Das Ukraine Crisis Media Center stellt eine Übersetzung des Artikels von „Nowynarnja“ über die Besonderheiten der russischen Rechtssprechung zur Verfügung. Die Vorgeschichte zu dem Fall finden Sie hier auf Englisch.
Ein Moskauer Zivilgericht verurteilte Natalija Scharina, ehemalige Direktorin der Bibliothek für ukrainische Literatur in der russischen Hauptstadt, zu vier Jahren Haft auf Bewährung. Am Montag, den 5. Juni, wurde sie für schuldig befunden, „extremistische Literatur“ verbreitet zu haben. Darüber berichtete ein Korrespondent von „Doschd“ aus dem Gerichtssaal.
Scharina äußerte sich verwundert über das Urteil und betrachtet den Fall gegen sie als politisch motiviert.
Das Gericht sah die Version der Ermittler als erwiesen an, dass Scharina in den Regalen der Bibliothek mehrere verbotene Bücher und Broschüren gelagert hatte. Unter anderem soll es sich um das verbotene Buch „Krieg in der Menge“ von Dmytro Kortschynskij gehandelt haben. Das Gericht meinte außerdem, dass Scharina die in der Russischen Föderation verbotenen Gedichtssammlungen des ukrainischen Dichters Dmitro Pawlytschko lagerte – darunter „Buch des Andenkens“, „Zeit der Poesie“ und „Stimmen meines Lebens“.
Außerdem will die Anklage in der Bibliothek für ukrainische Literatur während der Durchsuchung Broschüren von der ukrainischen Partei „Ukrainische Nationalversammlung – Ukrainische Nationale Selbstverteidigung“ („UNA-UNSO“) gefunden haben, die vom Obergericht der Russischen Föderation verboten sind, da sie zum bewaffneten Kampf aufriefen.
„Während der Ermittlungen wurden zwei Expertisen durchgeführt: eine sprachwissenschaftliche und eine psychologische. Die Ergebnisse zeigten, dass die sichergestellte Literatur gegenüber Russland negativ eingestellt ist und Ukrainer gegen Russland aufhetzt“, berichtete „Doschd“.
Dabei lehnte das Gericht die Klage ab, die von der neuen Leitung der Bibliothek gegen Scharina eingereicht wurde. Dabei handelte es sich um den Vorwurf, 2,1 Millionen Rubel (zirka 32.000 Euro) veruntreut zu haben.
Die Staatsanwaltschaft forderte für Scharina eine Bewährung, unter Berücksichtigung ihrer früheren Verdienste und ihres Gesundheitszustands. Ihr Anwalt, Iwan Pawlow, appellierte an das Gericht, seine Mandantin freizusprechen. Er will das Urteil anfechten.
Natalija Scharina befindet sich seit Oktober 2015 unter Hausarrest. Damals wurde sie festgenommen und das Gebäude der Bibliothek für ukrainische Literatur durchsucht, wobei die genannte verbotene Literatur gefunden wurde. Die Zeit von einem Jahr und sieben Monaten, die Scharina unter Hausarrest stand, wird an das Strafmaß angerechnet.
Wie „Nowynarnja“ berichtete, weigerte sich das Gericht im August 2016, die Unterbringungsbedingungen zu mildern. Am 2. November 2016 begann der Prozess.
Beim Gefangenentransport verletzte sich Scharina schwer an der Wirbelsäule.