Die Ukraine muss das Vertrauen der Leute in den Staat genauso gewinnen wie den Glauben Europas – Radoslaw Sikorski

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Kiew, 2. Dezember 2015 – Die Ukraine ist heute ein freies Land und das ist der Verdienst der Ukrainer, denn nun werden alle anderen Ziele erreichbar. Die kommenden zwei Jahre werden für die Ukraine entscheidend, wenn man berücksichtigt, dass in dieser Zeit keine großen Wahlen geplant sind. Dies ist die beste Zeit, um den Reformprozess im Land zu beschleunigen. Darüber sprach der ehemalige polnische Außenminister und Sejmmarschalls, Radoslaw Sikorski, während einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center.

„Mit wem ich auch sprach, mit dem Präsidenten oder einfachen Ukrainern, für alle hat die Korruptionsbekämpfung höchste Priorität. Sie müssen das Vertrauen der Leute in das Staatssystem wieder gewinnen, so wie Sie den Glauben Europas gewinnen müssen, dass Sie es schaffen, einen Staat aufzubauen, der den Anforderungen einer zukünftigen EU-Mitgliedschaft entsprechen wird“, sagte Radoslaw Sikorski.

Er ist davon überzeugt, dass die derzeitige Regierung der Ukraine endlich das umsetzt, was alle vorherigen Regierungen nur versprachen. Zum einen, Reformen im Energiesektor, der in den vergangenen 24 Jahren eine Quelle für extreme Korruption war und zu einer „erschütternden Verschwendung von Ressourcen“ beitrug. Gerade dies, so Radoslaw Sikorski, brachte die Ukraine in diese Situation, in der sie sich vor zwei Jahren befand.

Zum anderen sieht er die Vereinbarung mit dem IWF, die die ukrainische Regierung erreichte, als richtig und als weiteren Erfolg der Ukraine an. Heute versteht die internationale Finanzwelt die Ukraine als Spieler, der sich an die Spielregeln hält. Außerdem bezeichnete er den Prozess zur Dezentralisierung als wichtig.

„Ich kann nur berichten, wie es im Fall von Polen ist. Die Lokalbehörden haben ein eigenes Budget aus lokalen Steuereinnahmen, sowie teilweise von Unternehmen, die ihr Geschäft in der Region haben. Dadurch entwickelt sich die Selbstverwaltung dynamisch und die Städte blühen“, sagte der ehemalige polnische Außenminister und ergänzte, dass seine Heimatstadt über ein Budget in einer Höhe verfügt, wie das polnische Außenministerium.

Bei der Pressekonferenz merkte Radoslaw Sikorski an, dass die Ukrainer in den letzten 25 Jahren ihre Sicht auf die Zukunft ihres Landes mindestens drei Mal laut verkündeten. 1991 riefen sie ihre Unabhängigkeit aus, dann während der Orangenen Revolution, und am dramatischsten vor zwei Jahren auf dem Maidan.

„Der erste Versuch ging um die Gründung eines eigenen Staates, der zweite Versuch ging darum, ihn europäisch zu machen. Sie haben einfach kein Recht, ihn wieder zu verlieren. Sie dürfen weder Ihre Bürger, noch Europa enttäuschen, das so viel Mühe und Hilfe in Ihren Erfolg investierte – sowohl politisch, als auch finanziell“, mahnte Radoslaw Sikorski.

Heute verfügt die Ukraine über einen Aktionsplan, der mit der EU abgestimmt ist, und deshalb ist Radoslaw Sikorski davon überzeugt, dass keine Fragen zu dessen Finanzierung aufkommen, da die Ukraine ein Programm mit dem IWF vereinbarte.

Was den anderen Teil betrifft, den über das Assoziierungsabkommen, ist es schwieriger und mehrschichtiger. „Allerdings gibt die Umsetzung der Ukraine ein Instrument in die Hand, von einem sowjetischen und postsowjetischen Modell in ein zivilisiertes und europäisches überzugehen. Es wird Ihnen die Möglichkeit geben, Ihre Vorhaben umzusetzen und die Mitgliedschaft in der EU in Anspruch zu nehmen“, sagte Radoslaw Sikorski und ergänzte: „Polen wartet bereits seit 350 Jahren auf Sie. Und wir hoffen, dass wir nicht noch einmal so lange warten müssen. Ich hoffe wirklich, dass Sie diese Chance nutzen und sich der europäischen Familie mit Demokratie und freien Märkten und der Hoheit des Rechts anschließen.“

Er erklärte auch, dass er, unter Berücksichtigung des jüngsten Wechsels in der polnischen Regierung, erwartet, dass die neue Führung wie bereits die vorherigen Landesführungen, insbesondere unter Lech Katschinski, die Ukraine unterstützen wird. Dies wird es den beiden Nationen auch ermöglichen, die gemeinsamen Seiten ihrer Geschichte weiter aufzuarbeiten.