicht eine gekürzte Version des Artikels von Radio Swoboda.
Immer wieder berichten internationale Medien über einen vermeintlich großen Einfluss äußerst rechter Kräfte in der Ukraine. Nun bekam die Welt die Zerstörung einer Filiale der russischen „Sberbank“ und des Büros des pro-russischen Politikers Viktor Medwedtschuk im Zentrum von Kiew zu sehen. Die Organisation „Ukrainskij Wybir“ [„Ukrainische Wahl“] teilte gegenüber „Radio Swoboda“ mit, dass das Büro von Medwedtschuk am 21. November nicht durch eine Gruppe von Leuten beschädigt wurde. Laut Angaben des Pressesprechers von „Ukrainskij Wybir“, Oleg Babanin, konnten die Gewalttäter nicht in das Büro eindringen, weshalb sie nur die äußere Elektronik am Gebäude und den danebenliegenden Schönheitssalon beschädigten.
Folglich kann der Eindruck entstehen, dass äußerst rechte Kräfte in der Ukraine sehr einflussreich seien. Nach Angaben des Politologen Ewgenij Magda gibt es in der Ukraine keine politische Übermacht von radikalen Kräften.
Nach seiner Meinung versuchen gewisse europäische Politiker, die Tendenzen in ihren eigenen Ländern auf die Ukraine zu übertragen. Aber dafür gibt es keine Bestätigung. Insgesamt sind die äußerst rechten Kräfte in der Ukraine nicht sehr stark. Nach soziologischen Untersuchungen schwankt die Unterstützung solcher Gruppen in der Bevölkerung um ein Prozent. Will man etwas über die Veränderung ihres Einflusses sagen, müsste man gesamtukrainische Wahlen beobachten, die aber in nächster Zeit nicht zu erwarten sind.
Der israelische Experte Wjatscheslaw Lichatschow, der radikale politische Bewegungen in der Ukraine, in Russland und anderen postsowjetischen Ländern beobachtet, meint ebenfalls, dass die äußerst rechten Kräfte in der Ukraine derzeit keinen großen Einfluss haben und in der Bevölkerung auch nicht populär sind. Dies führt er auf Umfragen zurück.
Dabei müssen die Ultrarechten allerdings unterschieden werden, einmal als eigenständige politische Kraft und ultrarechte Ansichten, sowie als Personen, die ultrarechte Organisationen verließen und heute mehr oder weniger wichtige Positionen in der Ukraine einnehmen. Gleichzeitig verfügt die Partei „Swoboda“ und andere äußerst rechte Kräfte über bedeutend weniger Sitze im Parlament als in der Zeit vor 2014.
Alina Poljakowa, amerikanische Analystin beim „Atlantic Council“ in Washington, merkte an, dass die Frage zur „Übermacht von Radikalen und Extremisten in der Ukraine“ von der russischen Propaganda künstlich aufgezwungen wird, um damit zu versuchen, die ukrainische Revolution als „faschistischen Putsch“ oder etwas in dieser Art darzustellen. Nach ihrer Meinung sollten sich europäische Politiker besser informieren, was in der Ukraine passiert und nicht der russischen Propaganda erliegen.
Auf der anderen Seite gibt es in den Medien immer wieder Berichte, wie der Kreml äußerst rechte Kräfte in EU-Mitgliedsstaaten unterstützt. Umgekehrt heißt es von der gleichen Propaganda, in der Ukraine würden die „Nationalisten“ von der Bevölkerung unterstützt. Faktisch handelt es sich dabei um eine widersprüchliche Argumentation des Kremls.
UN-Resolution
Anfang des Monats beschloss das Dritte Komitee der UN-Generalversammlung die Resolution „Kampf gegen die Heroisierung von Nazismus, Neonazismus und anderen Praktiken, die zu einer Eskalation von Rassismus, Rassendiskriminierung, Xenophobie und Intoleranz beitragen“.
Dieses Dokument wird traditionell von Russland eingereicht und 131 Länder stimmten dafür. Die Ukraine und mehrere andere Staaten waren dagegen.
Viktor Medwedtschuk nahm dies zum Anlass, die offizielle Position von Kiew zu kritisieren: mit Worten würde der Nationalismus getadelt, aber die Resolution sei nicht unterstützt worden. Durch diese Resolution sollten alle Staaten die Heroisierung von Nazismus, seinen Verbündeten und von damit verbundenen Organisationen entweder offiziell oder inoffiziell verbieten.
Der israelische Experte Wjatscheslaw Lichatschow, meinte, dass mit dieser traditionellen UN-Resolution nicht alles so klar ist. Russland reichte sie seit der „Orangenen Revolution“ systematisch ein und bezeichnete die Macht in Kiew gleichzeitig als „faschistisch“. Während der Präsidentschaft von Viktor Janukowitsch stellte der Kreml diese Frage nicht, aber führte diese Propaganda nach dem Ende des Euromaidan wieder ein.
Der Experte erklärte die ukrainische Position damit, dass man in Kiew gegenüber den Absichten und Vorschlägen aus dem Kreml, sowie der Formulierung der Resolution misstrauisch sei. Niemand bestreitet, dass die Erscheinungsformen von Nazismus irgendwie getadelt werden müssen. Aber in der Resolution steht auch, dass die Heroisierung von Mithelfern des Nazismus verboten werden sollen. Hierbei sind für die Ukraine die Kämpfer der „Ukrainische Aufständische Armee“ (UPA) gemeint, die im Kampf für eine unabhängige Ukraine während des Zweiten Weltkriegs mit Nazi-Deutschland kollaborierten.