Ohne Chance. Wie der russische Geheimdienst FSB Menschen in Gefangenschaft bricht

Die am 14. Juni freigelassenen Ukrainer Hennadij Afanasjew und Jurij Soloschenko berichten Journalisten der Internetzeitung Ukrainska Prawda in ihrem ersten Interview nach ihrer Gefangenschaft, welche Folter und Misshandlungen sie in Russland ertragen mussten. Das Ukraine Crisis Media Center veröffentlicht eine verkürzte Fassung des Interviews.

Hennadij Afanasjew

Geboren wurde er im November 1990 in Simferopol. Er absolvierte Rechtswissenschaften an der Nationalen Tawrija-Universität und arbeitete als Fotograf. Während der Besetzung der Halbinsel durch Russland half er den ukrainischen Militärs, die auf der Krim stationiert waren. Er nahm an Protestaktionen teil. Im Jahr 2014, als Hennadij verhaftet wurde, war er erst 23 Jahre alt. Jetzt ist er 25. Er erzählt den Journalisten seine Geschichte.

Die Festnahme. “Am 9. Mai 2014 ging ich in Simferopol mit einem Foto meines Urgroßvaters auf die Parade anlässlich des Tages des Sieges (über Nazi-Deutschland). Danach ging ich zu einer Bekannten, die in der Nähe, im Zentrum, wohnte. Aber unterwegs griffen mich bewaffnete junge Männer in Zivil an und stießen mich in ein Auto.”

Wie er zu einem “Geständnis” gezwungen wurde und warum. “Erst redeten sie, drohten mir, ich sagte nichts. Am ersten Tag gab es einfach Schläge. Dann brachten sie mich in den zweiten Stock – zu “speziellen Leuten” und zum Ermittler. Wieder stellten sie verschiedene Fragen. Als ihnen klar wurde, dass ich keine Fakten weiß, für die sie sich interessieren, verlangten sie von mir, gegen mich selbst auszusagen. Ich sollte gestehen, dass ich angeblich das Denkmal der “Ewigen Flamme” am 9. Mai sprengen wollte. Das ist absurd, weil ich selbst unter den Leuten war, die zum Denkmal gingen! Dort wurde ich festgenommen und das haben viele Leute gesehen. In jenem zweiten Stock, um blaue Flecken zu vermeiden, zogen sie sich  Boxhandschuhe an und schlugen auf meinen Kopf ein. Dann begannen sie mich grausam zu foltern. Sie zogen mir eine Gasmaske über den Kopf und sprühten irgendetwas durch das aufgeschraubte Ventil. Danach begann ich mich zu erbrechen und wegen dieser Maske zu verschlucken. Sobald man sich verschluckt, nehmen sie die Maske herunter und geben einem Ammoniak zu riechen. Und das immer wieder.

Als nächstes wurden Kabel an den Genitalien angebracht und es gab Stromschläge. Das Erwürgen konnte man noch aushalten, aber dies war schon ein ganz anderer Schmerz. SO zwangen sie mich, Dokumente zu unterschreiben. Einfach unterschreiben und das war´s. Mir war klar, was dort stand. Ich sah, was dort geschrieben war. Aber selbst habe ich nichts geschrieben, alles war bereits vorbereitet, der ganze Text.

Zum Schluss, als sie verlangten, mit ihnen eine Abmachung zu treffen, zogen sie mich aus und legten mich auf den Boden. Dabei wurde ich von irgendwelchen Leuten festgehalten. Mit einem Lötkolben näherten sie sich meinem Körper und sagten, was passieren würde, wenn der Lötkolben unter mir läge. Aber nun das Wichtigste. Sie drohten, meiner Mutter einen Besuch abzustatten. Das hat gewirkt. Ich werfe mir heute vor, dass ich nicht stärker war. Ich habe meine Worte zurückgezogen, aber… Ich habe diese Dokumente (Aussage gegen Senzow und Koltschenko) unterschrieben. Danach wurde ich nach Moskau gebracht. Mit den gleichen Drohungen zwangen sie mich, im Fernsehen aufzutreten und das zu sagen, was sie wollten. Ich hatte vor Augen, was sie mir in den Tagen vorher angetan hatten, und ich glaubte nicht, dass mich jemand schützen kann, damit dies nicht wieder passiert. Deshalb wiederholte ich einfach das, was sie von mir verlangten.”

Afanasjew sagte gegen Senzow und Koltschenko aus. Wie Afanasjew die Aussage gegen Senzow und Koltschenko zurückzog. “Die ganzen eineinhalb Jahre tobte in meiner Seele ein schrecklicher Konflikt wegen meiner Aussage gegen die unschuldigen Männer. Ich hielt bis zu ihrem Gerichtstermin durch, weil ich dachte, dass wenn ich meine Aussage widerrufe, man mich nicht vor Gericht laden wird. Ich wollte, dass es zu einer Überraschung vor Gericht kommt. Ich wartete. Ich war sicher, das sei mein Ende. Ich schrieb Briefe an meine Mutter und meine Freunde mit der Bitte um Vergebung meiner Sünden. Dann ging ich zum Gerichtsprozess.”

Die Strafe für die Aussageverweigerung gegen Senzow und Koltschenko. “Die Russen haben ihre Versprechen gehalten. Sie brachten mich in den heutigen GULAG in der Republik Komi, die einzige Strafkolonie dieser Art in Russland.

Ich war nicht einmal in der eigentlichen Strafkolonie, sondern in einer Baracke in strenger Haft. Das kann man nicht beschreiben. Wer nicht dort war, kann es sich nicht vorstellen.

Selbst die Fahrt dorthin war sehr beschwerlich. Draußen waren es 40 bis 45 Grad Hitze. Die Waggons heizten sich so auf, dass sie von Löschfahrzeugen gekühlt werden mussten. Drinnen gab es kein Wasser, keine Toiletten. Solche Bedingungen sind für Gefangene in Russland üblich. Sie leben wie Tiere, anders kann man das nicht nennen.”

Der GULAG. “So groß ist die Baracke: Eineinhalb Meter von den Wänden entfernt stehen die Gitter. Dahinter patrouillieren die Wachen. Man kommt sich vor wie in einem Zoo. Überall sind Menschen, die einen angucken. Man lebt mit 100 Personen auf 150 Quadratmetern. Man kann nirgendwo sitzen und darf nicht liegen, alles ist verboten. Das ist die erste Baracke dieser Art mit einer solch “strengen Ordnung” in ganz Russland.

Aber ich habe mich über die Bedingungen ständig beschwert. Wissen Sie, nachdem ich vor Gericht gesagt hatte, dass Koltschenko und Senzow unschuldig sind, hat sich etwas in mir verändert. Ich hatte keine Angst mehr”.

Jurij Soloschenko

Geboren wurde er im Gebiet Poltawa. Er absolvierte die Nationale Universität Charkiw. 48 Jahre lang arbeitete er in der Rüstungsfabrik “Snamja”. Im Jahr 2010 ging er in Rente. Trotz Schließung der Fabrik, nutzte er seine alten Kontakte und half Kiew und Moskau beim Handel mit Sonderausrüstungen. Er ist verheiratet und hat einen Sohn. Jurij Soloschenko wurde verhaftet, als er 72 Jahre alt war. Jetzt ist er 74.

Die Festnahme. Jurij Soloschenko wurde im August 2014 in Moskau festgenommen, wohin er für einen Tag zu einem Geschäftstreffen gereist war. Er wurde der Spionage beschuldigt.

“Ich war beim Termin mit meinem Bekannten. Er bat mich nach Moskau zu kommen und eine Ausrüstung zu prüfen. Plötzlich stürzten bewaffnete Polizisten ins Zimmer.

Der Oberstleutnant sprang mich an, drückte mich gegen die Wand, sagte: “Hände an die Wand und die Füße schulterbreit stellen.” Mir war nichts klar. Sie durchsuchten mich und nahmen mir zwei Telefone ab. Sie gaben sie mir in einem Plastikbeutel zurück: “Nimm deine Handys.” Ich sah, dass darin irgendwelche Papiere mit meinen Handys lagen.

Ich sagte: “Das gehört mir nicht.” “Nein, das gehört Ihnen. Sie sind damit gereist”, sagte man mir.

Wie es sich herausstellte, hatten sie irgendwelche angeblich geheime Dokumente vorbereitet, und ich sei angeblich nach Russland gekommen, um sie zu stehlen.

Der einzige “Beweis” sind diese Handys und die Dokumente, die sie mir selbst untergeschoben haben. Auf den Papieren gab es nicht einmal Fingerabdrücke von mir. Ich habe sie nicht gelesen, ich weiß bis heute nicht, was in diesen Papieren steht. Sie haben mich überhaupt nicht interessiert.”

Wie der Prozess verlief. “Als der Anwalt Geld bekam, sagte er sofort: “Sie haben zwei Möglichkeiten: Wenn sie sich schuldig bekennen, dann bekommen Sie die Mindeststrafe von zehn Jahren. Wenn Sie sich nicht schuldig bekennen, bekommen Sie 20 Jahre Haft.” Und ich sagte ihm: “Schau mich an. Machen zehn oder 20 Jahre für mich einen Unterschied? Ich werde mich natürlich nicht schuldig bekennen.” Ich hatte zehn Monate lang keinen Anwalt. Acht Monate lang wurde der ukrainische Konsul nicht zu mir gelassen”.

“Der Prozess war nicht öffentlich, niemand war zugelassen, weder das Fernsehen, noch der Konsul. Während der dritten Gerichtsverhandlung habe ich zu meiner eigenen Verteidigung ausgesagt. Der Richter hörte mir zu. Doch im Urteil steht, das Gericht habe meine Worte “kritisch” aufgefasst.

Am 14. Oktober 2014 wurde das Urteil gesprochen. An diesem Tag war jeder zugelassen, sowohl Menschenrechtsaktivisten als auch der Konsul.

[Anmerkung: Soloschenko kooperierte mit den Ermittlern. Ihm wurde versprochen, sollte er sich der Spionage schuldig bekennen, in der Wohnung seines Freundes im Gebiet Moskau unter Hausarrest gestellt zu werden. In Wirklichkeit wurde Soloschenko aber irregeführt]

Die Strafe. “Es kam ein Brief und darin stand, dass das Urteil vollstreckt und ich an den Ort des Strafvollzugs geschickt werden muss. Zu dieser Zeit war ich in Moskau im Gefängnis-Krankenhaus. Ich wurde dort direkt abgeholt”.

“… Diese Stolypin-Waggons. Sie sehen wie gewöhnliche aus: ein Korridor, entlang des Korridors gibt es Abteile, nur dass dort überall Gitter sind. Fenster haben die Abteile keine. Auf beiden Seiten sind jeweils drei Liegen. Im Abteil sind zwölf Personen und alle rauchen. Ich fragte die Wache: “Wenn im Abteil Feuer ausbricht, öffnet Ihr dann das Gitter, damit wir hinausspringen können?” Er sagte: “Nein, für mich ist es viel einfacher, Euch abzuschreiben, als später dafür geradezustehen, dass Ihr alle weggelaufen seid.”

Bevor ich in die Strafkolonie gebracht wurde, kam ich für zwei Wochen ins Gefängnis-Krankenhaus in Nischnij Nowgorod. Aber mir wurde schlecht und ich wurde ins regionale Gefängnis-Krankenhaus der Strafkolonie 5 gebracht. Dort lag ich 2,5 Monate. Von dort wurde ich in die Strafkolonie überführt.”

“Ich wurde nicht geschlagen. Sie versuchten mich seelisch zu brechen. Ich hatte nichts zu verlieren… Natürlich, ich wollte meine Enkel wiedersehen.”

“In Russland kann man nicht mit irgendeiner Menschlichkeit rechnen. Dieses Monster, Russland, hat nur einen Machthaber – diesen Herrscher der ganzen “Rus” und seine “Opritschniki” vom FSB”.