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Die ersten 100 Tage des ukrainischen Generalstaatsanwalts

Petro Poroschenko schuf mit der Entscheidung, Jurij Luzenko zum Chef der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft (GPU) zu ernennen, einen Präzedenzfall. Nicht nur, weil er nach dem Fiasko mit Viktor Schokin, wieder einen seiner Günstlinge in dieses Amt hob, sondern auch, weil die Öffentlichkeit einen transparenten Wettbewerb für die Besetzung des Postens forderte, aber nicht gehört wurde. Erneut. Dabei schlug der Präsident eine Person vor, die nicht über die notwendige Ausbildung verfügte. Deshalb wurde sogar am 12. Mai innerhalb von vier Stunden extra ein Gesetz für den neuen Generalstaatsanwalt geändert. Diese Praxis erinnerte die Bevölkerung an die Methoden des ehemaligen Staatsoberhaupts und rief Empörung hervor.

Luzenko, der den Sessel des Generalstaatsanwalt einnahm, versprach, „Fortschritte bei der Arbeit der GPU in 100 Tagen“ zu präsentieren. Jurij Luzenko ist nun genau 100 Tage im Amt und das Ukraine Crisis Media Center entschied, eine Zwischenbilanz seiner Arbeit zu erstellen und damit zu prüfen, ob er sein Wort hielt.

Bereits kurz vor dem „Amtsjubiläum“ von Luzenko gab es einen Skandal: am 12. August wurde bekannt, dass die Mitarbeiter der Generalstaatsanwaltschaft vom Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU) überwacht wurden. Diese Überwachung richtete sich auf den Staatsanwalt Dmytro Sus und den stellvertretenden Abteilungsleiter für Ermittlungen in besonderes wichtigen Fällen des Wirtschaftsbereichs (auch bekannt als Kononenko-Ganowskij-Abteilung, benannt nach den Abgeordnetennahmen aus dem „Block Petro Poroschenko“, die dafür bekannt sind, Reformer bei der GPU und Antikorruptionsaktivisten zu verfolgen). Die Staatsanwaltschaft nahm illegal NABU-Mitarbeiter fest, die nach Angaben des Büroleiters Artem Sytnyk für ihre Tätigkeit eine Erlaubnis vom Gericht hatten. Die NBU-Ermittler wurden 11 Stunden lang im GPU-Gebäude (einschließlich im Keller) festgehalten, wo sie physisch und psychisch bedroht wurden. Gerade Mitarbeiter der oben genannten Abteilung hielten die Ermittler fest. Das NABU und die GPU einigten sich darauf, den Fall an den SBU zu übergeben.

Der Fall der „Himmlischen Hundertschaft“: leises Treten auf der Stelle

Die Ermittlungen und die Gerichtsprozesse im Fall der Erschießung von Maidan-Aktivisten kehren im dritten Jahr auf Stand Null zurück. Zu den zwei bereits inhaftierten ehemaligen „Berkut-Mitgliedern“, die für die Erschießung von Demonstranten in Kiew verantwortlich sein sollen, kamen weitere drei hinzu. Aber die Fälle wurden zusammengelegt, weshalb sie von vorne beginnen. Außerdem übergab die Staatsanwaltschaft wieder eine neue Anklageversion zur Verlesung. Damit beginnt eine neue Prozedur mit neuen Zeugenverhören durch alle Seiten.

Aber der Hauptverantwortliche, der den Befehl gab, bleibt für die ukrainische Justiz unerreichbar. Der Kommandeur des „Schwarzen Munds von Berkut“, Dmytro Sadownik, floh aus der Ukraine, wobei die ukrainischen Rechtsschutzorgane überhaupt nichts unternahmen. Der ehemalige Präsident, Wiktor Janukowitsch, hält sich in Moskau auf und wird nicht in die Ukraine zurückkehren. Das Gericht erlaubte der Verteidigung, ein Verhör über Skype durchzuführen. Allerdings ist diese Variante nicht sehr realistisch: die Regelung der juristischen Details dafür kann bis zu einem halben Jahr dauern.

Das ist auch für die angeschuldigten „Berkuts“ von Vorteil, denn im nächsten Jahr endet die Berufungsfrist der derzeitigen Geschworenen. Wenn der Prozess nicht bis dahin abgeschlossen ist, werden neue Geschworene berufen. Das heißt, dass die Untersuchung des Falls erneut von vorne beginnt. Ein Neustart des Prozesses spielt den Beschuldigten in die Hände. Es ist nicht klar, ob sich die politische Ausgangslage noch rechtzeitig verändern wird.

Was die Aktivisten zur Aufklärung der Morde im Januar 2014 betrifft, ist die Situation noch schlechter. Zu Beginn der Ermittlungen wurde ein falscher Untersuchungsweg gewählt und die Eröffnung der Strafsache sieht sehr zweifelhaft aus.

„Die brillanten Staatsanwälte“

Der bekannteste Korruptionsfall in der Ukraine fesselt die Öffentlichkeit wohl am meisten. Im Juli 2015 wurden der stellvertretende Chefermittler der GPU, Wolodymyr Schapakin, und der stellvertretende Staatsanwalt des Kiewer Gebiets, Olexandr Kornijez, festgenommen. Bei der Durchsuchung der Staatsanwälte wurden zirka 500.000 US-Dollar gefunden, sowie Wertpapiere, Waffen und 65 Brillanten. Nach eben diesen Brillanten wurde der Fall benannt.

Witalij Kasjko und David Sakwarelidse, Stellvertreter des damaligen Generalstaatsanwalts Wiktor Schokin, erklärten daraufhin, dass ihr Chef die „Brillanten Staatsanwälte“ deckt und den Fall sabotiert. Zur Unterbrechung des Falls würden auch die Stellvertreter Jurij Stoljartschuk und Jurij Sewruk eingesetzt.

Im Januar 2016 wurden die beiden „Brillanten Staatsanwälte“ vom Gericht auf Kaution entlassen, aber bereits im Juli berichtete der ehemalige stellvertretende Generalstaatsanwalt, Witalij Kasjko, dass die Beschlagnahmung von Eigentum des beschuldigten Staatsanwalts Kornijez aufgehoben wurde. Daraufhin erklärte Jurij Luzenko, dass die GPU bald Beschwerde dagegen einlegen und eine weitere Anklage gegen die „Brillianten Staatsanwälte“ bei Gericht einreichen wird.

Am 15. August verlegte das Gericht die Verhandlung des Falls „Brillante Staatsanwälte“ zum wiederholten Mal um eine Woche.

Die Unbestechlichen

Laut Angaben von Witalij Kasjko fügen sich die stellvertretenden Staatsanwälte Sewruk, Gowda und Stoljartschuk bis heute Schokin. Sie blockierten die Ermittlungen im Fall „Brillante Staatsanwälte“ und tun dies weiterhin. Kasjko beschuldigte auch Kononenko, diesen Fall zu blockieren (er ist Abgeordneter aus dem „Block Petro Poroschenko“, der den früheren Wirtschaftsminister Ajwaras Abramawitschus beschuldigte, zu versuchen, führende Positionen von Staatsunternehmen mit eigenen Leuten zu besetzen).

Der neue Generalstaatsanwalt Luzenko erklärte sofort, dass Sewruk und Gowda entlassen werden, wobei Stoljartschuk eine hunderttägige Schonfrist erhielt, um seine Objektivität und Professionalität zu beweisen.

Aber bereits am 6. Juli 2016 wurde Roman Gowda zum Staatsanwalt von Kiew ernannt. Es ist schwer zu sagen, was Luzenko zu dieser Entscheidung motivierte. Gowda half dabei, dass ein Strafverfahren über den Diebstahl von 38 Millionen Hryvna (zirka 1,4 Millionen Euro) unterbrochen wird.

Jurij Sewruk flog ebenfalls nicht aus dem System. Nach seiner Entlassung wurde er zum Prorektor der Akademie für die Staatsanwaltschaft ernannt. Meint der Generalstaatsanwalt wirklich, dass Sewruk die jugendliche Begeisterung der zukünftigen Staatsanwälte beeinflussen kann? Oder wird er die jungen Gehirne doch stark beeinflussen?

„Regionale“ auf der Anklagebank

Olexandr Efremow ist einer der ersten ehemaligen Vertreter der „Partei der Regionen“, der einer Verhaftungsserie zum Opfer fiel. Obwohl es dabei eigentlich keine neuen Namen gibt. Bereits im Juli 2014 kam er ins Untersuchungsgefängnis. Dann wurde gegen den ehemaligen Vorsitzenden der „Partei der Regionen“ wegen Separatismus ermittelt. Doch das berüchtigte Petschersker Gericht in Kiew fand in seinem Fall keinen „Verbrechenstatbestand“. (Anmerkung: gerade dieses Gericht stoppte alle Korruptionsaktenführungen und gilt als eines der korruptesten in der Ukraine).

Nach dieser Verhandlung wurde Efremow am Kiewer Flughafen mit einem Ticket nach Wien in der Hand festgenommen (wollte er wirklich zu seinem früheren Parteifreund Dmitro Firtasch, der nach Wien floh?). Am 30. Juli 2016 wurde Efremow in drei Punkten angeklagt: Separatismus, Veruntreuung von Staatsmitteln und Zustimmung zu den „Diktatorengesetzen“ (ein Gesetzespaket, das am 16. Januar 2014 beschlossen wurde und die Bürgerrechte stark einschränkte; es erlaubte den Behörden, Leute einfach zu verhaften; die Abstimmung wurde durch Handzeichen vollzogen, wodurch es keine genaue Stimmauszählung gab).

Nach dieser Verhaftung erklärte Witalij Schabunin, Vorstandsvorsitzender vom „Zentrum zur Korruptionsbekämpfung“, dass die GPU keine Beweise für diese Vorwürfe hat, außer für die Abstimmung am 16. Januar. Bereits am 6. August 2014 tauchte im Internet ein Video auf, in dem Efremow die neue Regierung für illegitim erklärte. Er rief die Abgeordneten der Gebietsräte dazu auf, ein Referendum zur Gründung der Luhansker Volksrepublik („LVR“) zu unterstützen. Dies geschah mit schweigender Hilfe anderer Parlamentsabgeordneten, dem Gouverneur des Luhansker Gebiets und des Bürgermeisters von Luhansk.

Nach 60 Tagen in Untersuchungshaft, lehnte ein Gericht die Haftbeschwerde von Efremow ab.

Außer Efremow wurden auch andere ehemalige „Regionale“ verhaftet. Ihre Geschichten unterscheiden sich nicht sehr: Anschuldigung Separatismus, Finanzierung und Gründung der „LVR“, und 60 Tage Untersuchungshaft. Nur die Rolle von Wolodymyr Medjanyk ist eher prosaisch. Er ist eigentlich nur ein Statist und „Geisel der Situation“. Alles, was man von ihm wollte, war eine Aussage gegen Efremow. Der Generalstaatsanwalt machte sogar keinen Hehl daraus. Luzenko war bereit zu sagen, dass Medjanyk „immer eine positive Rolle für den ukrainischen Staat spielte“.

Der dritte Erfolg der GPU ist Olexandr Onyschtschenko, ein weiterer „Regionaler“, den man des Diebstahls an Staatsmitteln bei Gasunternehmen überführte. Aber er konnte aus der Ukraine nach London flüchten. Das NABU und die Sonder-Antikorruptionsstaatsanwaltschaft durchsuchten die Büros von „Ukrgazdobytscha“, die mit Onyschtschenko in Verbindung steht. Danach wurde seine Abgeordnetenimmunität aufgehoben und nach ihm wurde gefahndet. Im Juni 2016 wurde ihm vorgeworfen, Mittel aus der Förderung und dem Verkauf von Erdgas in Höhe von 1,6 Milliarden US-Dollar gestohlen zu haben.

Am 5. Juli hob das ukrainische Parlament die Immunität von Onyschtschenko auf. Doch bevor er verhaftet werden konnte, hatte er bereits die Ukraine verlassen. Am 27. Juli unterschrieb Jurij Luzenko die Anklage gegen Onyschtschenko. Früher nahm er die Dokumente des NABU nicht an, mit der Begründung, der „Anklagetext sei uneinheitlich“.

Onyschtschenko erklärte sich bereit, mit den Ermittlungsbehörden zusammenzuarbeiten, aber nur von Großbritannien aus. Erst danach kam der Fall vor Gericht. Die Generalstaatsanwaltschaft schrieb Onyschtschenko in der Ukraine zur Fahndung aus. Derzeit wartet man, dass er auch von Interpol gesucht wird. Die GPU vermutet, dass Onyschtschenko nach Russland fliehen könnte, wo eine Auslieferung fast unmöglich ist. Übrigens wurde Anfang Juli bereits gemunkelt, dass er sich in Russland aufhält.

Zwischenbillanz

Der 12. Mai zeigte, dass der ukrainische Präsident und das Parlament fähig sind, wenn der politische Wille (oder banaler: Wunsch) vorhanden ist, notwendige Entscheidungen innerhalb kürzester Zeit zu treffen. Das Problem ist dabei, dass diese Entscheidungen Zweifel wecken, ob sie auch im staatlichen Interesse sind. War der Preis für solch schnelle Gesetzesänderungen doch zu hoch für das geringe Ergebnis? Die Fälle der „Himmlischen Hundertschaft“ und der „Brillanten Staatsanwälte“ erhielten durch Luzenko keine neuen Impulse. Der anderen Fortschritte sind auch nicht der Verdienst des jetzigen Generalstaatsanwalts. Bei der GPU sitzen bis heute unbehelligte Personen, die kein Interesse daran haben, die Korruption zu bekämpfen. Vielmehr scheint es, sie wollen selbst davon profitieren. Diese Leute untergraben so auch die unbedeutende Autorität von Luzenko als Generalstaatsanwalt. Im Fall Efremow traf Luzenko eine Entscheidung, was ihm in den Augen der Öffentlichkeit ein Plus einbrachte. Allerdings erweckt es den Anschein, als hätte der Generalstaatsanwalt einen Fisch ausgesucht, der längst an der Küste herumschwamm. Aber ob das ausreichen wird?

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