Diese Woche wurde bekannt, dass Präsident Wolodymyr Selenskyj den einstigen georgischen Präsidenten und ehemaligen Gouverneur der ukrainischen Region Odessa, Micheil Saakaschwili, zum Vize-Premierminister machen möchte. Er soll für die Reformen im Land zuständig sein. Saakaschwili selbst spricht von einer “große Ehre”. Was steckt hinter Saakaschwilis Rückkehr in die große ukrainische Politik? Hat er Chancen, Regierungsmitglied zu werden? Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center:
2019: Rückkehr nach Poroschenkos Rauswurf. Vor fast einem Jahr, am 28. Mai 2019, gab Präsident Wolodymyr Selenskyj Micheil Saakaschwili die ukrainische Staatsbürgerschaft zurück. Erstmals hatte er sie im Mai 2015 von seinem einstigen Studienfreund, dem damaligen Präsidenten Petro Poroschenko verliehen bekommen. Poroschenko ernannte Saakaschwili daraufhin zum Gouverneur von Odessa. Doch nach nur anderthalb Jahren war Saakaschwili mit fast der gesamten Führung des Landes zerstritten. Seine Kritik an Poroschenko, den er als “Straßenhändler” bezeichnete, endete mit seiner Absetzung. Poroschenko drängte Saakaschwili letztlich sogar aus dem Land.
Als Selensky Saakaschwili die ukrainische Staatsbürgerschaft zurückgab, sagte er, dass er lediglich eine “illegale Entscheidung” korrigiert habe und dass es dabei keine politischen Vorteile gebe. Saakaschwili selbst hatte jedoch schon lange zuvor Selenskyj offen unterstützt.
2019: Hilfe für Selenskyj bei den Parlamentswahlen. Nach seiner Rückkehr in die Ukraine erklärte Saakaschwili, er habe keine politischen Ambitionen. Während der Parlamentswahlen im Sommer 2019 forderte er jedoch seine Anhänger auf, die Partei des neuen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, “Diener des Volkes”, zu unterstützen. Nach dem Wahlsieg der Partei und der Bildung einer neuen Regierung unter Premierminister Oleksij Hontscharuk verstummten allerdings die Diskussionen über eine Beteiligung Saakaschwilis an der Regierung des Landes.
Wieder zurück in der öffentlichen Politik. Saakaschwili verschwand aber nicht. Er trat weiter als Politiker auf und kommentierte wichtige Ereignisse in der Innen- und Außenpolitik, er vergaß dabei auch seine Heimat Georgien nicht. Immer wieder war er im Fernsehen und betonte, Experte für Reformen zu sein.
Wozu braucht Selenskyj Saakaschwili? Es herrsche “dringender Personalbedarf”, sagte der Politologe Wolodymyr Fesenko dem ukrainischen Sender “Hromadske”. Selenskyj habe dies faktisch selbst zugeben, indem er gesagt habe, effektive Macher zu suchen. Saakaschwilis politische Erfahrungen, internationalen Beziehungen und die erfolgreichen Reformen in Georgien würden ihn zu einer starken Figur machen, so Fesenko. Der Experte fügte hinzu: “Das Wichtigste für Selenskyj sind jedoch seine erfolgreichen Erfahrungen und seine Kraft.”
Der ukrainische Polittechnologe Serhij Hajdaj ist ebenfalls der Ansicht, dass innerhalb der Führung in Kiew “Personalmangel” herrscht. Er spricht sogar von einer “Management-Krise”.
Erfahrene Politiker kehren zurück. Das Jahr 2020 begann für die Ukraine mit politischen Turbulenzen, als die junge Regierung von Oleksij Hontscharuk durch Denys Schmyhal und eine Reihe neuer Minister ersetzt wurde. Beobachter sprachen in diesem Zusammenhang von “Chaos” und “Personalmangel”. Manche Ministerien wurden erst zusammengelegt, dann doch nicht. Erst sollten einige Minister bleiben, und dann gingen sie doch. Schließlich wurde eine neue Regierung gebildet, die sich vor allem mit wirtschaftlichen Problemen befassen sollte, aber noch keinen Minister für Wirtschaft, Finanzen und Energie hatte. Denn mehrere Kandidaten hatten die entsprechenden Posten einfach abgelehnt.
Der Politologe Wolodymyr Fesenko meint in diesem Zusammenhang, der Regierungswechsel habe gezeigt, dass Selenskyj von seiner Politik der “neuen Gesichter” Abstand nehme und nach erfahrenen Politikern Ausschau halte.
Ist Saakaschwili eine Gefahr? Die Risiken, die eine Ernennung von Saakaschwili birgt, sind recht hoch. Denn die Geschichte hat gezeigt, dass Saakaschwili schwere Konflikte auslösen kann. Außerdem könnte ihm irgendwann der Posten des Vize-Premierministers zu eng werden.
Fesenko zufolge wird eine Ernennung Saakaschwilis bei weitem nicht von allen Mitglieder des jetzigen Präsidenten-Teams unterstützt. Sie würden sich vor einer Wiederholung der Geschichte mit Poroschenko fürchten, als Saakaschwili aus einem Verbündeten zu einem erbitterten Kritiker des früheren Präsidenten wurde.
Am meisten drohe, so Fesenko, jedoch ein Konflikt mit Innenminister Arsen Awakow. Mit ihm hatte Saakaschwili noch unter Poroschenko heftig Streit. “Es wird aber nicht sofort einen Krieg zwischen ihnen geben”, betonte der Politikwissenschaftler und fügte hinzu, dass es in Zukunft aber genug Gründe für Konflikte geben werde. Awakow werde seinen Einfluss verteidigen wollen und Saakaschwili werde versuchen, Einfluss innerhalb der Regierung von Premierminister Denys Schmyhal zu gewinnen. Wahrscheinlich werde sich auch Schmyhal nicht über die Ernennung eines so mächtigen Vize-Premiers freuen, denn dies werde seinen Einfluss gefährden, meint Fesenko.
Serhij Hajdaj hält Konflikte unter Beteiligung von Saakaschwili für unvermeidlich. “Saakaschwili duldet keine Korruption”, unterstrich der Politikwissenschaftler. Er ist überzeugt, dass es auf jeden Fall zu Streit innerhalb der Regierung sowie mit dem Umfeld des Präsidenten kommen wird.
Stimmt das Parlament für Saakaschwili? Derzeit ist nicht ausgeschlossen, dass das Parlament eine Ernennung von Saakaschwili zum Vize-Premierminister ablehnen wird. Innerhalb der Partei “Diener des Volkes”, die über eine eigene Mehrheit verfügt, wollen nicht alle – aus verschiedenen Gründen – für Saakaschwili votieren. Die Abstimmung wird voraussichtlich am 28. oder 29. April stattfinden. Derzeit laufen Verhandlungen und Sitzungen. Saakaschwili soll sich noch mit den Fraktionen treffen.