Ukraine und Polen: Parlamente richten Appell an Europa

Das ukrainische und polnische Parlament haben eine gemeinsame Erklärung zu den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs und zur Aggression Russlands gegen die Ukraine verabschiedet. Auch Litauen soll sich ihr noch anschließen. Das Ukraine Crisis Media Center bringt eine deutsche Übersetzung der Erklärung.

Kiew, 20. Oktober 2016 – Das Parlament der Ukraine hat am 20. Oktober 2016 eine “Erklärung des Erinnerns und der Solidarität” verabschiedet. Noch am selben Tag nahm die Erklärung auch der polnische Sejm an.

In der gemeinsamen Erklärung wird betont, dass der Molotow-Ribbentrop-Pakt zwischen der kommunistischen Sowjetunion und dem nationalsozialistischen Deutschland zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geführt hat. Die Folge war die Besetzung Polens durch Deutschland und die Sowjetunion, und im Jahr 1940 die sowjetische Besetzung der baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland. Das hatte massenhafte Repressionen gegen die betroffenen Völker zur Folge. Verurteilt wird in der Erklärung auch die jetzige Besetzung von Teilen des ukrainischen Territoriums durch Russland.

Abschließend werden die Völker in ganz Europa aufgerufen, sich an die Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkriegs zu erinnern und heute mit gemeinsamen Anstrengungen das vereinte Europa gegen die Aggression von außen zu verteidigen sowie Sicherheit und Freiheit zu schützen.

Vorgesehen war, dass gleichzeitig auch das litauische Parlament die Erklärung verabschiedet. Aber der neugewählte Seimas wird voraussichtlich erst im Dezember seine Arbeit aufnehmen. Es wird erwartet, dass sich dann auch Litauen wie geplant dieser gemeinsamen Erklärung anschließen wird.

Volltext der Erklärung:

Erklärung des Erinnerns und der Solidarität

des Sejm der Republik Polen und des Obersten Rates der Ukraine

Geleitet vom Geist der Solidarität zwischen den Völkern Polens und der Ukraine;

Handelnd in Übereinstimmung mit der strategischen Partnerschaft zwischen Polen und der Ukraine;

Betonend unser unzerstörbares Bekenntnis zu den grundlegenden Prinzipien des internationalen Rechts und der gemeinsamen Verteidigung der nationalen Souveränität, der territorialen Integrität und der Unverletzlichkeit der Grenzen von jedem unserer Länder;

Hinweisend auf das große historische Opfer unserer Völker, gebracht zur Verteidigung der Freiheit und Unabhängigkeit;

Sorgend für den Schutz der Freiheit und das Erreichen eines würdigen Lebens unserer Völker im vereinten Europa.

Wir, die Vertreter des Sejm der Republik Polen und des Obersten Rates der Ukraine:

Verabschieden gemeinsam und gleichzeitig die Erklärung des Erinnerns, um Millionen von Opfer zu ehren, die unsere Völker während des Zweiten Weltkriegs erlitten haben, und um die ausländischen Aggressoren zu verurteilen, die versucht haben, unsere Unabhängigkeit zu zerstören;

Weisen auf die Tatsache hin, dass der Molotow-Ribbentrop-Pakt vom 23. August 1939, geschlossen zwischen zwei totalitären Regimen – der kommunistischen Sowjetunion und dem nationalsozialistischen Deutschland, am 1. September 1939 zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs geführt hat, verursacht durch die Aggression Deutschlands, der sich am 17. September die Sowjetunion angeschlossen hat. Die Folge dieser Ereignisse war die Besetzung Polens durch Deutschland und die Sowjetunion, und im Jahr 1940 die sowjetische Besetzung von Litauen, Lettland und Estland. Das hatte massenhafte Repressionen gegen unsere Völker zur Folge. Diese Ereignisse führten auch im Jahr 1945 zur Annahme von Beschlüssen in Jalta, die zu einer neuen Etappe der Versklavung von ganz Ost- und Mitteleuropa führte, die ein halbes Jahrhundert dauerte;

Erinnern uns, dass die Schwäche der internationalen Reaktion auf die Eskalation totalitärer und chauvinistischer Ideologien vor dem Zweiten Weltkrieg, der Mangel an adäquaten Reaktionen auf die Verletzungen des internationalen Rechts durch die Aggressoren sowie die Politik der Zugeständnisse das kommunistische und nationalsozialistische Regime zur Aggression und in der Folge zur Teilung Europas ermutigt haben;

Ehren die Millionen Opfer der Aggression und Besetzung unserer Länder im 20. Jahrhundert;

Erinnern an den Kampf der polnischen und ukrainischen nationalen Kräfte der antikommunistischen und anti-nationalsozialistischen Widerstandsbewegung, die die moralische Grundlage zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit unserer Länder geschaffen haben;

Glauben an die Notwendigkeit, eine unvoreingenommene historische Forschung aufzunehmen und zu intensivieren, sowie die Kräfte zu bändigen, die zu Polemik in unseren Ländern führen;

Weisen darauf hin, dass die Umsetzung einer aggressiven Außenpolitik seitens der Russischen Föderation, die Besetzung der Krim, die Unterstützung und Durchführung der bewaffneten Intervention im Osten der Ukraine, die Verletzung der grundlegenden Normen des internationalen Rechts und von Abkommen, die mit der Ukraine unterzeichnet sind, die Nichterfüllung von Vereinbarungen durch den Kreml sowie die Führung eines hybriden Informationskrieges eine Bedrohung für den Frieden und die Sicherheit in ganz Europa darstellen;

Bekunden unsere Solidarität mit dem ganzen ukrainischen Volk, einschließlich der Krimtataren, während dieser großen Prüfung;

Unterstreichen unser Engagement bei den Maßnahmen zur friedlichen Lösung des Konflikts im Osten der Ukraine sowie zur Wiederherstellung ihrer territorialen Integrität;

Betonen die Notwendigkeit eines geschlossenen Vorgehens im Rahmen der NATO gegen neue Bedrohungen und sprechen uns für eine Vertiefung der Zusammenarbeit der Allianz mit der Ukraine aus und unterstützen ihr strategisches Ziel, Mitglied in der NATO zu werden.

Wir rufen alle europäischen Partner auf, Einheit und internationale Solidarität zu demonstrieren und das vereinte Europa gegen die Aggression von außen zu verteidigen.

Wir rufen die Völker in ganz Europa auf, sich an die Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkriegs zu erinnern, und gemeinsame Anstrengungen zu unternehmen, um Sicherheit und Freiheit zu schützen.