Freilassung von Nadija Sawtschenko: Aussichten und Probleme

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Am 7. April hatte Nadija Sawtschenko ein Formular ausgefüllt, mit dem sie sich bereit erklärt hatte, ihre Strafe in der Ukraine zu verbüßen. Das Dokument wurde dem ukrainischen Justizministerium vorgelegt, das wiederum ein Paket von Dokumenten dem russischen Justizministerium übergab. Das Justizministerium der Russischen Föderation leitete gemäß dem Verfahren laut Straßburger Auslieferungsübereinkommen die Dokumente an die russische Strafvollzugsbehörde weiter. So begann das Verfahren für einen Gerichtsentscheid. Doch für eine Auslieferung ist auch von Nöten, dass ein Richter in der Ukraine formell die Rechtmäßigkeit des Urteils gegen Sawtschenko bestätigt.

Kiew, 28. April 2016 – Die Verteidigung im Fall Nadjia Sawtschenko hat faktisch ihre Arbeit beendet. “Wir sind zur nächsten Phase übergegangen, in der es um die Überstellung von Nadija Sawtschenko an die Ukraine geht. Offen sind noch Verfahrensfragen und die werden noch einige Zeit in Anspruch nehmen, aber die grundsätzliche politische Entscheidung, Sawtschenko auszuliefern, ist tatsächlich gefallen”, sagte Sawtschenkos Anwalt, Mark Feigin, auf einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center in Kiew.

Sawtschenko hat bereits die Auslieferungsunterlagen erhalten und sie mit ihrem Anwalt ausgefüllt. Laut den verfahrenstechnischen Bestimmungen hätten die Unterlagen allerdings nicht von der verurteilten Person und deren Anwalt, sondern persönlich vom Staatsanwalt in Rostow ausgefüllt werden müssen. Doch der Leiter des Gefängnis-3 von Nowotscherkassk, Aleksandr Kalganow, übergab die Unterlagen Sawtschenko. Dies können jedoch auch vorbereitende Maßnahmen für eine Überführung Sawtschenkos in eine Strafkolonie sein.

Weder Austausch noch Begnadigung

Mark Feigin zufolge ist eine Auslieferung eine von zwei Möglichkeiten, Sawtschenko in die Ukraine zurückzuholen. Es sei nicht möglich, sie gegen die in der Ukraine gefangenen russischen Militärs Aleksandr Aleksandrow und Jewgenij Jerofejew auszutauschen, denn dafür müssten sie alle drei den Status von Kriegsgefangenen haben. Da Russland sich selbst nicht als Konfliktpartei betrachte, komme hier die Genfer Konvention nicht zur Geltung. Rechtlich sei ein Austausch also nicht möglich.

Notwendig seien andere Mechanismen. Eine Alternative zur Auslieferung sei ein Begnadigungsgesuch, das aber kaum Aussichten auf Erfolg habe. Denn Putin werde die “ukrainische Spionin und Mörderin” nicht begnadigen. Das Vorgehen des russischen Justizministeriums bewertet Sawtschenkos Anwalt als Wunsch, lieber das Straßburger Auslieferungsübereinkommen anzuwenden, als die Verurteilte zu begnadigen.

Wer beschließt die Auslieferung?

“Ich möchte betonen, dass grundsätzlich das russische Gericht am Aufenthaltsort der Verurteilten zu entscheiden hat, ob sie an das Land ausgeliefert wird, deren Bürger sie ist, um dort ihre Strafe zu verbüßen”, sagte Feigin. Doch welches Gericht über die Auslieferung Sawtschenkos entscheiden wird ist unklar, weil sie noch nicht an das endgültige Gefängnis überstellt worden sei, wo sie ihre Strafe verbüßen solle. Entstanden sei eine rechtliche Kollision. “Da Nadija sich im Gefängnis-3 von Nowotscherkassk befindet, wäre das Gericht dieser Stadt zuständig”, erläuterte der Anwalt. Aber das Gericht in Nowotscherkassk könne die Sache so lange nicht prüfen, bis der Verwaltungsausschuss des Gefängnisses zustimmt, das Sawtschenko in diesem Gefängnis ihre Strafe verbüßen soll.

Feigin zufolge werden die für die Auslieferung notwendigen bürokratischen Verfahren mindestens einen Monat dauern. Doch die Russen könnten sie absichtlich hinauszögern, bis zu einer entsprechenden Entscheidung der ukrainischen Seite bezüglich der beiden gefangenen russischen Militärs. Das Urteil des ukrainischen Gerichts gegen die beiden Männer tritt erst am 25. Mai in Kraft.

“Allen ist klar, dass Nadija unschuldig ist”

Feigin sagte ferner, im Falle einer Rückkehr Sawtschenkos in die Ukraine werde sie dort auf keinen Fall ihre Strafe absitzen. Nicht nur, weil allen klar sei, dass sie unschuldig ist, sondern auch, weil sie als Abgeordnete der Parlamentarischen Versammlung des Europarats (PACE) diplomatische Immunität genieße. “Die PACE hat schon zwei Mal eine Resolution (im Januar und April) verabschiedet, in denen die sofortige Freilassung Sawtschenko gefordert wird. Russland hat nicht vor, sie zu erfüllen. Dies bedeutet aber nicht, dass die Ukraine sie nicht erfüllen wird. Die weitere rechtliche Ausgestaltung ist nur noch eine technische Frage”, so der Anwalt.

Da man alle Verfahrensvorschriften eingehalten und Beweise zusammengetragen habe, betonte Feigin, habe man auch juristisch nachgewiesen, dass Nadija Sawtschenko unschuldig sei, auch wenn das russische Gericht dies nicht anerkennen wolle.