Jeder dritte Ukrainer war direkt oder indirekt von Folter betroffen – Amnesty International in der Ukraine

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Kiew, 26. Juni 2015 – Ukrainer verurteilen mehrheitlich Folter und misstrauen dem ukrainischen Rechtswesen, da es an entsprechenden Reaktionen und Ermittlungen solcher Fälle mangelt, insbesondere seitens Vertretern der Rechtsschutzorgane. Zwei Drittel der Ukrainer meinen, dass die Rechtsschutzorgane Folter und Gewalt anwenden. Allerdings gibt es in der Ukraine auch eine gewisse Toleranz gegenüber Folter. „48 Prozent der Ukrainer meinen, dass die Folterung von Separatisten in der Zeit der ATO unzulässig ist, während 71 Prozent Folter außerhalb des Kontexts dieses bewaffneten Konflikts verurteilen“, berichtete Bogdan Owtscharuk, Sprecher von Amnesty International in der Ukraine, bei einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center, auf der die Ergebnisse einer gesamtukrainischen Untersuchung der öffentlichen Meinung zur Folteranwendung vorgestellt wurden.

Laut Angaben von Tatjana Masur, der Direktorin von Amnesty International in der Ukraine, sind diese Daten die schlechtesten für eine demokratische Gesellschaft. „Es ist möglicherweise dadurch begründet, dass derzeit die Meinung verbreitet ist, dass ein Krieg stattfindet und dabei weder Regeln, noch Gesetze gelten. Das ist ein Mythos, der aus den Köpfen muss, und nicht nur bei den Rechtsschutzorganen, sondern auch bei Politikern. Es gibt ein Kriegsgesetz, sowie eine internationales humanitäres Recht und eine Reihe Genfer Konventionen der internationalen Gemeinschaft“, betonte sie. Sie ergänzte auch, dass die Ukraine verpflichtet ist, sie zu befolgen. Dabei merkte Tatjana Masur an, dass Amnesty International bei allen Konfliktparteien in der ATO-Zone Folter feststellte.

Was die Reaktion der Gesellschaft auf Foltervorwürfe angeht, so sprachen sich 72 Prozent der Befragten dafür aus, dass die Rechtsschutzorgane immer zur Verantwortung gezogen werden sollen. Dabei meinen 76 Prozent, dass sich der Staat bemühen muss, die an solchen Verbrechen Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen, egal unter welchen Umständen – sei es bei Rechtsschutzorganen, sei es in der ATO-Zone oder unter anderen Umständen, berichteten die Vertreter von Amnesty International in der Ukraine. „Jeder dritte Ukrainer war direkt oder indirekt von Folter betroffen – darunter 4 Prozent persönlich, bei 7 Prozent nahestehende Personen oder Verwandte, und bei 22 Prozent Freunde oder Bekannte“, berichtete Owtscharuk. Nach seinen Angaben zeugen diese Fakten von der Schwäche der Staatsführung, ihre Bürger zu schützen und Forderungen der ukrainischen und internationalen Gesetzgebung einzuhalten.

Die Staatsführung soll jede Folter und andere Arten von Gewalt ohne Kompromiss verurteilen, was ein klares Signal wäre, dass solche Verhalten unzulässig sind – durch Erklärungen, aber auch durch eine effektive Ermittlung und Verurteilung der Verantwortlichen. Die Gründung eines staatlichen Ermittlungsbüros als unabhängiges Organ bei illegalen Handlungen der Miliz soll beschleunigt werden. Und letztlich sollen sie endlich auf die Ukrainer hören und das Römische Statut ratifizieren.

Die gesamtukrainische Untersuchung der Öffentlichen Meinung zu Problemen der Folteranwendung wurde durch das „IFAK Institut“ auf Bestellung von Amnesty International durch Meinungsumfragen unter Bürgern im Alter von 18 bis 65 Jahren zwischen dem 10. und 18. Juni 2015 durchgeführt.