Der Zweite Weltkrieg in der Ukraine. Teil I. Wann begann für die Ukrainer der Zweite Weltkrieg?

Diese Frage zu beantworten ist nicht einfach, denn zu Beginn des Jahres 1939 waren alle Gebiete, die heute zur Ukraine gehören, unter vier Staaten aufgeteilt – zwischen der Sowjetunion, Polen, Rumänien und der Tschechoslowakei. Die Völker in diesen Staaten durchliefen selbst eine schwierige Etappe der Selbstbestimmung und die Beziehungen zwischen diesen Ländern und die mit ihren Nachbarn waren kompliziert.

Tschechoslowakei – 14. März 1939

Für einen Teil der Ukrainer begann der Krieg schon im März 1939. Es war kein Krieg mit Nazi-Deutschland, sondern mit dessen Verbündeten Ungarn.

Nach dem Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Monarchie wurde die Karpato-Ukraine (die heutige ukrainische Region Transkarpatien) Teil der 1918 gegründeten Tschechoslowakei. Am 8. Oktober 1938 wurde der Region innerhalb einer föderalen Tschechoslowakei Autonomie gewährt. In der neu geschaffenen Karpato-Ukraine lebten damals rund 725.000 Menschen. Die Mehrheit stellten die Ukrainer, damals auch als Ruthenen bezeichnet. Ferner lebten dort Juden und anderen Volksgruppen. Fast 16 Prozent der Einwohner waren Ungarn. In der Nacht vom 13. auf den 14. März 1939 wurde die autonome Karpato-Ukraine von Ungarn überfallen. Mit dem ersten Wiener Schiedsspruch vom 2. November 1938 wurde der ungarischen Seite Unterstützung seitens Deutschlands zum Ausdruck gebracht. Demnach sollte Ungarn Teile der Tschechoslowakei mit “überwiegend ungarischer Bevölkerung” erhalten. Am 16. März eroberten die ungarischen Truppen nach blutigen Kämpfen die Hauptstadt der Karpato-Ukraine Chust. Ende März mussten der Präsident und die Regierung die Karpato-Ukraine verlassen. Damit war ihre Existenz beendet. Fast gleichzeitig, am 15. März, wurden andere Regionen der Tschechoslowakei von deutschen Truppen besetzt.

In den folgenden zwei Jahren wurde Ungarn bei der Annexion von Gebieten seiner Nachbarn von Deutschland unterstützt. 1940 schloss sich Ungarn dem Dreimächtepakt an und nahm am Zweiten Weltkrieg auf der Seite Deutschlands teil. Am 27. Juni 1941 erklärte Ungarn der Sowjetunion den Krieg.

Polen – 1. September 1939

Laut dem polnisch-sowjetischen Vertrag von Riga aus dem Jahr 1921 kamen die Gebiete Ostgalizien (die heutigen ukrainischen Regionen Lwiw, Iwano-Frankiwsk und Teile der Region Ternopil), Wolhynien (die heutigen ukrainischen Regionen Wolhynien, Riwne, Schytomyr, Ternopil und Chmelnyzkyj) sowie Polesien (Teile des heutigen Belarus) zu Polen. Die Mehrheit der Einwohner in diesen Gebieten waren Ukrainer beziehungsweise Belarussen.

Am 23. August 1939 einigten sich Hitler und Stalin über die Aufteilung Osteuropas. Die Teilung wurde in einem Geheimprotokoll zum Molotow-Ribbentrop-Pakt, einem deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, festgeschrieben. Am 1. September überfiel Deutschland Polen. An diesem Tag begann der Zweite Weltkrieg auch für die Bewohner in Lwiw –  mit einem Luftangriff der Wehrmacht. Am 17. September überschritten unter dem Vorwand des Schutzes der Ukrainer und Belarussen, aber in Wirklichkeit in Absprache mit Hitler, sowjetische Truppen die damalige Ostgrenze Polens. In wenigen Tagen nahmen sie alle Gebiete der heutigen Westukraine ein. Ostgalizien und Wolhynien wurden Teil der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR) und Polesien, wo mehrheitlich Belarussen lebten, wurde Teil der Belarussischen SSR.

Rumänien – 26. Juli 1940

Während der deutsche Verbündete Ungarn den Krieg in die Karpato-Ukraine brachte, wurde das damals zu Rumänien gehörende Gebiet Bessarabien (die heutige Republik Moldau sowie die heutigen ukrainischen Regionen Czernowitz und Odessa) sowie die nördliche Bukowina (heute Teil der ukrainischen Region Czernowitz) von der Sowjetunion besetzt, die sich zu dem Zeitpunkt gemäß dem Molotow-Ribbentrop-Pakt immer noch als Partner von Deutschland betrachtete.

Am 26. Juli 1940 erhielt Rumänien von der Sowjetunion ein Ultimatum, das es akzeptierte, um eine blutige und hoffnungslose Konfrontation zu vermeiden. Damals konnten Frankreich und Großbritannien ihren Verbündeten Rumänien nicht mehr schützen: Großbritannien hatte den Kontinent nach der Schlacht von Dünkirchen zwei Monate zuvor verlassen und Frankreich hatte sich Deutschland am 22. Juni 1940 ergeben. Anfang August 1940 kamen die nördlichen und südlichen Teile Bessarabiens und die nördliche Bukowina, meist von Ukrainern bewohnt, zur Sowjetukraine. Der zentrale Teil Bessarabiens bildete die neu geschaffene Moldauische SSR.

Im Herbst 1940 begann sich Rumänien zusammen mit Deutschland auf den Krieg gegen die Sowjetunion vorzubereiten. Am 2. Juli 1941 griffen deutsche und rumänische Truppen die Bukowina und Bessarabien an, nur zehn Tage nach dem Kriegsausbruch zwischen Deutschland und der Sowjetunion.

Die Sowjetukraine – 22. Juni 1941

Hitler, der mit Großbritannien im Krieg war, brauchte so schnell wie möglich die Ressourcen der Sowjetunion. Im Dezember 1940 begannen die Vorbereitungen auf das Unternehmen Barbarossa.

Der Einmarsch deutscher Truppen fand am Morgen des 22. Juni 1941 entlang einer Frontlinie statt, die sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer hinzog. Aus der Luft wurde die Offensive von mehr als 4000 Flugzeugen unterstützt. Die meisten sowjetischen Militär-Flugzeuge wurden noch auf dem Boden zerstört. Den Luftangriff bekamen auch die Einwohner Kiews zu spüren. Die sowjetische Militärausrüstung war schlechter als die deutsche und die Menschen in der Sowjetunion wurden von unerfahrenen Offizieren in den Kampf geschickt. Der Molotow-Ribbentrop-Pakt entpuppte sich als Falle. Denn Stalin hatte nach dem Nichtangriffspakt seine Truppen von der gut befestigten Verteidigungslinie nach Westen geschickt. Doch die neue Westgrenze der Sowjetunion, die sie schützen sollten, war nicht befestigt. So mussten die sowjetischen Truppen sich schnell zurückziehen.

Kiew fiel nach drei Monaten, am 19. September 1941. Bis Ende des Jahres war nach blutigen Kämpfen fast die gesamte Ukraine von Deutschland besetzt.

Literatur und Links

In englischer Sprache:

Serhii Plokhy: The Gates of Europe: A History of Ukraine, New York: Basic Books, A Member of the Perseus Books Groop, 2015

In deutscher Sprache:

Zur Tschechoslowakei und der Karpato-Ukraine (plus Literaturliste in verschiedenen Sprachen): ome-lexikon.uni-oldenburg.de

Zu Polen und dem Molotow-Ribbentrop-Pakt:
“Kriegserklärung an Europa. Der Hitler-Stalin-Pakt und seine Folgen”, HEFT 81 in Horch und Guck, Bürgerkommittee Leipzig e.V., 2015

Zum Dreimächtepakt:
Rolf-Dieter Müller: An der Seite der Wehrmacht: Hitlers ausländische Helfer beim “Kreuzzug gegen den Bolschewismus” 1941–1945. Fischer TB, Frankfurt a.M., 2010

Chronologien: www.dhm.de und chroniknet.de

INFOGRAFIKEN: Die Ukraine im Zweiten Weltkrieg und Zwischen den Fronten