Von „Neu-“ zu „Kleinrussland“: Was die Erklärung von Alexander Sachartschenko zu bedeuten hat

Am 18. Juli kündigte Alexander Sachartschenko, der Chef der selbsternannten “Donezker Volksrepublik” (DVR), gegenüber Journalisten die Gründung des “Übergangsstaats Kleinrussland“ an: „Die Situation steckt in einer Sackgasse. Wir schlagen einen Plan zur Reintegration des Landes vor… Um den Bürgerkrieg zu beenden, haben wir die Lage besprochen und sind zu dem Schluss gekommen, dass sich die Ukraine als ein „Failed State“ erweist. Das Kiewer Regime ist nicht in der Lage, den Bürgerkrieg zu beenden… Ich schlage deshalb vor, den Staat „Kleinrussland“ zu gründen. „Kleinrussland“ ist ein unabhängiger, junger Staat, für die Übergangszeit von bis zu drei Jahren.“

Auf der Website der Terroristen „DAN“ erschienen Informationen, dass die Gründung von „Kleinrussland“ angeblich durch Vertreter der „DVR“, der „LVR“ und 19 Regionen der Ukraine beschlossen wurde und dass dessen Hauptstadt die besetzte Stadt Donezk sein soll.

„Wir, die Vertreter der ehemaligen ukrainischen Regionen (mit Ausnahme der Krim), erklären die Gründung des neuen Staats als Rechtsnachfolger der Ukraine. Wir stimmen darin überein, dass der neue Staat Kleinrussland heißen soll, weil der Name Ukraine diskreditiert ist.“

Sachartschenko präzisierte weiter, dass „Kleinrussland ein multinationaler Staat wird, dessen Staatssprache kleinrussisch und russisch wird, aber jeder Region seine Regionalsprache zugesteht“.

Diese skandalöse Erklärung provozierte sofort eine Reaktion der ukrainischen Staatsführung, des Westens und des Kremls, sowie sogar von Vertretern der benachbarten „Luhansker Volksrepublik“.

Die Reaktion des Westens: Empörend und besorgniserregend

Sebastian Kurz, österreichischer Außenminister und derzeitiger Vorsitzender der OSZE, forderte die von Russland kontrollierten Rebellen auf, die Einhaltung der Minsker Vereinbarungen nicht zu gefährden.

Frankreich und Deutschland, die zusammen mit Russland und der Ukraine das sogenannte „Normandie-Format“ von Minsk bilden, reagierten auch sofort auf die Nachricht. Auf der Internetseite des französischen Außenministeriums heißt es: „Wir rufen Russland auf, diese Erklärung zu verurteilen, da sie die Minsker Vereinbarungen untergräbt und den Geist der Verhandlungen im Rahmen des „Normandie-Formats“ verletzt. Russland muss sich aktiver an der Beendigung des Konflikts beteiligen.“

In diesem Zusammenhang heißt es dort weiter: „Frankreich besteht nach wie vor auf die volle Wiederherstellung der Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine im Rahmen ihrer international anerkannten Grenzen. Die Minsker Vereinbarungen, die von Russland und der Ukraine unterzeichnet wurden, sowie vom „Normandie Format“ und vom UN-Sicherheitsrat gestützt werden, sind die einzige Grundlage, die von allen Parteien beschlossen wurde, um eine friedliche und nachhaltige Regelung der Krise zwischen den beiden Ländern zu erreichen.

Das offizielle Berlin sieht diesen Schritt als völlig inakzeptabel  : „Sachartschenko hat keinerlei Legitimation, um für diesen Teil der Ukraine zu sprechen. Wir erwarten, dass Russland nun umgehend diesen Schritt ebenfalls verurteilt und dass es ihn weder respektiert noch gar anerkennt.”

Die Reaktion der Ukraine: Erwartung einer erneuten Eskalation

Alexander Turtschinow, Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrats, meinte, dass diese Erklärung den Wunsch Russlands ausdrückt, andere Regionen der Ukraine anzugreifen: „Das ist ein völlig verdrehtes Hirngespinst, das im Kreml geschrieben und von den Clowns, namentlich von Sachartschenko, verlesen wurde. Es zeigt wieder den Wunsch der Moskauer „Strategen“, ihre militärische Aggression gegen Westen auszudehnen und weitere Regionen der Ukraine in blutige Kämpfe zu verwickeln.“

Jewgenij Martschuk, ukrainischer Vertreter der Untergruppe für Sicherheit bei der trilateralen Kontaktgruppe, ist noch pessimistischer. Er erklärte, dass die Russische Föderation versucht, den Minsker Prozess zu blockieren. „Morgen findet eine Sitzung statt, aber heute kam die Erklärung von Sachartschenko. Eine, die morgen den Verhandlungsprozess im Prinzip insgesamt blockiert. Morgen, als gäbe es keine andere Tagesordnung, die von der OSZE vorgeschlagen wurde, werden wir mit dieser Erklärung von Sachartschenko beginnen. Diese Erklärung bedeutet, dass wir nichts mehr zu besprechen haben.“

Der kürzeste Kommentar in Bezug auf Sachartschenko und „Kleinrussland“ kam vom ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko: „Das Projekt „Neurussland“ wurde begraben. Die Ukraine wird ihre Souveränität über den Donbass und die Krim wiedererlangen.“

Russland und die Luhansker Volksrepublik zeigten sich über die Erklärung von Sachartschenko überrascht

Kremlnahe Medien behaupten, dass die Erklärung von Sachartschenko für Wladislaw Surkow, einen Vertrauten von Wladimir Putin, der für die russischen Kampfhandlungen im Donbass verantwortlich ist, gänzlich unerwartet kam.. „Die Initiative ging zu 100 Prozent NICHT von Surkow aus“, schrieb RBK mit Bezug auf eine ungenannte Quelle. Demnach sei die Idee in der Umgebung des DVR-Chefs entstanden. „Die Verwaltung war nicht eingeweiht. Es war eine persönliche Initiative von Sachartschenko und seinen Gefolgsleuten“, nannte RBK eine weitere Quelle.

Diese Position bestätigte auch der Pressesprecher von Wladimir Putin, Dmitrij Peskow: „Die Erklärung von Sachartschenko, die er heute morgen zum Thema „Kleinrussland“ abgab, ist seine persönliche Initiative. In Moskau erfuhren wir heute Morgen aus den Medien davon. Wir halten uns weiterhin an die Minsker Vereinbarungen.”

Letztlich sprach sich auch Boris Gryslow, der russische Vertreter bei der Kontaktgruppe zur Regelung des Konflikts im Donbass, auch öffentlich gegen „Kleinrussland“ aus: „Diese Initiative ist kein Teil des Minsker Prozesses. Ich sehe die Erklärung nur als Diskussionseinladung, die keinerlei rechtsbindende Kraft hat.“

Den schärfsten Rückschlag erhielt Sachartschenko von der Führung der benachbarten „Luhansker Volksrepublik“: der Vorsitzende des Volksrats der LVR, Wladimir Degtjarenko, erklärte, dass die LVR „keine eigenen offiziellen Delegierten nach Donezk entsandte, um an einer Sitzung der ukrainischen Regionsvertreter teilzunehmen. Außerdem wurden wir nicht über die Absicht informiert, dass diese Veranstaltung stattfindet. Wir stimmen dem nicht zu.“

Wird die Idee von „Kleinrussland“ umgesetzt?

Wladimir Fesenko, Politologe und Direktor des politischen Forschungszentrums „Penta“ meint, dass die Idee von „Kleinrussland“ eine Einbildung des DVR-Chefs sei und dass man sich nicht ernsthaft Sorgen wegen dieser Erklärung über die Gründung des „Staates Kleinrussland“ machen muss. „Wenn es eine wirkliche Erklärung zu realen Plänen gegeben hätte, würde nicht nur Sachartschenko, sondern zumindest auch Plotnizkij [Chef der LVR] davon sprechen. Diese Erklärung über das sogenannte „Kleinrussland“ hat zwei mögliche Ursachen. Zum einen eine politisch-psychologische. Sachartschenko gab bereits viele solcher Erklärungen ab. Neben der Befreiung des Donbass versprach er auch schon, die Ukraine zu befreien und in Kiew mit Panzern einzurücken. Außerdem versprach er zum letzten 9. Mai, nach Berlin zu kommen. Und jetzt spricht er davon, Kleinrussland zu gründen. Zum anderen ist diese Erklärung eher funktional. Sie kann Teil eines taktischen Spiels zur Abschreckung sein – sowohl gegenüber den Ukrainern, als auch gegenüber westlichen Verhandlungsteilnehmern.“

Es ist sehr wahrscheinlich, dass die „Napoleonischen Pläne“ von Sachartschenko für die Ukraine keine Gefahr bedeuten. Aber welche Folgen diese Erklärung des DVR-Chefs für ihn selbst hat, ist bisher unbekannt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Kuratoren im Kreml diese wahnwitzige Erklärung des „DVR-Präsidenten“ dazu veranlasst, ihn, der seine Zunge nicht im Zaum halten kann, zu ersetzen.