Nach vier Jahren Kampfhandlungen im Donbass ist die Bezeichnung des nicht erklärten Krieges im Osten der Ukraine geändert worden. Die Anti-Terror-Operation (ATO) ist offiziell am 30. April 2018 um 14 Uhr beendet worden. Wie im Gesetz “Über die De-Okkupation des Donbass” vorgesehen ist, begann damit die Operation der Vereinten Kräfte (Operazija Objednanych Syl – OOS). Noch am selben Tag unterzeichnete der ukrainische Präsident Petro Poroschenko einen entsprechenden Erlass. Was bedeutet die neue Operation und was ändert sich für die Zivilbevölkerung und für ausländische Journalisten? Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center:
“OOS” statt “ATO”: Warum wurde die Bezeichnung geändert? In den vergangenen Jahren wurde die faktische Militäroperation im Osten des Landes als Anti-Terror-Operation (ATO) bezeichnet. Die sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” (DNR und LNR) sind vom ukrainischen Parlament als terroristische Organisationen eingestuft worden. Die Bezeichnung “ATO” wies gerade auf sie als den Hauptfeind hin. Die neue Bezeichnung “OOS” soll der Realität gerecht werden und auf den russischen Aggressor als den Hauptfeind hinweisen. General Serhij Najew, der jetzt die Operation der Vereinten Kräfte befehligt, erklärte, da heute im besetzten Teil des Donbass Militärangehörige der 8. Armee Russlands zwei vereinte Korps leiten würden, handele es sich nicht um einen Kampf gegen Rebellen oder Terroristen. Die Ukraine habe es mit einer russischen Aggression zu tun. Nicht der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU), sondern die ukrainische Armee müsse sie bekämpfen. Daher könne nicht die Bezeichnung “Anti-Terror-Operation” verwendet werden.
SBU versus Armee: Wer hat das Sagen? Nicht nur die Bezeichnung wurde geändert. Es gab auch einige organisatorische Änderungen. Die bisherige Anti-Terror-Operation wurde vom Anti-Terror-Zentrum des SBU geleitet. Jetzt untersteht die Operation der Vereinten Kräfte der strategischen Leitung des Generalstabs der Streitkräfte der Ukraine. Somit hat die Armee mehr Befugnisse erhalten.
Was sind die Vereinten Kräfte? Von nun an sind dem Befehlshaber der neuen Operation der Vereinten Kräfte auch die Leiter der militärisch-zivilen Verwaltungen unterstellt. Ernennungen und Entlassungen hoher Beamter in den Verwaltungen müssen von nun an mit General Serhij Najew abgestimmt werden. Der Stab der Vereinten Kräfte erstattet seit dem 1. Mai auch Bericht über die Arbeit aller Sicherheitskräfte im Donbass – der Grenzwächter, der Polizei, des SBU, der Nationalgarde, aber auch der Finanzämter. Najew sagte, eine seiner Aufgaben sei, den Schmuggel an den Kontrollpunkten zu stoppen.
“Befreiung des Donbass” oder “Eindämmung Russlands”: Droht eine Eskalation der Kämpfe? Bei seiner ersten Pressekonferenz als Befehlshaber der Vereinten Kräfte erläuterte Najew mehrere Ziele der Operation, die sich auf den ersten Blick widersprechen. Einerseits gehe es um die “Befreiung der vorübergehend besetzten Gebiete”. Andererseits sehe die Operation “keine Intensivierung der Kampfhandlungen entlang der Kontaktlinie” vor und ziele auf die “Herstellung von Frieden” ab. Unklar ist, wie der besetzte Teil des Donbass unter Einbeziehung des Militärs, aber ohne Kampfhandlungen wieder unter Kontrolle gebracht werden soll. General Najew zufolge ist derzeit die “Eindämmung” des Feindes die Hauptaufgabe der neuen Operation.
Wer ist Serhij Najew? Der Befehlshaber der Operation der Vereinten Kräfte ist ein ukrainischer Generalleutnant. Er absolvierte 1991 die Moskauer Höhere Militärkommando-Schule. Im selben Jahr diente er als Kommandeur eines motorisierten Schützenzuges der sowjetischen Truppen in Ostdeutschland, die zu der Zeit bereits aus dem wiedervereinigten Deutschland abgezogen wurden. In den Streitkräften der Ukraine dient Najew seit Mai 1993. Zwischen 2006 und 2007 war er Hörer an der Nationalen Verteidigungs-Akademie der Ukraine, und zwar an der Fakultät zur Ausbildung von Spezialisten im Bereich Einsatz und Strategie. Als bester Absolvent wurde er mit dem Schwert der Königin von Großbritannien geehrt, das er aus den Händen des britischen Botschafters in der Ukraine erhielt. Im Jahr 2014 war er Leiter des Sektors “B” während der Kämpfe um den Flughafen Donezk. Von 2015 bis 2017 war er Kommandant des Einsatzkommandos “Ost”. Seit Ende 2017 ist er im Rang eines Generalleutnants. Anfang 2018 war er Erster stellvertretender Befehlshaber der Bodentruppen der ukrainischen Streitkräfte und Stabschef. Heute ist Najew direkt dem Generalstabschef, dem Chef der Streitkräfte der Ukraine unterstellt. Diese klare Vertikale führt direkt zum Oberbefehlshaber, also zum Präsidenten des Landes.
Was ändert sich für die Zivilbevölkerung? Das Gesetz über die De-Okkupation des Donbass sieht strenge Beschränkungen der Bewegungsfreiheit für Zivilisten vor. Laut Gesetz gilt die Operation im gesamten Gebiet der Kampfhandlungen und in der sogenannten Sicherheitszone, die die Kampfzone umgibt. Beide Zonen werden vom Befehlshaber der Vereinten Kräfte bestimmt. Am 30. April wurde festgelegt, dass alle befreiten Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk die Sicherheitszone darstellen, bis zu einer Linie entlang den Orten Wynohradne, Kurachowe, Otscheretjane, Rosiwka, Wowtschejariwka, Bila Hora, Nowoajdar, Sadky, Makariwka und Prostjane. In dem Gebiet zwischen diesen Orten und der Kontaktlinie, also in der Kampfzone, werden jetzt ausschließlich die Militärs das Sagen haben.
In der Sicherheitszone gelten für den Zugang von Zivilisten drei Stufen:
- Grün – uneingeschränkt
- Gelb – Aufenthalt nur mit gültigen Papieren und nach Kontrolle des Gepäcks und des Fahrzeugs
- Rot – Aufenthalt vorübergehend eingeschränkt oder verboten
Der Zugang in diese Zonen ist nur erlaubt für:
- Personen, die im Einsatzgebiet leben
- Personen, die dort nachweislich Verwandte haben
- Personen, deren Angehörige dort bestattet sind
- Personen, die dort Immobilien besitzen
Erlaubt ist auch der Zugang für Diplomaten oder humanitäre Missionen, die entsprechende Dokumente vorlegen. Personen, die nicht in Orten nahe der Kontaktlinie gemeldet sind, benötigen seit Beginn der Operation der Vereinten Kräfte eine Erlaubnis, um sich in den Orten aufzuhalten.
Wird die Bewegungsfreiheit verbessert oder erschwert? Der stellvertretende Leiter der ukrainischen Nationalpolizei, Kostjantyn Buschujew, sagte, dass es in den befreiten Gebieten sowie an der zweiten und dritten Verteidigungslinie deutlich weniger Kontrollpunkte geben werde. Zivilisten würden seltener unterwegs anhalten und ihre Papiere vorzeigen müssen. Noch haben aber die Einwohner der Regionen Donezk und Luhansk keine Veränderungen bezüglich der Kontrollpunkte festgestellt.
Was wird sich für Journalisten ändern? Am 25. April 2018 hat sich das Akkreditierungsverfahren für Journalisten geändert, die aus dem Kampfgebiet in der Ostukraine berichten wollen. Künftig wird sich mit der Akkreditierung das Pressezentrum der Vereinten Kräfte befassen. Am 25. April 2018 hat es damit begonnen, von Medienvertretern Anträge auf Akkreditierung entgegenzunehmen. Um akkreditiert zu werden, müssen Medienvertreter einen Brief ihres Arbeitgebers an das Pressezentrum der Vereinten Kräfte mit der Bitte um Akkreditierung senden. Der Brief sollte den Vor- und Nachnamen, die Bezeichnung der Position des Medienvertreters, seine Telefonnummer sowie das Datum der Dienstreise enthalten. Der Brief muss vom Chef des Medienunternehmens unterschrieben und mit einem Stempel versehen sein. Dem Schreiben sind Kopien der Pässe (erste und zweite Seite) sowie der Presseausweise der zu akkreditierenden Medienvertreter beizufügen.
Gescannte Kopien der Papiere müssen an folgende E-Mail gesendet werden: accreditation@ukr.net.
Telefonnummer für Informationen: +38 (098) 671-30-40.
Um einen Presseausweis für den Aufenthalt im Gebiet der Operation der Vereinten Kräfte zu erhalten, muss der Medienvertreter sein Foto, seinen Vor- und Nachnamen (in Übereinstimmung mit dem Pass, der die Identität des Medienvertreters belegt) sowie eine gescannte Kopie des Dokuments, das die Zugehörigkeit der Person zum angegebenen Medienunternehmen nachweist, per E-Mail einreichen. Die bisherigen Presseausweise für eine Akkreditierung in der ATO-Zone bleiben bis zu ihrem Ablauf, aber höchstens bis zum 1. August 2018 gültig.