Wochenübersicht der ukrainischen Pressenachrichten vom 3. bis 9. Mai 2016

Die Situation in der Zone der Anti-Terror-Operation

In der vergangenen Woche wurden die ukrainischen Streitkräfte 63 Mal beschossen. Infolge des Beschusses seitens der prorussischen Militärverbände und durch Sprengfallen wurden zwei ukrainische Soldaten getötet und zwölf weitere verletzt.

Im Vergleich zu den vorigen Wochen verringerte sich die Anzahl der Verstöße gegen die Waffenruhe wesentlich. Trotzdem wurde die Waffenruhe nicht vollständig eingehalten. Die (pro-)russischen Militärverbände setzten Granatenwerfer, schwere Waffen und Schützenwaffen ein, ebenfalls Mörser mit einem Kaliber von 120 Millimetern, die laut den Minsker Vereinbarungen abgezogen sein sollten. Die Militärverbände der russischen Invasionstruppen beschossen die ukrainischen Checkpoints bei Awdijiwka, Schyrokine und Taramtschuk (Frontabschnitt bei Mariupol). Es wurden auch Provokationen im Frontabschnitt bei Luhansk festgestellt.

Im Gebiet Donezk gelten mit dem Stand vom 6. Mai immer noch 864 Ukrainer als vermisst. Das teilte der Chef der Polizei im Gebiet Donezk, Wjatscheslaw Abroskin, mit. Leider sind die Vermisstenzahlen unerfreulich. Seit Beginn der Anti-Terror-Operation wurden im Gebiet Donezk 1645 Personen als vermisst gemeldet. Bei Suchaktionen wurden 690 Personen ausfindig gemacht. Ferner wurden 91 Tote identifiziert.

Die deutsche Bundesregierung stellt weitere zwei Millionen Euro für das Projekt “Humanitäre Hilfe und Unterstützung für Binnenflüchtlinge und Personen, die wegen der Krise in der Ukraine zu Schaden gekommen sind” zur Verfügung. Das teilte die Pressestelle des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in der Ukraine mit. Deutschland hatte im Jahr 2015 vier Millionen Euro für dieses Projekt bereitgestellt.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko betonte während der Gedenkenveranstaltungen für die Opfer des Zweiten Weltkrieges, dass die Ukraine auf diplomatische und politische Mittel setzen werde, um die territoriale Integrität der Ukraine wiederherzustellen. Schritten zu einer politischen Beilegung der Situation in der Ostukraine müssten sichtbare Fortschritte in Fragen der Sicherheit vorangehen: eine vollständige Waffenruhe, ein Abzug der russischen Militärtechnik und ein uneingeschränkter Zugang der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu allen besetzten Gebieten im Donbass, einschließlich der Demarkationslinie und des nicht kontrollierten Teils der ukrainisch-russischen Grenze.

Dem ukrainischen Vertreter in der Trilateralen Kontaktgruppe zur Regelung der Situation im Donbass, Leonid Kutschma, zufolge, wird Kiew mit den Vertretern der (pro-russischen) Kräfte über Kommunalwahlen in den von ihnen kontrollierten Gebieten im Donbass erst dann sprechen, wenn die Ukraine ihre vollständige Kontrolle über die Staatsgrenze wiederbekommt. Vor den Kommunalwahlen müssten erst alle Sicherheitsbedingungen der Minsker Vereinbarungen umgesetzt werden.

Die Wiederaufnahme ukrainischer Rundfunksendungen im Donbass. Bald wird in der Nähe von Slowjansk, auf dem Berg Karatschun, ein 180 Meter hoher Fernsehturm errichtet. Das teilte Oleksandr Bryginez, Berater des ukrainischen Ministers für Informationspolitik, mit. Der alte Fernsehturm wurde zu Beginn der Kampfhandlungen im Juli 2014 zerstört. Seitdem wurde der größte Teil des Gebietes Donezk (Norden) nicht mehr vom ukrainischen Rundfunk versorgt. Obwohl 50 Peilfunksender in der ATO-Zone aufgestellt wurden, konnten diese Gebiete nicht vollständig abgedeckt werden. Nur der neue Fernsehturm wird das Problem endgültig lösen können.

Aktueller Wochenbericht der ukrainischen Militäraufklärung. Während es an der Front ruhig blieb, hat Russland für seine Invasionskräfte weitere Militärtechnik in den Donbass verlegt. In dieser Woche haben die russischen Invasionskräfte aus Russland laut gesicherten Erkenntnissen der ukrainischen Militäraufklärung 38 Kampfpanzer, 14 gepanzerte Kampffahrzeuge, 12 Artilleriesysteme, 1750 Tonnen Treibstoff und über 560 Tonnen Munition erhalten. Mehr zum Thema >>>

Die Sonder-Monitoring-Mission (SMM) der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vermerkt für die vergangene Woche einen bedeutenden Rückgang der Kampfhandlungen im Donbass. Gleichzeitig bleibt die Gefahr dennoch hoch, besonders an den Stellen, wo sich die Konfliktparteien sehr nahe stehen. Mehr zumThema >>>

Menschenrechte. Okkupierte Krim

Das Ressourcenzentrum der Krimtataren veröffentlichte für April 2016 eine weitere Chronik über Vorfälle und Rechtsverletzungen auf der von Russland annektierten Krim. In der Übersicht werden insgesamt über 60 Verstöße genannt. Der gröbste Verstoß war die Massenfestnahme von Krimtataren in Pionerske am 1. April (Chronik auf Englisch).

Am 6. Mai kamen in der Ortschaft Molodischne auf der Krim bewaffnete Personen in eine Moschee der Krimtataren und nahmen nach dem Gebet zirka 100 Moslems fest. Nach einiger Zeit ließen sie die Leute mit der Forderung wieder frei, sich bei der Polizei zu melden. Der Vorsitzende der Medschlis des krimtatarischen Volkes, Refat Tschubarow, nannte den Zwischenfall eine Diskriminierung von Moslems.

In der okkupierten Ortschaft Jewpatorija wurden am 7. Mai 25 Krimtataren von russischen Beamten festgenommen und zur Vernehmung zur Polizei gebracht. Darüber berichtete der Journalist Osman Paschajew. Laut seinen Informationen hing diese Festnahme durch die Beamten mit einer Inhaftierung von Personen zusammen, die einen Mord in Krasnodar (Russland) begingen. Auf die Frage, weshalb Krimtataren verdächtigt wurden, aber keine Russen, antworteten die Untersuchungsbeamten, dass sie diese Anweisung „von oben“ erhielten.

In Russland wurde der Russe Andrej Bubejew für ein Post in dem Sozialen Netz „VKontakte“ zu 2 Jahren und 3 Monaten Strafkolonie verurteilt. Darüber berichtete seine Anwältin Swetlana Sidorkina. Er wurde für den Aufruf zum Extremismus und dem Verstoß gegen die territoriale Integrität von Russland angeklagt. Anlass für die Strafverfolgung von Bubejew war ein Repost des Publizisten Boris Stomachin mit dem Inhalt, dass die Krim zur Ukraine gehört, sowie ein Bild zu diesem Thema auf seiner „VKontakte-Seite“. Bubejew behauptet, dass er für seine Überzeugung verfolgt wird. Er erkennt seine Schuld nicht an. Zuvor schlug der Chef des Untersuchungsausschusses der Russischen Föderation, Alexander Bastrykin, vor, bei einer Nichtanerkennung des „Referendums über den Beitritt der Krim zur Russischen Föderation“, dies als Extremismus einzustufen. Dafür wäre eine entsprechende Änderung der Gesetzgebung notwendig (Meldung auf Englisch).

Laut Angaben des vom ukrainischen Präsidenten Bevollmächtigten zu Fragen der Krimtataren, Mustafa Dschemiljew, hält der FSB [Russischer Geheimdienst] 14 Krimtataren gefangen (Liste auf Englisch).

Gedenken an die Opfer des Zweiten Weltkriegs. Eine neue ukrainische Tradition

Seit zwei Jahren ist die Ukraine bemüht, von der Tradition der “Feier des Siegs über Nazi-Deutschland” zu einer Tradition des “Gedenkens” überzugehen. Die Ukraine hat den 8. Mai zum “Tag des Gedenkens und der Versöhnung” erklärt, entsprechend der internationalen Praxis. An dem Tag soll allen Opfern des Zweiten Weltkriegs gedacht werden. Als Symbol zum Gedenken an sie wurde die rote Klatschmohn-Blüte ausgewählt (Nachricht in englischer Sprache).

Trotz dieser Änderungen, die von der Umsetzung des Gesetzes über die De-Kommunisierung (Verbot der Verwendung kommunistischer Symbole) begleitet wird, gibt es in der Ukraine immer noch Streit zwischen den “beiden Traditionen”. Beispielsweise kam es heute in Kiew und Charkiw, als Blumen an den Denkmälern für die Soldaten des Zweiten Weltkriegs niedergelegt wurden, zu kleineren Zusammenstößen zwischen pro-ukrainischen Aktivisten und denjenigen, die mit roten sowjetischen Flaggen gekommen waren und das Sankt-Georgs-Band trugen. Das Sankt-Georgs-Band verwenden die pro-russischen Kräfte im Osten der Ukraine als ihr Symbol. Es wurde von der russischen Propaganda als Symbol für den Kampf gegen die “Kiewer Junta” massiv propagiert.

In den besetzten Städten Donezk und Luhansk fand zu Ehren des Tags des Siegs eine Parade mit militärischem Gerät statt, das gemäß den Minsker Vereinbarungen verboten ist. Ähnliche Paraden wurden auf der Krim abgehalten.

Das Ukrainische Institut für nationales Gedenken (UINP) hat gemeinsam mit Partnern – anlässlich des 71. Jahrestags des Endes des Zweiten Weltkriegs zum Gedenken an die Opfer – mehrere Projekte im Informations- und Bildungsbereich vorbereitet: die Internetseite “Die Ukraine im Zweiten Weltkrieg”, das Frauen-Projekt “Krieg macht keine Ausnahmen” sowie das Buch “Krieg und Mythos”. Die Projekte eint das gemeinsame Ziel, sich von den im sowjetischen historischen Diskurs geschaffenen Mythen und der sowjetischen Heroisierung von Ereignissen im Zweiten Weltkrieg zu lösen und “den Menschen ihre Geschichte wiederzugeben”. Mehr zum Thema >>>

Korruptionsbekämpfung

Die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine versucht ständig, das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) zu diskreditieren. Darüber berichtete der Chef des NABU, Artem Sytnik. „Früher war die Zustimmung eines anderen Staatsanwalts notwendig, um einen Staatsanwalt festzunehmen, aber jetzt gibt es ein Organ, das diese Methode außer Kraft setzt. Außerdem haben die Beteiligten von öffentlichen Strafverfahren und jene, die dahinter stehen, Zugang zu Medien, weshalb gegen das NABU regelmäßig eine diskriminierende Informationskampagne durchgeführt wird“, sagte Sytnik. Er merkte auch an, dass die Generalstaatsanwaltschaft unter dem Druck der Öffentlichkeit damit begann, Fälle zu übergeben, mit denen sich derzeit das NABU beschäftigt.

Umfrage

In der Ukraine wurde die Untersuchung „Landschaft der Diskriminierung: Geschlecht und Gender“ durch das Informationszentrum „Maidan Monitoring“ und das Untersuchungsbüro „Sociologist“ mit Hilfe der Europäischen Kommission durchgeführt. Jeder dritte Ukrainer (33 Prozent) meint, dass es bei der „Arbeitssuche und im Arbeitsleben“ die größte Diskriminierung gibt. 44 Prozent meinen, dass Frauen in der Ukraine ohne Grund weniger Möglichkeiten bei der Arbeit haben als Männer. Zwischen 41 und 58 Prozent der Befragten meinen, dass Frauen zu ihrer traditionellen Gesellschaftsrolle zurückkehren sollen. Was die Beziehung zu sexuellen Minderheiten angeht, wird eine katastrophale Situation beobachtet: 65 Prozent der Ukrainer meinen, dass Schulen das Recht haben sollen, solche Lehrer zu entlassen, wenn diese homosexuell sind (Untersuchungstext auf Ukrainisch).

Reformen

In der vorigen Woche waren folgende Reformen wichtige Themen: die Reform des Energiesektors, Makrofinanzielle Stabilisierung, Anti-Korruption-Reform, Reform des öffentlichen Dienstes. Hier finden Sie eine Zusammenfassung auf Deutsch zu den genannten Reformthemen (auf Deutsch).

Wirtschaft

2015 und im ersten Quartal 2016 schlossen auf dem ukrainischen Markt 47 Banken und 104 Nicht-Bankfinanzinstitutionen. Außerdem erklärten sich 44 Banken als zahlungsunfähig. Dies steht im Jahresbericht des Rats über die finanzielle Stabilität, der auf der offiziellen Website der Ukrainischen Nationalbank veröffentlicht wurde.

Die Ukrainer verarmten noch stärker. Das besagen die Zahlen des Staatsausschusses für Statistik (Goskomstat), der die Einnahmen- und Ausgabenstruktur der Bevölkerung für 2015 veröffentlichte. Laut diesen Daten gaben die Ukrainer das meiste Geld für den Kauf von Waren und Dienstleistungen aus (89,8 Prozent). Dabei waren die Haupteinnahmequellen für das Familienbudget Löhne und Gehälter (39 Prozent), sowie Sozialhilfe (fast 37,8 Prozent). Die Einnahmen der Ukraine betrugen für 2015 fast 1,744 Billionen Hryvna. Der Staatsausschuss merkte an, dass das Pro-Kopf-Einkommen bei 31.082 Hryvna lag, was um 4.300 Hryvna mehr war als 2014. Anders ausgedrückt blieben nominell 15 Prozent mehr im Geldbeutel, doch unter Berücksichtigung der Preissteigerung für Lebensmittel und Kommunaltarife waren es um 22,2 Prozent weniger. 2015 lag die Inflation bei über 43 Prozent, und 2014 bei 25 Prozent.

2014 und 2015 sank die Anzahl ausländischer Touristen in der Ukraine gegenüber 2013 um über 90 Prozent. Laut Daten des Staatlichen Statistikamts (Gosstat) besuchten 2015 15.159 ausländische Touristen die Ukraine, und 2014 waren es 17.070. Zum Vergleich: 2013 kamen über 232.000 ausländische Gäste in die Ukraine.

Die Ukrainische Nationalbank kündigte am 5. Mai an, dass sobald die ukrainische Wirtschaft weitere Anzeichen der Stabilisierung zeigt, sie die Beschränkungen für ausländische Währungen erleichtert (Artikel in der KyivPost).

Analyse

Wie Russland in die Ostukraine einmarschiert ist und seine Invasionskräfte steuert. Von einem Feld bei Kusminka im Oktober 2013 bis zum Kessel von Illowajsk und dem Einmarsch in das Donezker und Luhansker Gebiet mit regulären Verbänden der russischen Streitkräfte bis zum Aufbau einer Invasionsstreitmacht im Donbass. Russland leugnet weiter seine eigentliche Rolle und verkauft sich im Prinzip als Vermittler. In Wahrheit kann man Russland mit Hilfe von Google Earth am eigenen PC innerhalb von 15 Minuten als den Aggressor klar identifizieren. Analyse von Jan Schönfelder, interdisziplinärer Ukraine- sowie Mittel- und Osteuropa-Spezialist.