Davos 2020: Was hat die Ukraine angeboten und was hat sie erhalten?

Für die Ukraine war es das erste Weltwirtschaftsforum in Davos nach der Wahl von Wolodymyr Selenskyj zum Präsidenten des Landes. Obwohl das Thema des diesjährigen Forums der Klimaschutz war, sind sowohl Selenskyj als auch Premierminister Oleksij Hontscharuk dorthin gefahren, um vor allem Investoren anzulocken. Womit haben sie das Interesse bei ausländische Unternehmen wecken wollen und was haben sie erreicht? Das Ukraine Crisis Media Center hat ukrainische Presseberichte zusammengefasst:

Was waren die wichtigsten Angebote der Ukraine?

In einer Rede auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos am 22. Januar verglich Präsident Wolodymyr Selenskyj diejenigen, die jetzt nicht in die Ukraine investieren würden, mit dem Geschäftsmann George Bell, der einst die Gelegenheit verpasste, Google für eine Million Dollar zu kaufen.

Dem Präsidenten zufolge hat sich die Ukraine trotz der Annexion der Krim und des Donbass-Krieges das Ziel gesetzt, eine führende Rolle in Mittel- und Osteuropa einzunehmen. Er rief Investoren dazu auf, die Gelegenheit, dabei behilflich zu sein, nicht zu verpassen. “Die neue ukrainische Regierung stellt gleiche Spielregeln für alle auf, säubert die Justiz, digitalisiert Abläufe, setzt wichtige Reformen um und beschließt wichtige Gesetze”, sagte der sechste Präsident der Ukraine.

Selenskyj betonte, sein Land verfüge über alle Ressourcen, die für einen Erfolg notwendig seien: “Günstige klimatische Bedingungen, eine günstige geografische Lage, ein unerschöpfliches landwirtschaftliches und industrielles Potenzial und als wertvollste Ressource unglaublich kreative und sehr talentierte Menschen.”

Steuererleichterungen für Investoren bei Privatisierung.Im Jahr 2020 will die Regierung rund 500 Staatsunternehmen verkaufen. Kleine staatliche Unternehmen sollen transparent über das elektronische “Prozorro”-System angeboten werden. Große Unternehmen, die über 250 Millionen Hrywnja (etwa zehn Millionen US-Dollar) wert sind, sollen von speziellen Firmen und Anlageberatern auf den Verkauf vorbereitet und in einem offenen Wettbewerb verkauft werden.

“In den ersten zwei Jahren gewähren wir allen Investoren, die sich bei der Privatisierung mit zehn Millionen US-Dollar und mehr beteiligen, eine Befreiung von Steuern. Sie werden fünf Jahre lang keine Gewinnsteuer zahlen”, versprach der ukrainische Präsident in seiner Rede in Davos.

“Betreuer” für Großinvestoren. Selenskyj kündigte an, der ukrainische Staat werde eine zusätzliche Vereinbarung mit Großinvestoren abschließen: “Wir haben ein Programm namens ‘Investment Nanny’ vorbereitet. Wir werden jedem Investor, der mehr als 100 Millionen US-Dollar in die Ukraine bringt, einen separaten Vertrag mit dem Staat anbieten. Der Staat wird sie schützen. Ihnen werden Manager zur Seite gestellt, die fünf Sprachen sprechen und rund um die Uhr mit ihnen zusammenarbeiten werden.”

Als “Betreuer” stellte sich als erster der ukrainische Verkehrsminister Wladyslaw Kryklij zur Verfügung. Er forderte die Teilnehmer des Forums in Davos auf, in ukrainische Häfen, Straßen, Flughäfen und Bahnhöfe zu investieren. Der “Investitions-Betreuer” soll den Investor in der Ukraine begleiten und im Geschäftsleben behilflich sein, insbesondere beim Umgang mit den Behörden.

Internationale Schiedsgerichtsbarkeit.Es ist allgemein bekannt, dass das Justizsystem in der Ukraine alles andere als perfekt ist und faire Urteile oft erst vor internationalen Schiedsgerichten erreicht werden können. Doch solche Schiedsverfahren können sich nur große Unternehmen finanziell leisten. Deshalb will der ukrainische Ministerpräsident Oleksij Hontscharuk ein spezielles Schiedsgericht schaffen. Das würde Investitionsstreitigkeiten im Wert von unter zehn Millionen US-Dollar prüfen. Dies solle ermöglichen, Investoren schon jetzt anzulocken, solange die Reform des Justizsystem in der Ukraine noch nicht abgeschlossen sei.

Was konnte die Ukraine erreichen?

EBWE: Die Ukraine zählt zu den Prioritäten. In Davos trafen sich der ukrainische Präsident und Regierungsmitglieder auch mit Vertretern der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), eines der größten Investoren in die ukrainische Wirtschaft. Im Jahr 2019 flossen von der EBWE mehr als eine Milliarde Euro in verschiedene Projekte. EBWE-Präsident Suma Chakrabarti sagte, die Ukraine zähle zu den drei wichtigsten Investitionsprioritäten in Europa.

Selenskyj traf sich ferner mit Vertretern der US-Firma Cargill Inc., die sich mit Investitionen in die Landwirtschaft und Infrastruktur befasst. Zudem traf sich der ukrainische Präsident mit Vertretern des aserbaidschanischen Energieunternehmens Socar, das in der Ukraine Kraftstoff verkauft.

Gespräche mit dem IWF.Am wichtigsten waren allerdings die Gespräche der ukrainischen Führung mit der geschäftsführende Direktorin des Internationalen Währungsfonds, Kristalina Georgiewa. Es war das erste Treffen mit der IWF-Chefin nach dem Machtwechsel in der Ukraine und dem Wechsel an der Spitze des IWF. Premier Oleksij Hontscharuk nannte die Gespräche mit dem IWF “stark” und sagte, das neue Programm des IWF werde in den kommenden Monaten starten. Der IWF äußerte sich zurückhaltender und bezeichnete die Verhandlungen als “fruchtbar”. Betont wurde, um die Zusammenarbeit fortzusetzen, müssten die Forderungen des IWF erfüllt werden.

Die Verhandlungen über ein neues IWF-Programm laufen seit dem Spätsommer 2019. Um die Zusammenarbeit mit der Ukraine fortzusetzen, hat der IWF eine Reihe von Forderungen gestellt, darunter die Verabschiedung eines Gesetzes über den Kauf und Verkauf von Agrarflächen. Es wird derzeit für eine zweite Lesung vorbereitet und soll im Februar 2020 geprüft werden. Zudem soll die Ukraine ein Gesetz beschließen, das die Rückgabe der PrivatBank an ihre früheren Eigentümer unmöglich macht. Ein entsprechender Entwurf liegt dem Parlament bereits vor, aber die Abgeordneten haben noch nicht begonnen, ihn zu erörtern.

Vereinbarung mit der Deutschen Bahn.Bei ihrem Besuch in Davos unterzeichnete die ukrainische Regierung ein Memorandum mit Deutschlands größtem Eisenbahnbetreiber, der Deutschen Bahn. Noch sind keine Details bekannt. Premierminister Hontscharuk sagte lediglich, dass das Management der Ukrainischen Eisenbahn an die Deutsche Bahn übergeben werden solle. “Ja, wir wollen das Management der Eisenbahn für zehn Jahre an die Deutschen übergeben”, betonte er. Die Ukraine, so der Regierungschef, wolle damit zeigen, dass sie offen für Investitionen und neue Standards sei.

Diese Nachricht wurde von der Deutschen Bahn allerdings nicht bestätigt. Das Unternehmen erklärte, mit der ukrainischen Regierung nur eine Vereinbarung unterzeichnet zu haben, die Beratungsdienstleistungen vorsieht. Das bestätigte auch der ukrainische Verkehrsminister Wladyslaw Kryklij. Er schloss jedoch nicht aus, dass sich die Rolle der Deutschen Bahn in der Ukraine im Laufe der Zeit verändern könnte.