Die Einführung zusätzlicher Bilanzierungspflichten, darunter einer elektronischen Einkommens- und Vermögenserklärung (E-Declaration) für Aktivisten und Organisationen der Zivilgesellschaft ist mit nichts zu rechtfertigen. Das geht aus einer Studie des International Center for Not-for-Profit Law (ICNL) hervor. Die in Washington ansässige Organisation, die weltweit zivilgesellschaftliche Organisationen bei Rechtsfragen unterstützt, hat entsprechende ukrainische Gesetzesvorhaben geprüft.
“Es bestehen weder Probleme, noch gibt es Gründe, warum man gesellschaftliche Vereinigungen zu noch größerer Transparenz zwingen sollte”, sagte Maria Heletij, stellvertretende Leiterin des USAID-Projekts “Bürger in Aktion“, während einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center. Sie betonte, dass die für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vorgesehenen Bilanzierungspflichten diskriminierend seien und die Vertraulichkeit verletzen würden.
Rückblick: So begann der Streit um die NGO-Pflichten
Am 23. März 2017 hatte das Parlament auf Initiative von Präsident Petro Poroschenko Änderungen zum Gesetz “Zur Verhinderung von Korruption“ verabschiedet. Es verpflichtet alle NGOs, die sich bei der Korruptionsbekämpfung engagieren, aber auch alle Vertragspartner und Organisationen, die im Rahmen der Korruptionsbekämpfung Mittel aus internationalen Programmen für technische Hilfe erhalten, eine elektronische Einkommens- und Vermögenserklärung abzugeben. Schon am 25. März forderte der Verband der führenden NGOs in der Ukraine “Reanimation Package of Reforms” den Präsidenten auf, Bestimmungen in dem Gesetz zu streichen, die “Rechte der Bürger verletzen und die Entwicklung von Demokratie in der Ukraine gefährden”. Doch Poroschenko unterzeichnete das Gesetz. Es folgte Kritik, darunter von der Menschenrechtsorganisation “Freedom House” und dem Anti-Korruptions-Netzwerk “Transparency International”. Auch die EU forderte Nachbesserungen.
Schließlich teilte am 8. Juli der Pressedienst des ukrainischen Präsidenten mit, Poroschenko werde dem Parlament neue Gesetzesänderungen vorschlagen, die für Transparenz bei der Finanzierung von NGOs und bei der Verwendung internationaler technischer Hilfe sorgen sollen. Nach Angaben des stellvertretenden Leiters der Präsidialverwaltung, Dmytro Schymkiw, sollen alle NGOs bilanzierungspflichtig bleiben, unabhängig von ihrer Spezialisierung und ihrer Einnahmequellen – allerdings nur was ihre Tätigkeit angeht und nicht mehr bezüglich ihres Vermögens. Er sagte, die E-Declaration für NGOs und deren Vertreter solle wieder abgeschafft werden.
Kritik an den vorgeschlagenen Gesetzesänderungen
Die Expertin für Medienkommunikation bei Amnesty International Ukraine, Maria Hurjewa, meint, dass auch die neuen Gesetzentwürfe einem globalen Trend folgen. Demnach würden Behörden generell die Rechte und Freiheiten der Bürger einschränken wollen. “Es gibt ein systematisches Vorgehen gegen die Zivilgesellschaft insgesamt. Es wird versucht, die Bereiche ihrer Betätigung einzuengen”, so Hurjewa.
Der ukrainische Parlamentsabgeordnete Mustafa Najem sieht in den Gesetzentwürfen ein Mittel, die Zivilgesellschaft unter Druck setzen zu können. Er ist überzeugt, dass NGOs auf der Grundlage internationaler Erfahrungen selbst Regeln für ihre Bilanzierungspflicht erstellen sollten.
Natalia Ligatschowa, Leiterin der der NGO “Detector Media“ und Chefredakteurin des gleichnamigen Internetportals kritisierte, dass die Gesetzentwürfe nicht in aller Öffentlichkeit erarbeitet worden seien. Sie betonte, viele Bestimmungen würden dem Europäischen Recht zuwiderlaufen.
Auf der Pressekonferenz sagte Henrik Larsen von der Politischen Abteilung der EU-Delegation in der Ukraine, die Europäische Union halte es für notwendig, dass Sichtweisen der Zivilgesellschaft in die Diskussion über Angelegenheiten einbezogen werden, die die Zivilgesellschaft direkt betreffen. “NGOs sollten sich auch dazu äußern können, ob sie die neuen Bilanzierungspflichten umsetzen können, in Anbetracht der Tatsache, dass viele NGOs über begrenzte Ressourcen verfügen”, so der EU-Vertreter.
Oleksandra Dworezka, Leiterin der gesellschaftlichen Organisation “Vostok SOS”, wies darauf hin, dass die Gesetzentwürfe die Arbeit von NGOs erschweren würden. Es würde auch schwieriger werden, von Unternehmern finanziell unterstützt zu werden. “Wenn die Zusammenarbeit mit gesellschaftlichen Organisationen Unternehmen nur Probleme bereiten wird, dann werden sie dies nicht mehr tun”, stellte sie fest.
Olha Ajwasowska vom zivilgesellschaftlichen Netzwerk “OPORA” warnte während der Pressekonferenz, die Bilanzierungspflichten sollten nicht zu einem verdeckten Hebel eines Instrumentariums werden, das gegen den Nonprofit-Sektor eingesetzt werden könnte. “Ich bin absolut für eine Bilanzierungspflicht. Die Frage ist nur, in welcher Form und wie die Strafmaßnahmen aussehen sollen. Wenn eine NGO einen fehlerhaften Bericht eingereicht hat und keine Möglichkeit zur Klarstellung hat, oder keinen neuen Bericht mehr vorlegen darf, dann bedeutet dies, dass die Unschuldsvermutung im Prinzip nicht mehr gewährleistet ist”.