Diplomatie gegen russische Aggression: US-Außenminister Blinken zu Gesprächen in Kyjiw, Berlin und Genf

Diese Woche hat US-Außenminister Antony Blinken Gespräche in Europa geführt. Am 19. Januar besuchte er Kyjiw und traf sich mit Präsident Wolodymyr Selenskyj und Außenminister Dmytro Kuleba. Am nächsten Tag flog Blinken nach Deutschland. In Berlin sprach er mit Vertretern Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens. Am 21. Januar sprach Blinken schließlich in Genf mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow. Sind all diese Treffen der letzte diplomatische Versuch, die russische Aggression zu stoppen? Was genau ist über die Gespräche bekannt?

Blinken in Kyjiw: “Putin kann sehr kurzfristig aggressive Maßnahmen ergreifen”

Am 19. Januar 2022 traf US-Außenminister Antony Blinken in Kyjiw mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und Außenminister Dmytro Kuleba zusammen. Die Reise erfolgte ohne lange Planung und kam für viele Beobachter überraschend. In Kyjiw sagte Blinken, sein Besuch gehe auf die Bitte von US-Präsident Joe Biden zurück, den Ukrainern Unterstützung zu bekräftigen und ihnen über die Ergebnisse der Gespräche mit Russland in der vergangenen Woche zu berichten.

Bei den Gesprächen in Kyjiw wurde über die Gefahr einer russischen Invasion in der Ukraine und die mögliche Reaktion des Westens gesprochen. Blinken betonte, er unterstütze das Recht der Ukraine, ihre Souveränität zu verteidigen. Er versprach Finanzhilfen, eine Aufstockung der NATO-Truppen in den Nachbarländern der Ukraine und im Falle einer Eskalation Sanktionen, die mit der EU koordiniert würden. Gleichzeitig warnte er, Russland könnte “sehr kurzfristig weitere aggressive Maßnahmen gegen die Ukraine ergreifen”. Washington werde versuchen, so Blinken, Russland auf den diplomatischen Weg zurückzubringen.

Treffen mit US-Diplomaten. Bei einem Treffen mit Diplomaten der US-Botschaft in der Ukraine garantierte Blinken ihnen unter anderem Sicherheit angesichts der russischen Bedrohung. Er betonte, es gehe um mehr als die Ukraine. Russlands Aggressionen würden die grundlegenden Prinzipien infrage stellen, auf denen das gesamte internationale System beruhe.

Treffen mit Wolodymyr Selenskyj. Das Gespräch mit dem ukrainischen Präsidenten fand hinter verschlossenen Türen statt. Selenskyj erklärte, Blinkens Besuch sei für die Ukraine sehr wichtig. “Dies unterstreicht einmal mehr die starke Unterstützung unserer Unabhängigkeit, der Souveränität des Landes durch die Vereinigten Staaten”, unterstrich er. Später am Abend veröffentlichte Selenskyj eine Videoansprache an das ukrainische Volk, in der er dazu auffordert, nicht in Panik zu geraten.

Treffen mit Dmytro Kuleba. Blinken sprach auch mit seinem ukrainischen Amtskollegen. Er versicherte während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kuleba, die USA würden die Militärhilfe für die Ukraine in den kommenden Wochen fortsetzen. “Wir werden unsere unermüdlichen diplomatischen Bemühungen fortsetzen, um eine erneute Aggression zu verhindern und Dialog und Frieden zu fördern. Gleichzeitig stärken wir weiterhin die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine”, so Blinken.

Blinken trifft in Berlin Vertreter Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens

Am 20. Januar reiste US-Außenminister Antony Blinken nach Berlin. Dort kam die sogenannte “Quad”, also Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA zusammen. An dem Treffen nahmen die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock, der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian, der stellvertretende Außenministers des Vereinigten Königreichs James Cleverly, und US-Außenminister Antony Blinken teil. Thema war die Lage an der Grenze zur Ukraine und Russland. Blinken traf sich danach bilateral nochmal mit Baerbock und später mit Bundeskanzler Olaf Scholz.

In seiner Eingangserklärung zur gemeinsamen Pressekonferenz mit seiner deutschen Amtskollegin machte Blinken deutlich, dass die westlichen Länder einen diplomatischen Weg zur Entschärfung dieses Konflikts einschlagen wollen. 

“Auch wenn wir diesen diplomatischen Weg unnachgiebig verfolgen, werden wir weiterhin sehr deutlich machen, dass wir rasch schwerwiegende Konsequenzen folgen lassen werden, wenn Moskau den Weg der weiteren Aggression verfolgt. Auch darin sind wir uns einig. Das hat Bundeskanzler Scholz vor einigen Tagen deutlich gemacht, als er sagte, dass Russland für eine solche Eskalation hohe Kosten zu tragen hätte. Das haben auch unsere britischen und französischen Amtskollegen heute getan, und diese Aussage haben wir unter anderem auch von der G7, der NATO, der Europäischen Union gehört”, unterstrich Blinken. 

Auf Twitter hieß es seitens des US-Außenministers: “Wir stehen fest zu unserer Verpflichtung, Russland massive Konsequenzen und schwere Kosten aufzuerlegen, wenn es einen Konflikt der Diplomatie vorzieht.”

Militärhilfe für die Ukraine. Ein separates Gesprächsthema war die Militärhilfe für die Ukraine angesichts der zunehmenden Bedrohung durch Russland. In ihr sieht Blinken keine Provokation. “Die Vorstellung, dass die Bereitstellung von militärischer Verteidigungsausrüstung für die Ukraine durch die Vereinigten Staaten, durch europäische Länder und durch die Nato irgendwie eine Provokation oder ein Grund für Russlands Handlungen ist, stellt die Welt auf den Kopf”, betonte er bei der Pressekonferenz mit Baerbock. Die Ukraine solle in die Lage versetzt werden, sich selbst zu verteidigen, so Blinken. 

Nord-Stream 2. Der US-Außenminister sagte in Berlin, er habe auch über den aktuellen Stand bei der Pipeline Nord Stream 2 gesprochen, die Washington seit Jahren ablehne. “Annalena und ich haben auch erneut die von Deutschland und den Vereinigten Staaten im Juli gemachte Zusage bekräftigt, zusammenzuarbeiten, um die Energiesicherheit der Ukraine zu fördern und Russland daran zu hindern, Energie als Waffe einzusetzen”, sagte Blinken und fügte hinzu: “Es gilt auch zu bedenken, dass bisher noch kein Gas durch Nord Stream 2 fließt, was bedeutet, dass die Pipeline ein Druckmittel für Deutschland, für die Vereinigten Staaten und für unsere Verbündeten ist, nicht für Russland. Das ist zweifellos etwas, das Moskau abwägt, während es über sein weiteres Vorgehen nachdenkt, insbesondere angesichts der deutlichen Erklärungen der Länder dazu, welche ernsthaften Konsequenzen Russland zu erwarten hat, wenn es sich weiter aggressiv gegenüber der Ukraine zeigt.”

Die deutsche Außenministerin machte deutlich, dass jede weitere Aggression entschiedene Konsequenzen haben werde. “Und das gilt ausdrücklich auch dann, wenn diese Maßnahmen für uns selbst wirtschaftliche Konsequenzen haben sollten.” Baerbock forderte Russland auf, Schritte zur Deeskalation zu unternehmen. Jede weitere aggressive Handlung würde “gravierende Konsequenzen” nach sich ziehen, denn es gehe um den Erhalt der “europäischen Friedensordnung”.

Treffen in Genf zwischen Blinken und Lawrow

Das Gespräch zwischen US-Außenminister Antony Blinken und seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow in Genf am 21. Januar 2022 war nach etwa anderthalb Stunden vorzeitig beendet. Eigentlich waren zwei Stunden angesetzt worden. Anschließend gaben beide getrennt ein Statement ab.

Lawrow sagte, Blinken habe eine schriftliche Antwort der USA auf die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien zugesichert. Er sprach wieder von einem “Kyjiwer-Regime”, einem “blutigen Putsch” 2014 in der Ukraine und dass die NATO-Osterweiterung die Sicherheit Russlands bedrohe. Russland hatte an die USA drei Hauptanforderungen gestellt:

  • Keine Erweiterung der NATO nach Osten
  • Keine Aufnahme postsowjetischer Länder in die NATO
  • Rückzug der NATO in seine Grenzen von 1997

Bezüglich des zweiten Punkts sagte der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur TASS, Russland verlange vom Westen, entweder die Beschlüsse vom Bukarester NATO-Gipfel 2008 zu widerrufen, wo der Ukraine und Georgien eine NATO-Mitgliedschaft versprochen wurde, oder die USA sollten sich als Alternative juristisch verpflichten, niemals für einen NATO-Beitritt der Ukraine und anderer Länder zu stimmen. Die Aufnahme eines Landes in die NATO muss im Bündnis einstimmig erfolgen.

Der letzte Punkt, wo es um den Rückzug der NATO in seine Grenzen von 1997 geht, enthält auch die Forderung nach einem Abzug der NATO-Truppen aus Bulgarien und Rumänien, die 2004 in die Allianz aufgenommen wurden. Moskau betont, dass dieser Punkt bewusst als rote Linie formuliert worden sei. “Es geht um den Abzug ausländischer Streitkräfte, Ausrüstung und Waffen sowie andere Schritte zur Rückkehr zur Konfiguration von 1997 auf dem Gebiet von Ländern, die zu dem genannten Zeitpunkt nicht Mitglied der NATO waren. Dazu gehören Bulgarien und Rumänien”, so das russische Außenamt.

Blinken sagte nach dem Treffen in Genf, die USA seien bereit, Russland schriftliche Antworten zu geben, aber die Prinzipien der NATO würden unverändert bleiben. Er betonte erneut, Russland stehe an einem Scheideweg zwischen einer diplomatischen Lösung des Konflikts und einer Aggression. Im Falle der geringsten Aggression seien die USA und ihre Verbündeten zu einer entschiedenen Antwort bereit.

Im Zusammenhang mit dem russischen Truppenaufmarsch an den ukrainischen Grenzen und Erklärungen russischer Vertreter, wonach es angeblich keine Pläne für eine Invasion in der Ukraine gebe,  sagte Blinken, ein erstes Zeichen für ein Entgegenkommen wäre der Abzug der russischen Truppen. “Taten und Aktionen zählen, nicht Worte”, so der US-Außenminister.

Auf Fragen von Journalisten machte er auch deutlich, dass das Vorgehen Russlands in den letzten Jahren gerade zu dem geführt habe, was Moskau laut eigenen Angaben vermeiden wolle. Gerade die russischen Aggressionen gegen Georgien 2008 und gegen die Ukraine 2014 hätten bei den Menschen in den Ländern den Wunsch nach einem NATO-Beitritt und Schutz vor Russland erheblich verstärkt.