Neue Gefahr im Donbass: Welche Ideen der Kreml vorantreibt

https://www.president.gov.ua/photos/all

Noch ist der Skandal rund um einen “Konsultativ-Rat” für die Gespräche in Minsk, mit dem Kiew die selbsternannten “Volksrepubliken” im Donbass fast indirekt anerkannt hätte, nicht verstummt. Da kommen von Russland schon neue Vorschläge, die für die Ukraine genauso gefährlich sind. Wieder geht es um die Arbeit der Minsk-Gruppe. Der “Konsultativ-Rat” stieß in der ukrainischen Öffentlichkeit auf heftige Kritik. Aber auch Deutschland war klar, welche Folgen ein solcher Rat gehabt hätte. Daher lehnte auch Berlin ab, sich an ihm zu beteiligen. Doch wer kann jetzt die neuen Ideen des Kremls stoppen? Wo liegen die Gefahren? Die ukrainische Zeitung “Jewropejska prawda” (Europäische Wahrheit) sprach mit Maria Solkina von der Kiewer Stiftung “Demokratische Initiativen”. Das Ukraine Crisis Media Center hat die wichtigsten Punkte zusammengefasst:

Was ist aus der Idee eines “Konsultativ-Rates” geworden? Mit der Idee ist es nicht so gelaufen, wie vom Leiter des ukrainischen Präsidialbüros, Andrij Jermak, und vom Kreml geplant gewesen war. Jener “Rat” sollte bereits Ende März seine Arbeit zum Teil aufnehmen. In ihm sollten erstmals Vertreter der Ukraine und der sogenannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” alleinige Verhandlungspartner sein – Moskau nur noch als Beobachter dabei sein. Russland ist nach wie vor an einem solchen Format interessiert und wird maximal Druck ausüben, um es zu durchzusetzen. Aber aufgrund der Kritik innerhalb der Ukraine und der mangelnden Bereitschaft Frankreichs und Deutschlands, sich dieser Minsker Initiative anzuschließen, musste die ukrainische Seite den Rückwärtsgang einlegen oder zumindest auf die Bremse treten.

Neue Ideen aus Russland. Da Moskau klar ist, dass aus dem “Konsultativ-Rat” nichts wird, kommt es mit neuen Initiativen. Letzte Woche erläuterte Russland bei Gesprächen zur Vorbereitung der nächsten Videokonferenz der Trilateralen Kontaktgruppe und der Gespräche mit Vertretern im “Normandie-Format” (Ukraine, Deutschland, Frankreich und Russland), was es unter einem erneuerten Minsk-Format versteht.

Demnach will Moskau die Arbeit der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk möglichst formalisieren und eine Art Geschäftsordnung erstellen. Nach jeder Sitzung soll ein Protokoll zu den Ergebnissen der Gespräche unterschrieben und veröffentlicht werden. Die Dokumente und Beschlüsse der Trilateralen Kontaktgruppe sollen für jede Partei verbindlich sein – wie Hausaufgaben. Doch dies würde die Arbeit und den Status der Trilateralen Kontaktgruppe wesentlich verändern. Sie würde fast den Status einer internationalen Organisation erhalten. In diese Richtung will Russland nun offenbar Druck ausüben.

Warum ist das gefährlich? Erstens würden unter den Papieren nicht nur die Unterschriften Russlands stehen, sondern auch die der illegitimen Vertreter der sogenannten “Volksrepubliken”. Höchstwahrscheinlich würde Russland darauf bestehen, dass es sich um Unterschriften von “bevollmächtigten Vertretern bestimmter Teile der Regionen Donezk und Luhansk” handelt. Dies könnte dazu führen, dass die Ukraine die sogenannten “Volksrepubliken” indirekt anerkennt.

Zweitens will Russland die Ukraine in eine Sackgasse aus Formalitäten “drängen”, um ständig darauf bestehen zu können, dass solange die Ukraine einige Punkte nicht umsetzt, auch Russland irgendwelche Verpflichtungen nicht erfüllen wird. Doch die Trilaterale Kontaktgruppe in Minsk ist nur eine Plattform zur politischen Diskussion. Die in Minsk getroffenen Entscheidungen sind nicht rechtsverbindlich und sie sind auch keine internationalen Verträge. Daher ist es richtig, dass die ukrainische Seite in ihrer inneren Gesetzgebung Verweise auf die Minsker Vereinbarungen bisher vermieden hat. Entscheidungen der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk können a priori keine verbindliche Kraft haben.

Russland setzt wieder auf Verfahren und formelle Regeln, wie es schon bei der Idee für einen “Konsultativ-Rat” war. Politische Kontakte benötigen aber keine Verfahren und auch keine Geschäftsordnung. Dies alles soll nur einer “Legalisierung der Volksrepubliken” dienen, damit sie einen anderen Status erhalten.

Warum unterstützt Selenskyj diese zweifelhaften Entscheidungen? Es gibt mehrere Faktoren. Erstens ist der ukrainische Präsident Geisel seiner eigenen Versprechen. Vor seiner Wahl hatte er versprochen – und er verspricht es weiterhin – im Donbass schnell für Frieden zu sorgen. Deswegen will er rasch Ergebnisse liefern. Er legt selbst Fristen fest, zu denen ihn niemand zwingt. Es sind Rahmenbedingungen, die nichts mit den tatsächliche Entwicklungen im Normandie-Format und im Minsk-Prozess zu tun haben. Daher auch die Bereitschaft zu Initiativen, die wie Fortschritte aussehen, aber in Wirklichkeit die Ukraine zurückwerfen und die ukrainischen Positionen erheblich schwächen. So, wie es schon mit dem “Konsultativ-Rat” war.

Der zweite Faktor ist eine Fehleinschätzung der öffentlichen Meinung. Soziologen zufolge ist innerhalb der Bevölkerung der Region im Osten der Ukraine das Verlangen nach Frieden gar nicht so stark und bedingungslos ausgeprägt, wie vom Präsidialbüro gedacht. Eine aktuelle Umfrage der ukrainischen Stiftung “Demokratische Initiativen”, die in dem Teil der Regionen Donezk und Luhansk durchgeführt wurde, der von Kiew kontrolliert wird, hat klar gezeigt: Kompromisse mit Russland werden heute noch viel stärker abgelehnt als im Jahr 2019. Ein Teil der Einwohner, insbesondere in der Region Donezk, will gar nicht Frieden um jeden Preis. 

Interessant ist auch, dass in den Orten an vorderster Front entlang der Trennlinie, wo es durchaus Sympathien für Russland und die “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” gibt, die Menschen ebenfalls keine möglichst schnelle Reintegration jener Gebiete um jeden Preis wünschen.