Menu

Treffen zwischen Putin und Biden: Wird sich für die Ukraine etwas ändern?

Am 16. Juni 2021 hat sich US-Präsident Joe Biden mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen. Die Ukraine verfolgte aufmerksam die Vorbereitungen der Gespräche und das Treffen selbst, denn die Ukraine-Frage sollte eine der wichtigen während des Gesprächs sein. Immerhin fand auch die Planung des Treffens der beiden Staatschefs vor dem Hintergrund einer im April 2021 von Russland mit einem Truppenaufmarsch provozierten Eskalation an der Grenze zur Ukraine statt. Welchen Platz hatte die ukrainische Frage während des Treffens, was waren die Hauptthesen der beiden Präsidenten und womit muss die Ukraine rechnen? Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center:

Das lang erwartete Treffen hat endlich stattgefunden: Joe Biden und Wladimir Putin trafen sich am 16. Juni 2021 in der Villa La Grange in Genf. Die Gespräche dauerten etwa vier Stunden, eine Stunde weniger als erwartet. Die Präsidenten sprachen miteinander in einem engen und erweiterten Kreis.

Am Vorabend des Gipfels in Genf betonten die Seiten ihr Interesse an einer Stabilisierung und Normalisierung der Beziehungen. Der Kreml und das Weiße Haus kündigten als Hauptthemen des Treffens Rüstungskontrolle, den Kampf gegen Cyberkriminalität, Informationssicherheit und Klimawandel an.

Unabhängig davon betonte die Biden-Administration, sie werde die russische Militärintervention in der Ukraine, die Verfolgung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny und die Aktivitäten russischer Hacker in den USA zur Sprache bringen.

Eine Woche vor dem Treffen hatte Biden ein Telefongespräch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, in dem er versprach, dass die Position der Ukraine “definitiv berücksichtigt wird” und bekräftigte “die unerschütterliche Unterstützung der USA für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine”.

Die Beziehungen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten erleben nicht ihre besten Zeiten. Erst im Frühjahr verhängten die USA ein neues Sanktionspaket gegen Russland, dann riefen beide Länder ihre Botschafter ab. Biden nannte Putin zudem öffentlich einen “Mörder”, und Putin reagierte, indem er die Vorwürfe mit einer Magenverstimmung verglich.

Ukrainische Experten betonten jedoch, dass die Vorbereitung auf das Treffen und die Erwartungen daran am Ende viel ehrgeiziger ausfallen könnten als die Ergebnisse der Gespräche selbst. “Ich würde große Erwartungen vermeiden”, sagte Anna Schelest von der unabhängigen Denkfabrik “Rat für Außenpolitik ‘Ukrainisches Prisma'” gegenüber BBC Ukraine und fügte hinzu: “Es wäre wahrscheinlich der größte Fehler, zu hohe Erwartungen in dieses Treffen zu setzen, auch in der Ukraine-Frage.”

Aljona Hetmantschuk, Leiterin des Think Tanks “New Europe”, sagte BBC Ukraine, die Biden-Administration habe deutlich gemacht, dass sie “stabile und berechenbare” Beziehungen zu Russland  haben wolle. Ferner betonte sie: “Es ist sehr wichtig für die Ukraine, dass Biden gegenüber Putin die konkreten Konsequenzen seines weiteren aggressiven Vorgehens gegen die Ukraine skizziert. Er hat auch eine klare Botschaft gesendet: Die USA werden während Bidens Präsidentschaft keine Entscheidungen treffen oder Schritte unternehmen, die den Interessen ihres langjährigen Partners Ukraine zuwiderlaufen würden.”

Unterschiedliche Erwartungen. Schon aus den ersten Berichten über die Pläne, die vom Kreml und dem Weißen Haus veröffentlicht wurden, war klar, dass die Erwartungen der Seiten an das Treffen sich etwas unterscheiden.

Laut seiner jüngsten Reden hoffte Wladimir Putin, mit seinem Amtskollegen über die Themen Abrüstung, Terrorismus- und Pandemiebekämpfung sowie über Umweltfragen zu sprechen. Er erwähnte auch die Situation im Nahen Osten, aber die Ukraine erwähnte er als Gesprächsthema mit Biden nicht.

Der US-Präsident hingegen konzentrierte sich auf Themen, die die russische Regierung lieber vermeiden würde. In einem Artikel für die Washington Post versprach Biden, bei seinem Treffen mit Putin über Cyberangriffe auf die USA, für die Washington Russland verantwortlich macht, und die “Aggression in der Ukraine” zu sprechen. Es bestehe kein Zweifel, so Biden, dass die USA ihre demokratischen Werte verteidigen würden, denn diese könne man nicht von amerikanischen Interessen loslösen. Das Weiße Haus versicherte ferner, auch Menschenrechtsverletzungen in Russland, insbesondere die Inhaftierung des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny, anzusprechen.

Der ukrainische Politologe Wolodymyr Fesenko hält solche Differenzen für keinen Zufall. “Beide Seiten sind verhandlungsbereit und wollen Verhandlungen, aber machen deutlich, dass sie diese von einer Position der Stärke aus führen wollen. Sie zeigen, dass sie sich wie coole Cowboys verhalten, dass sie keine Zugeständnisse machen”, so der Experte.

Was hat Biden über die Ukraine gesagt? Bei dem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin betonte US-Präsident Joe Biden seine volle Unterstützung für die territoriale Integrität der Ukraine. “Die Vereinigten Staaten haben ihre Unterstützung für die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine zum Ausdruck gebracht”, sagte Biden bei einem Briefing nach dem fast vierstündigen Treffen in Genf. Der US-Präsident betonte auch, dass er sich mit Putin auf diplomatische Bemühungen geeinigt habe, die Minsker Vereinbarungen über eine friedliche Beilegung der Situation im Donbass umzusetzen. “Er hat mir nicht widersprochen”, so Biden, der aber auch betonte, dass klar sei, dass man auch unterschiedlicher Meinung sei. Die Unterschiede liegen auf der Hand: Die Ukraine und Russland interpretieren den Wortlaut der Minsker Vereinbarungen völlig unterschiedlich.

Was hat Putin gesagt? Der russische Präsident Wladimir Putin bestätigte, dass die Ukraine-Frage während der Gespräche mit US-Präsident Joe Biden angesprochen worden sei, aber eine der wenigen wirklichen Errungenschaften der Gespräche sei die Vereinbarung, die zuvor abberufenen Botschafter Russlands und der USA wieder in die jeweiligen Hauptstädte zu entsenden.

Auf die Frage, ob das Thema Ukraine und der Konflikt im Donbass diskutiert worden sei, sagte Putin: “Dieses Thema wurde angesprochen, aber ich kann nicht sagen, sehr detailliert.” Er betonte, “wie er es verstanden” habe, dass Biden davon ausgehe, dass der Konflikt in Übereinstimmung mit den Minsker Vereinbarungen gelöst werden sollte. Was die Verpflichtungen der Russischen Föderation gegenüber der Ukraine angehe, “haben wir nur eine Verpflichtung: die Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zu fördern”, so Putin. “Wenn die ukrainische Seite dazu bereit ist, werden wir diesen Weg zweifelsohne gehen”, fügte er hinzu. Gleichzeitig sagte der russische Präsident, dass die aktuellen Vorschläge der Ukraine zur Lösung des Konflikts im Donbass “nichts mit den Minsker Vereinbarungen zu tun haben”.

Hier zeigt sich, dass Putin einmal mehr demonstriert, dass Russland die Minsker Vereinbarungen ausschließlich als Druckmittel betrachtet, das politische System in der Ukraine zu ändern, und zwar über eine Verfassungsänderung und eine politische Integration der östlichen Regionen, die sich faktisch unter Russlands Kontrolle befinden. Um dieses Ziel zu erreichen, erpresst Russland mit Sicherheitsbedrohungen.

“Welche Verpflichtungen kann Russland hier also eingehen”, sagte Putin. Er fügte hinzu, dass die Frage eines möglichen NATO-Beitritts der Ukraine “angerissen” worden sei. “Hier gibt es nichts zu besprechen”, unterstrich er.

Wie geht es weiter? Inzwischen ist klar, dass in der Ukraine-Frage keine nennenswerten Fortschritte erzielt wurden. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba hatte unterdessen ein Telefongespräch mit der stellvertretenden US-Außenministerin Victoria Nuland über die Einzelheiten der Gespräche zwischen Biden und Putin vom 16. Juni in Genf. Dies teilte das ukrainische Außenministerium mit, berichtet die Webzeitung “Jewropejska Prawda” (Europäische Wahrheit).

Demnach sagte die Diplomatin, dass der US-Präsident während der Gespräche dem russischen Präsidenten klar und fest erklärt habe, dass die Vereinigten Staaten die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine, die weiterhin unantastbar sein werden, nachdrücklich unterstützen. Nuland betonte das unerschütterliche Bekenntnis der Vereinigten Staaten zum Grundsatz bei Verhandlungen mit Russland und allen anderen Ländern: “Keine Vereinbarungen über die Ukraine ohne die Ukraine.” Außerdem besprachen Kuleba und Nuland die Vorbereitungen für den möglicherweise im Juli stattfindenden Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in den USA.