Kirchenprozession. Wer braucht einen Friedensgottesdienst und wozu?

Zwei Woche ging eine „Kirchenprozession“ in der Ukraine, die von der ukrainisch-orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats organisiert wurde. Die Gläubigen marschierten in zwei Gruppen: die eine startete in der Westukraine beim Swjato-Uspenska Potschajiwska Lawra; die zweite in der Ostukraine beim Swjato-Uspenska Swjatohirska Lawra. Am 27. Juli haben sie sich in Kiew getroffen, um gemeinsam zum Kiewer Petschersker Lawra zu gehen.

Anastasia Ringis, Journalistin bei „Ukrainska Prawda“, versuchte zu klären, worauf dieses Ereignis gründet und wem diese Kirchenprozession nutzt, die nicht nur zur Spaltung der Gläubigen führen kann, sondern auch zu Aggressionen bei radikal-gestimmten Ukrainern.

Der vollständige Artikel wurde auf der Website von „Ukrainska Prawda“ veröffentlicht. Das Ukraine Crisis Media Center übersetzte eine gekürzte Version ins Deutsche:

Grund 1: Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche (Moskauer Patriarchats) kämpft um ihren Einfluss in der Ukraine

Die Kirchenprozession von Gläubigen der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats (UOKMP) wurde am 3. Juli angekündigt.

Dazu sei daran erinnert, dass es in der Ukraine mindestens fünf christliche Kirchen gibt: das Moskauer Patriarchat, das Kiewer Patriarchat, die griechisch-katholische Kirche, die katholische Kirche und die autokephale Kirche. Diese Kirchenprozession wurde gerade von der UOKMP initiiert.

Am 27. Juli sollte sich die Kirchenprozession aus dem Westen und Osten des Landes am Wladimir-Berg in Kiew treffen, wo der Legende nach die Christianisierung der Kiewer Rus stattfand. Dort wollte der Vorsteher der UOKMP, Onufrij, einen Friedensgottesdienst abhalten.

Die UOKMP äußerte sich in den vergangenen Tagen praktisch nicht zu dem bevorstehenden Gottesdienst.

Allerdings erklärte eine Quelle von „Ukrainska Prawda“, die der Synode des UOKMP nahe steht, die Situation um die Kirchenprozession damit, dass sich die Moskauer Kirchengemeinde in letzter Zeit etwas ausgeschlossen fühlt.

„Das Ziel des Gottesdienstes ist voller guter Vorsätze. Wir wollen zusammen mit der Kirchengemeinde für den Frieden in der Ukraine beten“, kommentierte er.

Laut Angaben der Quelle von „Ukrainska Prawda“ entstand die Idee zu dem Friedensgottesdienst innerhalb der Kirche selbst, wurde allerdings aktiv von außen unterstützt.

1854603

photo: korrespondent.net

Grund 2: Eine hybride Kriegsführung mit Religion

In der Russischen Föderation gehört die Kirche zum Machtapparat. Die Ukrainisch-orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats ist wie bekannt der Russisch-orthodoxen Kirche unterstellt.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass ihre Position oftmals der der Russisch-orthodoxen Kirche entspricht. Die UOKMP kritisierte den Maidan, den Krieg und die Regierungshandlungen. Und manche Priester dieses Patriarchats unterstützen die pro-russischen Rebellen im Osten des Landes.

Zum Beispiel erinnert man sich in Slowjansk bis heute an Vater Witalij aus der Heiligen Auferstehungskirche, der eine Gruppe von Strelkow im orthodoxen Kulturzentrum beherbergte und Frauen mit Ikonen organisierte, um dadurch ukrainische Soldaten aufzuhalten. Ein weiterer Zeitvertreib von ihm war, zu ukrainischen Checkpoints zu fahren und dort die Soldaten zu verfluchen.

Der Religionswissenschaftler und Direktor des Zentrums für Nahostforschung, Igor Semiwolos, meint, dass die „Russische Welt“ auf dem Gebiet der Ukraine unter ging, und dass das einzig verbleibende Bollwerk dieser „Welt“ gerade noch die Kirche ist.

„In der neuen Realität ist für die UOKMP unter der neuen Sozialordnung immer weniger Platz. Wenn auch noch die religiöse Identität zerstört wird, bleibt für die „Russische Welt“ fast keine Stütze mehr“, meinte der Experte.

Igor Semiwolos ist davon überzeugt, dass der Gottesdienst des Moskauer Patriarchats als Mobilisierung wahrgenommen wird und die Hauptaussage ist: „Lasst die Finger von uns, denn wir haben genug Ressourcen“.

659382

photo: donbass.ua

Grund 3: Mobilisierung der Wählerschaft für den Oppositionsblock

Die Quelle von „Ukrainska Prawda“ nennt Wadim Nowinskij als Hauptsponsor für die Kirchenprozession. Er ist Abgeordneter für den Oppositionsblock und Juniorpartner von Rinat Achmetow, Besitzer der „Smart-Group“ und „Smart-Holding“. Gerade in den letzten Wochen sprach er des öfteren über den Schutz von Gläubigen als er die Notwendigkeit für den Friedensgottesdienst erklärte.

Der Politologe Sergej Gajdaj bezeichnet den Gottesdienst als politische Aktion und erinnert daran, wie Anhänger der „Partei der Regionen“ oft Gläubige, sowie übrigens auch die Schachtarbeiter, in Situationen benutzten, als es darum ging, sich mit Behörden zu einigen.

Er nennt die religiöse Aktion eine „weiche Demonstration der Macht“, wobei das gut geplant war. Gajdaj ist davon überzeugt, dass es für die Organisatoren schlecht wäre, wenn es zu Provokationen kommt. Seiner Meinung nach wurde gerade deshalb die Mobilisierung „pro-russischer Kräfte“ aller Wahrscheinlichkeit nach ohne physische Zusammenstöße durchgeführt.

Der Sozialpsychologe Oleg Pokaltschuk, der die „Pilger“ in den vergangenen Wochen ebenfalls aufmerksam verfolgte, sowie, wie sie in den verschiedenen Gebieten aufgenommen wurden, ist davon überzeugt, dass die ukrainische Gesellschaft in letzter Zeit recht gut lernte, wann man sie zu manipulieren versucht.

Trotz der Erklärungen der Organisatoren von der Kirchenprozession, dass es ihnen um das Wohl der Ukrainer ginge, wurde die Prozession in einigen Städten von Aktivisten nicht durch die Hauptstraßen gelassen.

In Borispol wurden die Gläubigen zum Beispiel gefragt: „Wenn Ihr für Frieden beten wollt, weshalb geht Ihr dann nicht nach Moskau?“

Oleg Pokaltschuk meinte, der Gottesdienst wäre eine gute Reifeprüfung für die Gesellschaft und ein guter Test für die Rechtsschutzorgane.

Die Gesellschaft ist gereift und kann inzwischen Manipulationen erkennen.