Die Ukraine soll der Welt eigene Informationsinhalte anbieten – Experten zur Antwort auf die aggressive Informationspolitik Russlands

Kiew, 30. März 2015 – Die starke Medienpräsenz Russlands und deren aggressive Informationskampagne stellt für die baltischen Länder, die Ukraine, Georgien und Moldawien eine Gefahr für ihre Sicherheit dar. Darüber berichteten Vertreter der Initiative „Baltic to Black Sea Alliance“ während des Runden Tisches „Antwort auf die aggressive Informationspolitik Russlands“ in ihrem Vortrag. „Information hat sich zur Waffe gewandelt. Sie ist eine Gefahr für die baltischen Länder, die Ukraine, Georgien und Moldawien. Unsere Antworten müssen demokratische Mittel sein. Wir dürfen nicht mit den gleichen Propagandamethoden antworten“, erklärte Sarmite Elerte, Vorsitzende von „Baltic to Black Sea Alliance“, als sie die Paneldiskussion eröffnete. Russland nahm Kurs, die Informationsbeeinflussung in strategisch wichtigen Ländern der ehemaligen UdSSR zu erhöhen, wobei hauptsächlich russischsprachige Bürger angesprochen werden, denen das Konzept der „Russischen Welt“ aufgedrängt wird. Nach Meinung der lettischen Experten ist die Verbreitung solcher Informationen eine direkte Bedrohung der Stabilität und Sicherheit dieser Länder.

Die lettischen Experten für Informationssicherheit empfehlen der Ukraine, die medialen Ressourcen zu erhöhen. Unter anderem sollen die Besitzer von Medien transparent sein, sowie Alternativen zum russischen Medienraum unterstützt, eine Selbstregulierung von Journalisten entwickelt, ein Europäischer Pool mit beruflichen Journalisten gegründet und das Angebot alternativer russischsprachiger Sendungen verstärkt werden. „Die Länder der Region sollen staatliche Fernsehkanäle gründen, wo auch russischsprachige Bürger arbeiten, aber bei denen die Informationen nicht durch Russland kontrolliert werden, sondern hohen europäischen Qualitätsstandards entsprechen“, empfahl Sarmite Elerte.

Die Expertin merkte auch an, dass in den Nachbarstaaten von Russland der öffentliche Informationsraum anormal ist. Der Einfluss russischer Medien unter der russischsprachigen Bevölkerung ist so bedeutend, dass nationale Inhalte vor diesem Hintergrund verloren gehen. Eine Möglichkeit, dem Angriff russischer Medien entgegenzuwirken, ist die zunehmende Nutzung von Internet und sozialen Netzen. Das, obwohl es eine negative Seite mit den sogenannten „Internet-Trollen“ gibt.

Nach Angaben von Ewgenij Fedtschenko, dem Mitbegründer der Bewegung StopFake, besteht die Gefahr der russischen Propaganda darin, dass sie nicht ideologisch ist, sondern sich ausschließlich auf Unsinn stützt. „Die russische Propaganda arbeitet an der Widerlegung der Werte von Völkern und der westlichen Gesellschaft, den Grundprinzipien von Demokratie, der Pressefreiheit und freier Wahlen, damit die Leute keine Sinngemeinschaft bilden“, merkte er an. Gegenpropaganda ist hier nicht zielführend, weil man Unsinn nicht mit Logik bekämpfen kann, man kann ihn nicht verneinen, wie zum Beispiel das kürzlich verbreitete „Balalaika-Verbot von Obama“. Der einzig richtige Weg, die russische Propaganda zu bekämpfen, ist nach Meinung von Fedtschenko, die größtmögliche Menge an Inhalten zu produzieren und die Message über unzählige Vertriebskanäle zu verbreiten.

Maxim Sawanewskij, der Partner von Plus One DA und Mitbegründer des Ukrainischen Crisis Media Center, meint, dass das ukrainische Internet vom russischen abhängt. Unter anderem beeinflusst das auch die russische Sprache, was allen Seiten klar ist. Das Internet, einschließlich sozialer Netze, ist die Basis zum Verbreiten von Fake-Meldungen, wobei dies in unglaublicher Geschwindigkeit geschieht. „In der Ukraine besuchen zirka vier Millionen Ukrainer ukrainische Nachrichten-Webseiten, aber weitere zwei Millionen lesen Nachrichten auf russischen Webseiten. Das bedeutet, dass der Einfluss russischer Medien bis jetzt erhalten bleibt. Allerdings verringerte sich die Zahl der Fans von russischen Webseiten im letzten Jahr“, merkte der Experte an. Dafür werden unsere Webseiten und die Accounts von Ukrainern von russischer Seite aktiv gesperrt. Nach Meinung von Maxim Sawanewskij fehlt es der Ukraine bisher an einer normalen Beziehung zu Internet-Gesellschaften, wie zum Beispiel zu Vertretungen von Facebook oder Youtube. Der Hauptansatz, mit dem Russland arbeitet, ist die maximale Desorientierung der Ukrainer. „Oft werden Videos mit Witzen über das ukrainische Militär hochgeladen, was die Ukrainer demoralisiert und eine negative Einstellung zur Staatsführung provoziert“, führte der Spezialist ein Beispiel auf und schlug als Maßnahme im Kampf gegen die Propaganda vor, zu versuchen, den Zugang zu zweifelhaften russischen Webseiten und Accounts zu blockieren.

Nach Meinung von Jarina Kljutschkowskaja, der geschäftsführenden Direktorin der Agentur Grou, besteht in dieser Situation das Problem der Informationspolitik im Misstrauen gegenüber dem Staat. Um wieder Vertrauen herzustellen, bedarf es einer gegenseitigen Kommunikation, wo die Bürger im Zentrum stehen, und nicht die Führungskräfte. Die Expertin empfiehlt, die interne Kommunikationen zwischen den verschiedenen Behörden in Gang zu bringen und die „Kommunikationsorgane“ des Staates auszubauen, damit sie kein Sprachrohr zur Verbreitung von Propaganda sind, sondern lernen, einen offenen Dialog zu führen, um eine einheitliche Informationspolitik zu schaffen. Jarina Kljutschkowskaja schlägt auch vor, die politische Kommunikationskomponente von der staatlichen zu trennen. „Man muss zwischen Staat und Politik unterscheiden können“, erklärte sie. Staatsarbeit soll keine politische Kampagne sein.

Alexander Iljaschenko, Mitglied im Nationalrat für Fernsehen und Rundfunk in der Ukraine, merkte an, dass die Frage zur Regulierung der Informationspolitik schwierig ist. „Derzeit gibt es keine gesetzlichen Hebel, um etwas gegen Propaganda zu unternehmen, wie wir es uns wünschen“, sagte er. Und er erklärte, dass wenn Medien dagegen verstoßen, der Nationalrat nur eine Verwarnung aussprechen kann. Aber der Nationalrat setzt sich dafür ein, die gesetzliche Grundlage zu ändern, um auf Zuwiderhandlungen finanziell einzuwirken, was soviel heißt, Strafen einzuführen.

Die stellvertretende Ministerin für Informationspolitik, Tatjana Popowa, erklärte, dass heute neue Technik notwendig ist, um Sendungen in die besetzten Gebieten zu übertragen. Ein Teil der Technik kam bereits aus Polen, weitere wird aus Litauen erwartet. „Unsere Technik wurde auf der Krim und im Donbass beschlagnahmt. Wenn wir neue bekommen, werden wir in den besetzten Gebieten russischsprachige Inhalte ausstrahlen“, versprach sie. Große Hoffnung setzt sie auf die Gründung des geplanten staatlich Senders mit ausländischem Programm „Ukraine Tomorrow“. Tatjana Puschnowa, die Direktorin des bereits bestehenden Kanals „Ukraine Today“, der im Ausland sendet, merkte an, dass im Bereich der Informationspolitik staatliche Hilfe benötigt wird. Aber die Hauptsache ist, dass die Programme nicht gestört werden. „Wir sind bereit, Inhalte anzubieten. Geben Sie uns nur die Plattform dafür“, betonte sie.

Während der Diskussion wies Dmitrij Kuleba, Botschafter für Sonderaufgaben am ukrainischen Außenministerium, auch auf den Mangel an ausländischen Inhalten hin. „Keine Inhalte, keine PR, keine Kommunikation“, betonte er. Nach seiner Meinung ist es notwendig, eine methodische Einschätzung zur Propagandawirkung zu entwickeln. „Russische Propaganda ist wie ein Virus, das den Körper befällt. Wer dagegen immun ist, kann sie besiegen“, verglich Kuleba und betonte, dass die Ukraine der Welt eigene Informationsinhalte anbieten soll.

Natalja Popowitsch, die Mitbegründerin des Ukrainischen Crisis Media Centers, merkte an, dass wir über ein historisches Gedächtnis der sowjetischen Vergangenheit und die Okkupation verfügen, und dass wir verstehen, was in Georgien geschah und die Folgen kennen. „Wir sind uns bewusst, dass all unsere Ressourcen durch Medien und Aktivisten von Nichtregierungsorganisationen ergänzt werden, sowie durch das Potential der Regierungen aus der Ukraine und dem Baltikum, aus Zentral- und Osteuropa, und aus der ganzen Welt. Entsprechend müssen wir analysieren und effektiv vorgehen. Es ist notwendig, der Gefahr einer informativen Besatzung entgegenzutreten, die durch RT, Sputnik usw. verbreitet wird“, betonte Popowitsch.