Experten: In den ersten 100 Regierungstagen zeigte die neue Staatsführung keine bedeutenden Fortschritte bei der Einführung von Reformen

Kiew, 12. März 2015 – In den ersten 100 Arbeitstagen konnte die neue Staatsführung im Namen der Parlamentskoalition und Regierung keine bedeutenden Forschritte bei der Umsetzung von gesellschaftspolitischen Transformationen im Land aufweisen. Darüber berichteten Experten des Zentrums für politische und rechtliche Reformen (ZPRR) während einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center.

Igor Koliuschko, der Vorstandsvorsitzende der ZPRR, erinnerte daran, dass die Aufgabe, vor der die neue Staatsführung steht, im Koalitionsvertrag definiert ist. Unter anderem war die Rede über eine Erneuerung der Wahlgesetzgebung und der Beginn einer Verfassungsreform. Es wurden auch Fristen festgelegt. Allerdings wurden sie nicht eingehalten. „Wir müssen feststellen, dass dies nicht in den ersten 100 Tagen gemacht wurde. Erst in den vergangenen Wochen begann eine inhaltliche Diskussion bei der Werchowna Rada über Änderungen an der Wahlgesetzgebung. Die Rede ist von der Beschließung neuer Gesetze zu den Wahlen von Parlamentsabgeordneten und den Lokalwahlen“, merkte Igor Koliuschko an.

Nach Meinung des Experten muss das System der ausführenden Machtorgane dringend reformiert werden. Allerdings macht die Art, wie es in den ersten 100 Tagen umgesetzt wurde, hellhörig. Unter anderem kritisierte Igor Koliuschko die Entscheidung über die Auflösung der staatlichen Registrierungsdienste und Exekutive, sowie dass derer Vollmachten an den Apparat des Justizministeriums übergeben wurden.

Bisher blieb auch der Versuch erfolglos, das neue Gesetz über den Verwaltungsdienst zu beschließen, was die Grundlage dafür schaffen sollte, die Arbeit der Machtorgane beim Auswahlverfahren von Angestellten für den Staatsdienst zu ändern, sowie die Effektivität ihrer Arbeit zu kontrollieren. Heute gibt es zirka 340.000 Staatsbedienstete. Obwohl das entsprechende Dokument alle Abstimmungen durchlief, wird dessen Registrierung im Sitzungssaal sabotiert: die Erörterung des Gesetzentwurf durch das Regierungskomitee wurde bereits viermal abgesagt. Eine ähnliche Situation bildete sich bei dem Gesetzentwurf zu Verwaltungsverfahren, der die Wechselbeziehungen zwischen Beamten und Bürgern regeln soll. „Die Gesetzentwürfe wurden nicht zur Abstimmung ans Parlament gegeben. Das heißt, 100 Tage sind verloren. Und das, obwohl die Gesetzentwürfe alle Anhörungen durchliefen und ihnen internationale Experten zustimmten. Außerdem sind diese zwei Gesetzentwürfe durch das EU-Abkommen über die Entwicklung des Staates Auflage an die Ukraine. Im Rahmen dieses Abkommens erhielt die Ukraine bereits über 200 Mio. Euro“, merkte Viktor Timoschtschuk an, Experte des ZPRR.

Im Bereich des Rechtschutzes ist die Entscheidung über die Gründung eines Streifendienstes ein gewisser Fortschritt, sowie der Beschluss des neuen Gesetzes über die Staatsanwaltschaft. Aber der Erfolg davon ist nicht sicher. Alexander Bantschuk, auch Experte des ZPRR, merkte an, dass durch das Fehlen einer entsprechenden Vorarbeit in der Zeit des ehemaligen Generalstaatsanwalts Vitalij Jarema, faktisch vier Monate zur Vorbereitung der zu implementierenden Normen in das neue Gesetz über die Staatsanwaltschaft verloren gingen. Aufgrund der fehlenden Änderungen wird die Staatsanwaltschaft vor Mai nicht reformiert.

Nach seiner Meinung kann die erwartete Polizeireform deshalb scheitern, weil trotz der Versprechen des Innenministeriums, bis Ende Februar einen Gesetzentwurf zur Polizei vorzustellen, es bisher kein Dokument gibt. Bei solcher Vorbereitung des Dokuments ist die Bearbeitung im Parlament vor Sommerbeginn unwahrscheinlich. Entsprechend kann die Reform des Streifendienstes und die Gründung einer Streifenpolizei, an der gerade der erste stellvertretende Innenminister, Eka Eguladze, arbeitet, ohne Rechtsgrundlage bleiben.

Der Experte nannte auch eine zunehmende Anzahl von Versuchen, um Rechtsverletzungen strafrechtlich stärker zu verfolgen. Dieser Trend ist nach Meinung von Bantschuk negativ, da er dem Geist und den Werten der Revolution der Würde widerspricht. „Wir können drei Empfehlungen geben: bis Sommer das Polizeigesetz zu beschließen, Änderungen an den Übergangsbestimmungen für das Gesetz zur Staatsanwaltschaft vorzubereiten; und zu versuchen, einer stärkeren strafrechtlichen Verantwortung zu widerstehen, sondern umgekehrt, in diesem Bereich einen humanistischen Weg zu gehen“, merkte Alexander Bantschuk an.

Dafür nannte Roman Kujbida, ebenfalls Experte des ZPRR, positive Fortschritte bei der Umsetzung von Gerichts- und Antikorruptionsreformen. In Bezug auf erstere lobte er die Beschließung des Gesetzes über das Recht auf ein korruptionsfreies Gericht, was zum ersten Schritt bei der Umsetzung der Gerichtsreform wurde. Das Dokument stärkte unter anderem die Anforderungen an die Personalauswahl für Richterämter und machte die Prozedur zu ihrer Auswahl transparenter. Allerdings lässt es das Gesetz nach Meinung von Roman Kujbida weiter zu, Richter politisch zu beeinflussen. „Das Parlament machte gewisse progressive Schritte. Aber es waren nicht genug. Wenn man die Stufe der Umsetzung europäischer Standards in der Rechtspflege betrachtet, so stieg die Ukraine seit November 2014, seit der Zeit der Koalitionsgründung, im Rating für die Gerichtsreform des ZPRR von 10 auf 44 von 100 möglichen Punkten“, merkte Roman Kujbida an.

„Wir können nicht sagen, dass die Regierung etwas in schlechter Absicht macht. Aber alle ergriffenen Maßnahmen werden sehr langsam umgesetzt“, fasste Igor Koliuschko die Analyseergebnisse über die Regierungstätigkeit in den ersten 100 Tagen zusammen.