In den vergangenen Tagen waren die Regierungschefs von Großbritannien und Polen, Boris Johnson und Mateusz Morawiecki, und später auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu Besuch in Kyjiw. Bekannt wurde auch, dass der französische Präsident und der neue deutsche Bundeskanzler nächste Woche in die Ukraine reisen werden. Angesichts der Bedrohung der Ukraine durch Russland ist die Welt auf der Suche nach einer diplomatischen Lösung des Konflikts. Was ist über die Besuche und ihre Ergebnisse bekannt?
Ukraine-Polen-Großbritannien: Taktik der “kleinen Allianzen”
Am 1. Februar kündigte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba die Schaffung eines neuen internationalen Formats an: das Kooperations-Dreieck Ukraine-Polen-Großbritannien. Er betonte, dass dies ein weiteres Element der “kleinen Allianzen” der Ukraine sei, zu denen bereits das Lublin-Dreieck (Ukraine-Polen-Litauen) und das Assoziierte Trio (Ukraine-Moldau-Georgien) gehören.
Da die Ukraine keine Garantien der NATO genießt und sich außerhalb des “Sicherheitsschirms” der Europäischen Union befindet, hat sich Kyjiw zum Ziel gesetzt, ein regionales Kooperationsnetzwerk aufzubauen. Eine solche Taktik hatten alle neuen Mitgliedsstaaten der EU und der NATO angewandt, darunter im Weimarer Dreieck, in dem Deutschland und Frankreich Polen unterstützten, im baltischen Trio zwischen Litauen, Lettland und Estland sowie in der Visegrad-Gruppe von Polen, der Slowakei, der Tschechischen Republik und Ungarn.
Offizielle Vorstellung der neuen Allianz wurde verschoben. Vertreter der Ukraine, Polens und Großbritanniens wollten eigentlich am Abend des 1. Februar Einzelheiten über die neue Allianz bekannt geben. Das ukrainische Außenministerium teilte jedoch mit, dass die Vorstellung des Bündnisses aufgrund einer COVID-Erkrankung der britischen Außenministerin Elizabeth Truss verschoben werde. Die Vorstellung des neuen Formats zur Zusammenarbeit sollte im Rahmen des Besuchs von Premierminister Boris Johnson in Kyjiw stattfinden.
Was kann eine solche Allianz bringen? Der Botschafter der Ukraine in London, Wadym Prystajko, äußerte sich in einem BBC-Interview zu dem künftigen Bündnis. Er sagte, das sei “nicht ganz eine NATO für drei”, aber das sei wirklich der Versuch, in dieser kritischen Zeit Freunde, Partner und Hilfe zu finden. Die Ukraine müsse sich, so Prystajko, jetzt auf die Hilfsbereitschaft einzelner NATO-Mitglieder stützen.
Er machte darauf aufmerksam, dass Großbritannien ein immer stärker ernstzunehmender Verbündeter der Ukraine werde. Es gebe schon ein bilaterales strategisches Partnerschaftsabkommen, Vereinbarungen über zwei Milliarden Dollar, über die Lieferungen von Panzerabwehrwaffen, über den Bau von Schiffen und über Marinestützpunkte.
Wie die BBC nach eigenen Angaben aus diplomatischen Kreisen erfuhr, wurde das neue trilaterale Format zwischen London, Warschau und Kyjiw vor nicht allzu langer Zeit, Anfang Dezember 2021, im Zusammenhang mit der Konzentration russischer Truppen an der Grenze zur Ukraine initiiert.
Die Rolle Großbritanniens und Polens. Wie Botschafter Prystajko gegenüber der BBC erklärte, verfolge London eigene Interessen in diesem Teil Europas. Nach dem Austritt aus der EU habe sich das Vereinigte Königreich dem Konzept “Global Britain” verschrieben. “Man kann einen Freund wie die Ukraine gebrauchen, analog zu den ernsthaften Beziehung zwischen Polen und Großbritannien. Die Ukraine ist in den Augen der Briten ein starker Staat auf der anderen Seite des europäischen Kontinents”, so Prystajko.
Der ukrainische Politikexperte Oleksandr Krajew sagte der BBC, ein solches Bündnis sei Teil der britischen Strategie, nach dem Brexit wieder Einfluss in der Welt und der Region zu gewinnen. Die drei Länder hätten durchaus einige Forderungen an die EU. Es komme hinzu, so Krajew, dass nicht alle NATO-Staaten entschlossen seien, gegen die russische Bedrohung vorzugehen, weshalb Großbritannien weiterhin zu kleinen Taktiken greife, um in Osteuropa effektiver arbeiten zu können. “Deshalb kann ein solches Dreierbündnis als eine Art kleine Entente fungieren, wie es im frühen 20. Jahrhundert der Fall war, als Mittel- und Osteuropa einen kleinen Block bildeten und die Ziele der Großen Entente teilten”, sagte Krajew.
Türkei: Besuch von Präsident Erdogan in der Ukraine
Ein weiterer wichtiger Besuch in Kyjiw diese Woche war der des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Er fiel mit dem 30. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der Ukraine und der Türkei zusammen.
Während des Besuchs wurden eine Reihe wichtiger bilateraler Abkommen unterzeichnet: über eine Freihandelszone zwischen den beiden Ländern sowie über die Ausweitung der Produktion von türkischen Bayraktar-Drohnen in der Ukraine. Es wurde auch angekündigt, dass die Türkei ihre diplomatische Präsenz in der Ukraine durch die Eröffnung von zwei Generalkonsulaten verstärken wird.
Während einer gemeinsamen Pressekonferenz erinnerte Erdogan daran, dass die Position der Türkei unveränderlich sei, was die Unterstützung der staatlichen Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine angeht. Er betonte: “Einschließlich der Krim.”
Der türkische Präsident bot zudem an, sich an der Regulierung des Konflikts zwischen Kyjiw und Moskau zu beteiligen. “Während der heutigen Gespräche habe ich wiederholt, dass wir gerne einen Gipfel auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs oder Gespräche auf technischer Ebene in der Türkei abhalten würden”, sagte Erdogan nach seinem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Er fügte hinzu, dass er es in der aktuellen Situation vorziehe, “Spannung zu reduzieren, anstatt Öl ins Feuer zu gießen”. Bisher sind weder Kyjiw noch Moskau auf den Vorschlag des türkischen Führers eingegangen.
Bayraktar-Drohnen. Das Rahmenabkommen mit der Türkei über die Zusammenarbeit im Bereich der Militärtechnologien verdiene besondere Aufmerksamkeit, sagte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow noch vor dem offiziellen Treffen. “Eines der Beispiele für die Umsetzung des Abkommens ist der Bau einer Bayraktar-Produktionsanlage in der Ukraine”, sagte Resnikow und fügte während eines Briefings hinzu: “Wir werden auch ein Ausbildungszentrum schaffen, wo Piloten die Steuerung von Drohnen verschiedener Kategorien lernen werden.”
Die türkische Kampf- und Aufklärungsdrohne vom Typ Bayraktar TB2 ist nach der Operation Spring Shield, die im Februar 2020 von der türkischen Armee in Syrien durchgeführt wurde, bekannt geworden. Aber weltweite Berühmtheit erlangten diese Drohnen erst während des Krieges in Berg-Karabach, wo sie von den Aserbaidschanern gegen die armenische Verteidigung eingesetzt wurden.
Resnikow sagte, dass laut einer Entscheidung des türkischen Herstellers die nächste Generation dieser Drohnen mit ukrainischen Motoren des Unternehmens Motor Sich ausgestattet würden. “Das werden dann technisch gesehen ukrainisch-türkische Geräte sein”, so Resnikow.
Im Oktober 2021 verfügte die Ukraine über 12 Bayraktar-Drohnen. Damals setzte das ukrainische Militär sie erstmals im Donbass ein, und zwar gegen D-30-Haubitzen, mit denen ukrainische Stellungen beschossen wurden, wobei ein ukrainischer Soldat getötet wurde. Russland sah darin eine Eskalation.
Moskau ist unzufrieden mit der türkischen Lieferung von Kampfdrohnen an die Ukraine. Laut Einschätzungen von Militärs könnten sie das Kräfteverhältnis im Donbass verändern. Unterdessen kündigten Vertreter der Ukraine und der Türkei jedoch an, Kyjiw könnte in naher Zukunft weitere mehrere Dutzend Drohnen kaufen.
Schwierige Bilanz für Erdogan. Trotz der wichtigen positiven Ergebnisse des Besuchs des türkischen Präsidenten weiß man in der Ukraine, dass Erdogan versucht, zwischen Russland und der Ukraine zu balancieren. Die Türkei bemüht sich um gute Beziehungen zu Russland, und der russische Präsident Wladimir Putin hat Ankara aufgefordert, seine Politik gegenüber der Ukraine zu überdenken.
Von Vorteil für die Ukraine ist aber, dass die Türkei Mitglied der NATO ist und die Antwort der Allianz auf das russische Ultimatum unterzeichnet hat. Ankara erkennt außerdem die Krim nicht als russisch an und unterstützt die Krimtataren. Gleichzeitig ist die Türkei jedoch von russischen Energielieferungen abhängig, insbesondere über die Gaspipeline Turkish Stream. Nach seinem Besuch in Kyjiw will sich der türkische Präsident Erdogan demnächst mit seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin in Ankara treffen.