Wochenübersicht der ukrainischen Pressenachrichten vom 28.06.2016 bis 04.07.2016

Die Situation in der Zone der Anti-Terror-Operation

Der Stab der Anti-Terror-Operation hat eine Zunahme der Angriffe seitens prorussischer Militärverbände festgestellt. Allein gestern wurden die ATO-Kräfte 61 Mal beschossen, darunter 38 Mal im Frontabschnitt Donezk und 20 Mal im Frontabschnitt Mariupol. Die prorussischen Militärverbände setzten schwere Artillerie ein, und zwar mit einem Kaliber von 122 Millimetern (bei Pisky und Saizewe) und Granatwerfer mit einem Kaliber von 120 Millimetern (bei Awdijiwka und Nowhorodske). Das teilte der ATO-Sprecher Oleg Suschynskij mit. (Meldung auf Englisch).

Ebenfalls gestern wurde die ukrainische Siedlung Torezk von prorussischen Militärverbänden beschossen. Dabei wurden Häuser der Zivilbevölkerung zerstört. Das teilte der Chef der Hauptverwaltung der nationalen Polizei der Ukraine im Gebiet Donezk, Wjatscheslaw Abroskin, mit.

In der vergangenen Woche wurden die ukrainischen Streitkräfte insgesamt 365 Mal von den vorübergehend besetzten Gebieten Donezk und Luhansk aus beschossen. Infolge der Kampfhandlungen und durch Sprengfallen wurden vier ukrainische Soldaten getötet und 35 weitere verletzt. Nahe Luhanske wurde der ukrainische Opernsänger Wasyl Slipak getötet. Er gehörte einem ukrainischen Freiwilligen-Korps des “Rechten Sektors” an. Angegriffen hatten prorussische Militärverbände aus Debalzewe. Nach Angaben eines Soldaten, der mit Slipak im Einsatz war, setzten die prorussischen Militärverbände erst Artillerie, dann Panzer und Infanterie ein. Die ukrainischen Streitkräfte hatten versucht, den Angriff abzuwehren.

Im Frontabschnitt Luhansk haben die Konfliktseiten ihre Kräfte und Militärtechnik an die Frontlinie vorgeschoben. Das teilte der stellvertretende Leiter der Sonderbeobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE-SMM), Alexander Hug, mit. Bei Twitter meldete die OSZE-SMM eine Zunahme von Gewalt in den nördlichen und westlichen Vororten der besetzten Stadt Horliwka.

In dieser Woche hat die ukrainische Militäraufklärung 39 Kampfpanzer, 53 Artilleriesysteme und Artillerie auf Selbstfahrlafetten der Invasionskräfte im Frontbereich festgestellt. Dabei befinden sich weiterhin Mehrfachraketenwerfersystene an der Kontaktlinie. Vom 24.06.-30.06.2016 wurden folgende Verluste bei den russischen Invasionskräften festgestellten: 30 russische Militärangehörige wurden getötet und 37 verwundet (Bericht auf Deutsch).

Menschenrechte

Der russische Anwalt Mark Feigin berichtet, er habe das russische Menschenrechtszentrum “Memorial” um Unterstützung gebeten. Es handele sich um seinen Mandanten, den stellvertretenden Vorsitzenden des Medschlis der Krimtataren, Ilmi Umerow, dem auf der von Russland annektierten Krim “Separatismus” vorgeworfen werde. Feigin möchte, dass Umerow als politisch Verfolgter anerkannt wird.

Die besetzte Krim

Der sogenannte Vize-Gouverneur der Krim, Aleksandr Reschetnikow, hat die russische Regierung aufgefordert, das Wahlprogramm der Partei “Jabloko” auf Extremismus hin zu prüfen. Darin wird das Vorgehen Russlands auf der besetzten ukrainischen Halbinsel Krim als Annexion bezeichnet. Das berichtet Radio Liberty unter Berufung auf russische Medien.

Die russische Partei “Jabloko” hatte am 1. Juli ihr Wahlprogramm für die Wahlen zur russischen Staatsduma, die für den 18. September 2016 anberaumt sind, vorgestellt. “Unsere Position ist eindeutig: wir treten für die Unverletzlichkeit der Grenzen in Europa und die territoriale Integrität der Ukraine ein. Wir sind der Ansicht, dass die Krim der Ukraine gehört, dass die Annexion illegal ist und rückgängig gemacht werden muss. Wir glauben, dass die Bewohner der Halbinsel gemäß entsprechender Gesetz selbst über die Zukunft der Krim bestimmen müssen”, heißt es im Wahlprogramm.

Am 2. Juli hat in Simferopol eine Gruppe Aktivisten versucht, eine öffentliche Aktion zur Unterstützung der politischen Gefangenen Oleh Senzow und Oleksandr Koltschenko durchzuführen. Beide stammen von der Krim und sitzen derzeit in russischen Gefängnissen. Laut den Organisatoren sollte die Kundgebung vor dem Gebäude der Abteilung des russischen Geheimdienstes FSB auf der Krim stattfinden. Doch die Teilnehmer standen dort nur wenige Minuten, da die Aktion von der russischen Polizei sofort unterbunden wurde.

Medien: Kommt wieder Druck seitens der Politik?

Experten des Instituts für Massenmedien (IMI) haben festgestellt, dass bei Medien wieder zunehmend bestellte Artikel auftauchen, vor allem zugunsten der politischen Parteien “Oppositionsblock”, “Radikale Partei”, “Volksfront”, “Block Petro Poroschenko” und “Wiedergeburt”. Im Mai wurden pro Woche 53 bestellte Artikel gezählt, in Juni 75. Vor allem nehmen bestellte Artikel zu politischen Themen zu. Im Juni betrug das Verhältnis bestellter Artikel zu politischen und wirtschaftlichen Themen 88 zu 12 Prozent.

Untersucht wurden die sechs führenden Online-Medien “Obosrewatel”, “LB.ua”, “Ukrajinska Prawda” sowie die Nachrichtenagenturen “Ukrinform”, “Liga” und “UNIAN”. So wurden nach Angaben von IMI bei der Internetzeitung “Ukrajinska Prawda” und bei “Ukrinform” keine bestellten Artikel gefunden. Die meisten gab es im Juni bei “Obosrewatel”: 33 pro Woche, darunter elf für den “Oppositionsblock” und neun für die “Radikale Partei”. Bei “UNIAN” kam man auf 27 bestellte Artikel pro Woche, meist zugunsten der “Volksfront”, des “Blocks Petro Poroschenko” und der Partei “Wiedergeburt”.

Wie stehen die Ukrainer zu Korruption?

Immer mehr Ukrainer sind bereit, Korruption anzuzeigen. Das teilte der Experte von Transparency International Ukraine, Oleksandr Kalytenko, mit. Ihm zufolge waren im Jahr 2014 nur 13 Prozent der Ukrainer bereit, Korruption aufzudecken. Im November 2014 hatte Transparency International die Kampagne “Sie würden nicht schweigen!” durchgeführt. Mit ihr wurde erläutert, wie wichtig es ist, gegen Korruption vorzugehen. Nach der Kampagne gaben 45 Prozent der Ukrainer an, bereit zu sein, Korruption anzuzeigen. Doch obwohl die Anzahl der potenziellen Anzeigeerstatter um das Doppelte gestiegen ist, erstatten nur zwei Prozent von ihnen tatsächlich Anzeige.

Wirtschaft: Russlands Embargo gegen den Westen sowie der Handels- und Gaskrieg gegen die Ukraine

Das ukrainische Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel hat vorgeschlagen, als Reaktion auf das bis Ende 2017 verlängerte russische Embargo gegen Lebensmittel auch die ukrainischen Gegen-Sanktionen entsprechend zu verlängern. Das erklärte am Donnerstag die stellvertretende zuständige Ministerin und Handelsbeauftragte der Ukraine, Natalija Mykolska.

Darüber hinaus hat Moskau zusätzliche Einschränkungen für den Transit ukrainischer Waren über russisches Territorium eingeführt. Das teilt das Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Handel der Ukraine auf seiner Webseite mit. Betroffen ist der Transit nach Kasachstan und Kirgisistan.

Auch die Konfrontation zwischen Russland und der Ukraine im Gasbereich dauert an. Gazprom ist der Ansicht, dass die Ukraine die Gaslieferungen in die von Kiew nicht kontrollierten Gebiete der Ostukraine bezahlen muss. Die entsprechenden Schulden von Naftogaz Ukrajiny würden sich inzwischen auf 718,5 Millionen US-Dollar belaufen, sagte der Gazprom-Vorstandsvorsitzende Aleksej Miller.

Die staatliche Aktiengesellschaft Naftogaz Ukrajiny weist die Forderungen von Gazprom zurück. So habe Naftogaz bei Gazprom seit November 2015 kein Gas mehr gekauft. Bis dahin habe Naftogaz nur ab den Punkten des Eintritts russischen Gases in das ukrainische Gastransportsystem, die sich auf den von Kiew kontrollierten Gebieten befinden, Gas importiert. Alle so gekauften Mengen seien bezahlt worden. Naftogaz machte deutlich, kein Gas laut Vertrag mit Gazprom an den Messstationen Prochoriwka und Platowo anzunehmen, die sich außerhalb der Kontrolle Kiews befinden.

Aleksej Miller erklärte, Gazprom sei bereit, der Ukraine Gas zu einem Preis von 167,57 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter gegen Vorkasse zu liefern.

Kultur: Was soll man mit den Museen im Frontgebiet tun?

Am 7. Juli 2016 um 13.00 Uhr findet im Ukraine Crisis Media Center eine Konferenz zum Thema “Die Neuordnung und Einrichtung von Museen im Frontgebiet als Instrument der humanitären Politik” statt. Auf der Konferenz soll über die humanitäre Politik in der Ukraine diskutiert werden, insbesondere in den Gebieten, die besetzt waren. Erörtert werden soll auch eine Neuordnung der Museen in der Ukraine, insbesondere in den Frontgebieten (beispielsweise des Heimatkunde-Museums in Slowjansk). Gesprochen werden soll auch über Erfahrungen bei der Einrichtung von Museen in Industrieregionen im Ausland sowie deren positive Auswirkungen auf die Entwicklung von Regionen. Vorgestellt werden sollen auch die Museumsprojekte “Switlohrad”, “Luhansk Arts & Facts” sowie “Museum für Zeitgeschichte des Donbass”. Sie zielen darauf ab, die Geschichte der Regionen Luhansk und Donezk zu erforschen und neue Sichtweisen zu ihr zu finden.

Nachfolgend eine Auswahl an englischsprachigen Interviews, Analysen und Videos zur Situation in der Ukraine

Reportage

Während die Ukraine dem in der Ostukraine getöteten Opernsänger Wasyl Slipak gedenkt, bringt das russische Fernsehen Interviews mit dessen mutmaßlichen Mörder. Artikel von KyivPost.

Reportage von Hromadske über Wasyl Slipak, den Freiwilligen, der am 28. Juni in der Ostukraine getötet wurde.

Unter den Todesopfern des Terroranschlags in Istanbul sind zwei Ukrainer. Reportage von Ukraine Today.

Der von Russland freigelassene Hennadij Afanasjew berichtet über seine Haft in Russland. Reportage von Hromadske International.

Die OSZE hat Bilder von ihrer am 21. Mai abgeschossenen Drohne veröffentlicht. Reportage von Ukraine Today.

Zwei neue politische Parteien in der Ukraine. Reportage von KyivPost.

Russland setzt seinen Lebensmittel-Krieg gegen den Westen fort. Reportage von Ukraine Today.

Ukrainische Fotografen haben den angesehenen Wettbewerb Vogue Italia gewonnen. Reportage von Ukraine Today.

Interviews

In der Ukraine verbessert sich das Geschäftsklima. Interview von Ukraine Today mit dem stellvertretenden Business-Ombudsmann Jaroslaw Hrehirtschak.

Brexit – Parallelen zur Ukraine. Interview von Hromadske International mit Peter Pomerantsev.

Rechtsextreme Kräfte in den Niederlanden, in Frankreich und Schweden möchten dem Brexit-Beispiel folgen, aber das wird ihnen nicht gelingen. Interview von Ukraine Today mit dem außenpolitischen Experten Oleksandr Chara.

Im Donbass spitzen sich die Verstöße gegen die Minsker Vereinbarungen zu. Interview von Hromadske International mit Mychajlo Samus, dem Direktor des Forschungszentrums für Fragen der Armee, Konversion und Abrüstung.

Über die Rechte von Frauen in der ukrainischen Armee. Interview von Hromadske International mit Natalia Karbowska, Vorstandsmitglied der Ukrainischen Frauen-Stiftung.

Meinung

Warum David Cameron “Janukowytsch im Rückwärtsgang” ist. Ein Beitrag des ukrainischen Politikwissenschaftlers Witalij Portnikow. Übersetzung von Ukraine Today

Analyse

Experten: Wie der Brexit die Zukunft der Ukraine beeinflussen wird. Analyse von Ukraine Today.

Die zwölf größten Errungenschaften der ukrainischen Reformen. Analyse von Reanimation Package of Reforms

Wo Putins Russland endet. „Novorossija“ und die Entwicklung des Nationsverständnisses in der Ukraine. Im Frühjahr 2014 hing der Bestand der unabhängigen Ukraine am seidenen Faden. Nachdem Russland bereits die Halbinsel Krim annektiert hatte, begann ein hybrider Krieg auch im Osten des Landes. Zu diesem Zeitpunkt stand die Losung von einem „Neurussland“, einer „Rückeroberung“ des Südostens der Ukraine durch Moskau, hoch im Kurs. Das schließliche Scheitern der „Neurussland“-Idee ist vor allem auf Entwicklungen innerhalb der Ukraine zurückzuführen, in der nicht nur ethno-nationale Zugehörigkeiten, sondern auch staatspolitische Loyalitäten seit 1991 neu verhandelt wurden. Bericht von Dr. André Härtel ist DAAD-Fachlektor für Deutschland- und Europastudien am Institut für Politikwissenschaft der Nationalen Universität „Kiewer Mohyla-Akademie“ in der Ukraine.