Experten des nichtstaatlichen Zentrums “Ukrainische Studien für strategische Forschung” haben im Pressezentrum des Ukraine Crisis Media Center (UCMC) Ergebnisse ihrer Beobachtung militärischer Konflikte in der Welt vorgestellt. Das Forschungszentrum hat zum zweiten Mal in Folge einen “Kriegs-Index” erstellt, beginnend mit Kriegen zwischen Staaten bis hin zu diplomatischen Konfrontationen. Wo steht die Ukraine in den Konflikten der Welt und wie intensiv ist der Krieg in der Ukraine im Vergleich zu anderen Kriegen? Einzelheiten in einem Beitrag des UCMC:
Was ist der Kriegs-Index? “Wir beobachten alle Konflikte, Kollisionen, diplomatischen Konfrontationen und Spannungen in der Welt das ganze Jahr über und stufen sie nach bestimmten Indikatoren einer von uns entwickelten Methodik ein. Und das Wichtigste ist unsere Prognose”, sagte der Politologe Jurij Olijnyk, Projektleiter am Zentrum “Ukrainische Studien für strategische Forschung”.
Die Experten bieten folgende Klassifizierung von Kriegen an:
– Weltkriege (meist zwischen mehreren Koalitionen)
– regionale Kriege
– lokale Kriege
– zwischenstaatliche Kriege (auch in der Phase geringer Intensität)
– Kriege zwischen Staat und Koalition
– ausländische Intervention
– Bürgerkrieg (unterschiedlicher Intensität, einschließlich externer Intervention).
Diese Liste militärischer Konflikte kann noch fortgesetzt werden, da es auch zu Grenzkonflikten (einem begrenzten bewaffneten Vorfall), zu einem lokalen Konflikt, einem Militärputsch, einem Terroranschlag beziehungsweise einer Guerilla-Aktion (abhängig von der Sichtweise) kommen kann. Schließlich kann es zu innenpolitischen Krisen und Spannungen kommen, zu politischen Krisen (mit einer möglichen Eskalation und externen Intervention), zu diplomatischen Konfrontationen wie Handelskriegen, diplomatischen Konflikte und mehr.
Analyse militärischer Konflikte in der Welt. Der Direktor des Zentrums “Ukrainische Studien für strategische Forschung”, Jurij Syrotkjuk, stellte fest, dass die militärischen Spannungen in der Welt zunehmen. Im Jahr 2020 schienen die heißen Konflikte des vergangenen Jahres etwas abgeklungen zu sein. Doch aufgrund des weltweiten Stillstands wegen des Coronavirus werden seiner Meinung nach die Konflikte eskalieren.
Laut Studie des Forschungszentrums war der Krieg in Berg-Karabach im zurückliegenden Jahr der intensivste, der in der Region eine neue Lage schuf, die in den letzten 25 Jahren unverändert gewesen war. Auch in Libyen ist es zu einer ähnlichen Veränderung des Status quo gekommen. Die Türkei “tritt ein” und verdrängt Russland.
Im Jemen hat sich im zurückliegenden Jahr hingegen nichts wesentliches getan. Die Konfrontation ist aufgrund des Coronavirus teilweise eingefroren. Aber es gibt einige Kämpfe. Dieser Konflikt könnte erneut ausbrechen, wenn andere Kräfte – Russland und Iran – daran Interesse haben würden.
Auch in Syrien ist die Lage verhältnismäßig eingefroren, wodurch das Land in den Hintergrund gerät. Aber der Krieg geht dort weiter und es gab auch Kämpfe.
Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland: Die Experten beschreiben die Konfrontation zwischen der Ukraine und Russland als “zwischenstaatlichen Krieg mit geringer Intensität”. Jurij Syrotjuk sagte dazu:
“Der russisch-ukrainische Krieg dauert schon sieben Jahre. Letztes Jahr haben wir keine aktiven Kampfhandlungen gesehen, und die Zahl der Opfer durch direkte bewaffnete Aktionen ist gering: 56 ukrainische Soldaten. Wir müssen feststellen, dass Russland seine Taktik und Strategie gegenüber der Ukraine etwas geändert hat. Russland verstärkt seine nichtmilitärischen Methoden der Einflussnahme. 2019 war es Russland gelungen, in der Ukraine eine eigene kollaborierende Fraktion zu schaffen, Viktor Medwedtschuk und seine Anhänger ins Parlament durchzubringen und gewisse politische Erfolge zu erzielen. Und im vergangenen Jahr konnte Russland seine Präsenz weiter ausbauen, indem offen prorussische kollaborierende Kräfte in lokale Parlamente eingezogen sind. Jetzt haben wir eine Situation, wo in den Gebieten, die von der ukrainische Armee von der direkten russischen Aggressionen befreit wurden, heute prorussische Kräfte in lokalen Räten dominieren.”
Medwedtschuk ist Mitglied des ukrainischen Parlaments und zählt zu den führenden Vertretern der Partei “Oppositions-Plattform – Fürs Leben”. Er gilt als enger Freund des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der Patenonkel von Medwedtschuks Tochter ist.
Jurij Syrotjuk glaubt, dass der Kreml zunehmend zu indirekten Methoden der politischen Einflussnahme greifen wird:
“Im vergangenen Jahr ist der sogenannte Normandie-Prozess eingeschlafen. Auf der Ebene der Präsidenten fand 2020 kein Treffen statt. Dieses Format stirbt allmählich ab. Mit dem Abgang von Angela Merkel wird sich diese Situation noch vertiefen. Das sogenannte Minsk-Format bringt der Ukraine heute mehr Negatives als Positives. Die Leitung der ukrainischen Delegation in der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk übernahm der erste Präsident der Ukraine, der ehemalige Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Ukraine, Krawtschuk. Wir erinnern uns an die unverständlichen Aussagen seines ersten Stellvertreters Fokin. Die angekündigten Waffenstillstände haben nichts geändert. Der Krieg geht in dem von Russland vorgegebenen Tempo weiter.”
Daher: Der russisch-ukrainische Krieg dauert an und der Druck wächst. Russland verstärkt seine Angriffskräfte auf der besetzten ukrainischen Halbinsel Krim. Moskau verstärkt auch seinen Einfluss von Norden aus, aus dem Gebiet von Belarus.
Die gesamte Region nicht aus den Augen verlieren: Belarus und Moldau. Laut den Autoren der Studie ist es sehr wichtig, an die ganze Region zu denken. “Was den Versuch Russlands angeht, seine Dominanz im postsowjetischen Raum wiederherzustellen, sind die Ukraine, Belarus und die Moldau praktisch gleiche Angriffsziele Russlands. In der Ukraine findet ein offener Krieg statt, in der Moldau und in Belarus hingegen wird dieser Krieg nur mit hybriden Methoden geführt”, sagte Syrotjuk.
In Belarus fanden letztes Jahr Präsidentschaftswahlen statt, die von keinem europäischen Land anerkannt wurden. Die Experten betonten, dass die Wahlen völlig manipuliert waren, und Russland sie genutzt hatte, seine Präsenz und seinen Einfluss in der Republik Belarus zu erhöhen.
Syrotjuk sagte in diesem Zusammenhang: “Russland hat Angriffskräfte gebildet. Mit den Militärmanövern ‘West’ testet Russland jedes Jahr direkte Szenarien der militärischen Invasion in Belarus. Russland ist es gelungen, Lukaschenkos Legitimität in den Augen der euro-atlantischen Gemeinschaft zu untergraben. Lukaschenko wird nicht mehr als Präsident des Landes anerkannt. Genauso ist inzwischen das Vertrauen in Lukaschenko im Land selbst untergraben. Deshalb hat er nur noch einen Verbündeten: Russland – das an einem Szenario arbeitet, auf legitime Weise eine prorussische Partei an die Macht zu bringen. In diesem Jahr werden wir diesen ‘Anschluss’ verfolgen können, diesen hybriden Krieg der Russischen Föderation.”
Jurij Syrotjuk zufolge ist wie in Belarus auch in der Republik Moldau, dem südlichen Nachbarn der Ukraine, militärischer, psychologischer, politischer und diplomatischer Einfluss zu beobachten:
“Nach der Machtübernahme durch eine pro-europäische Präsidentin gab es Versuche prorussischer Kräfte, die Verfassung zu ändern und die Zusammenarbeit mit Russland zu verstärken. Auch ist die Frage der Präsenz russischer Truppen auf dem Territorium der Moldau weiterhin ungelöst.”
Sein Forschungszentrum, so Syrotjuk, prognostiziere, dass Russland versuchen werde, die Situation im Jahr 2021 auszunutzen, um seinen Einfluss auf die Ukraine, Belarus und die Moldau zu erhöhen.
Abschließend richteten die Experten eine Empfehlung an die ukrainische Staatsführung, den wichtigen Partnern Moldau und Belarus mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Schließlich seien dies Länder, von denen die Sicherheit der gesamten Region abhänge.