Gestern erklärte der Vorsitzende der staatlichen Gebietsverwaltung von Odessa, Micheil Saakaschwili, bei einer Pressekonferenz seinen Rücktritt. Das Ukraine Crisis Media Center gibt hier den vollen Text der Pressekonferenz von Saakaschwili wieder, der auf der Website Nowoje Wremja veröffentlicht wurde:
Bei mir stehen junge Leute, die die Ausschreibung für die Tätigkeit im neu zu eröffnenden Zollareal gewannen, das wir mit Julia [Maruschewska, Vorsitzende der Zollbehörde in Odessa] und ihrem Team gründen wollten. Wir meinten, dass die Renovierung bereits zum Jahresbeginn abgeschlossen sein wird. Wir erwarteten, dass all diese Leute dort ihre Arbeit aufnehmen. Hier sollte eine Renovierung durchgeführt werden und alles an einem Platz sein. Aber das Geld für die Renovierung wurde gestohlen. Unser Team arbeitet nicht. Wie immer hat man uns betrogen. Noch zu Jahresbeginn versprach mir der Präsident, dass er dieses Projekt unterstützt, selbst wenn Julia ernannt wird. Im April wiederholte er dieses Versprechen feierlich. Aber er bewegte keinen Finger, damit dieses Projekt in Kraft tritt. Eine Frage: wie lange kann man lügen und betrügen?
Vor ein paar Tagen wurde das Bürgerservicecenter geschlossen, das Poroschenko vor den Lokalwahlen feierlich eröffnete. Damals sagte er, dass die Reformen unumkehrbar sind. Wir haben dafür junge Leute angeworben. Später wurden auf Anregung von Mitgliedern seiner Fraktion neue Normen beschlossen, die es diesem Center nicht ermöglichten, die Arbeit aufzunehmen. Ich wandte mich an den Präsidenten mit der Bitte, dieses Gesetz nicht zu unterschreiben. Nach dieser Bitte unterschrieb er es und das Center wurde geschlossen. Und die Leute von Odessa blieben im alten Center von Truchanow [amtierender Bürgermeister von Odessa], wo man zwei Monate lang warten oder Schmiergeld zahlen muss. Ich habe es satt. Ich bin müde von diesem weiteren unerfüllten Versprechen.
Wir sehen, dass alle progressiven Schritte von regressiven Kräften angegriffen werden. Wir sehen, dass alle neuen Vorhaben im Keim erstickt werden. Das alles passiert vor den Augen der gesamten Ukraine. Was ist das für eine Arbeit, wenn ich wie irgendein mongolischer Kahn vor dem Gelächter der ganzen Welt Zelte auf den Straßen aufstellen muss, im Zelt arbeiten und jeden beklagenswerten Groschen für diese Straßen ausschlagen muss, die seit Jahrzehnten nicht repariert wurden, während sie ihre Einkommenserklärungen veröffentlichen, wo mehr Geld angegeben ist, als man bräuchte, um alle Wege zu reparieren, sowie alle internationalen Straßen in der Ukraine. Das ist keine Arbeit. Ich habe es satt. Ich bin müde davon.
Bereits den sechsten Monat wurden drei meiner vier Stellvertreter nicht ernannt. Und jetzt wurden wieder die alten genommen. Wieder wurde damit begonnen, die Stellen für die Bezirksverwaltungschefs zu verkaufen. Die Präsidialverwaltung nahm über eine gefälschte Ausschreibung wieder Korruptionäre, statt Leute, die wir über eine transparente Ausschreibung aussuchten – jung, motiviert und idealistisch. So funktioniert das nicht.
Ich habe es satt. Welchen Unterschied macht es für die Ukrainer, wer sich nicht für sie interessiert? Poroschenko oder Janukowitsch? Welchen Unterschied macht es für die Ukrainer, wer sie ausraubt? Jenakijewskij [Yurij Iwanjuschtschenko, Krimineller, ehemaliger Abgeordnete von der Partei der Regionen] oder Ihror Kononenko [ehemaliger Vorsitzende der Partei „Block Petro Poroschenko“]? Welchen Unterschied macht es für die Ukrainer, wer und wie er sich bereichert? Irgendein Witalij Kowaltschuk [stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung] oder Andrij Kljuew [ehemaliger Leiter der Präsidialverwaltung unter Wiktor Janukowitsch]? Welchen Unterschied macht es, dass nach wie vor Oleksij Gontscharenko [stellvertretender Vorsitzende der Partei „Block Petro Poroschenko“], Aleksandr Presman [ukrainischer Abgeordnete], Sergej Kiwalow [Abgeordnete, früher „Partei der Regionen“] stehlen? Jetzt eben unter der neuen Verwaltung. Was hat sich für diese Leute geändert?
Als wir besprachen, was wir alles ändern werden, sagte mir Präsident Poroschenko, dass ihn Janukowitsch und Arsenij Jazenjuk [ehemaliger Ministerpräsident], störe. Wir gründeten eine Reinigungsbewegung. Wir halfen ihm, Jazenjuk los zu werden. Doch wie ging es aus? Die Regierung von Jazenjuk wurde durch eine Regierung des Präsidenten ersetzt, die genauso klaut, wie die anderen klauten. Außerdem blieben Arsen Awakow [amtierender Innerminister], und Roman Nasirow [Chef des staatlichen Steuerdienstes], als Stützen der Korruption auf ihren Plätzen. Noch nie in meinem Leben wurde ich so betrogen. Und noch nie so zynisch. Und unter diesen Umständen war der letzte Tropfen die elektronische Einkommenserklärung. Dabei sehe ich diese frechen Fratzen, die hier und in der ganzen Ukraine frech erklären, dass sie Milliarden auf den Konten haben. Und dann werden sie auch noch staatlich subventioniert. Von Rentnern, die mit zitternden Händen ihre letzten Kopeken zusammenkratzen, um nicht vor Hunger zu sterben. Und in dieser Zeit gab es keinen einzigen ehrlichen Beamten, der auf neue Weise zu arbeiten begann. Sie werden nicht nur gedeckt, sondern sind absolut wehrlos, weil die obersten Behörden in Kiew auf sie Aleksandr Presman und Gontscharenko wie die Hunde hetzen würden. Und in dieser Situation unterstützt der Präsident im Gebiet von Odessa persönlich zwei Clans. Der eine ist ein Mafia- und Gangsterclan von Truchanow mit Mördern aus den 1990er Jahren; der andere ein Korruptionsclan von Anatolij Urbanskij [Abgeordneter des Stadtrates von Odessa] aus Ismajil [ukrainische Stadt an der Donau an der Grenze zu Rumänien]. Die ganze Macht im Gebiet wurde diesen beiden Clans zurückgegeben, sowie einem Verbündeten der Separatisten in unserem Land, Anton Kisse [ukrainischer Abgeordnete für die Partei „Nasch krai“ im Gebiet Odessa].
All das passiert offen. Und das Gebiet von Odessa wird nicht nur Korruptionären gegeben, sondern den Feinden der Ukraine. Das will ich den Bürgern von Odessa sagen. Ich liebe dieses Gebiet sehr. Wir haben gemeinsam sehr viele Dinge angestoßen. Mich unterstütze bisher der Glaube daran, dass ich solange nicht gehe werde, wie ich einfachen Menschen auf den Straßen, in Dörfern und auf den Feldern treffe, die kamen und sagten: „Geh nicht weg, bewahre uns davor, dass man uns diesen Aasgeiern zum Fraß vorwirft.“ Ich will die Bürger von Odessa nicht der Willkür des Schicksals überlassen. Wir werden Odessa sicher auf die Beine bringen. Als ich hierher kam, wollte ich, dass es hier ein ähnliches Entwicklungstempo wie in Batumi [georgische Hafenstadt am Schwarzen Meer] gibt. Aber Batumi entwickelte sich erst, als Tiflis [Hauptstadt von Georgien] von den Korruptionären befreit war. Und Odessa wird sich erst entwickeln, nachdem Kiew von den Korruptionären befreit ist, die einschließlich in Odessa die Banditen und Willkür in Schutz nehmen.
Aus diesen Gründen entschied ich, meinen Rücktritt einzureichen und eine neue Etappe meines Kampfes zu beginnen. Ich werde meine Hände nicht in den Schoss legen. Ich werde nicht müde werden. Sie brauchen nicht darauf zu hoffen und dürfen nicht damit rechnen, mich loszuwerden. Ich bin jener Soldat, der geht, solange er kann und dann nach der Zeit zurückkehrt, die notwendig ist, um den vollständigen Sieg davonzutragen, damit die Ukraine von diesem Übel, diesem Korruptionssumpf befreit wird, das im Blut unserer Soldaten und den Opfern auf dem Maidan mündete. Von jenen, die die Idee der ukrainischen Revolution verrieten und deren einzige Motivation ihrer Existenz darin besteht, sich die eigenen Taschen vollzustopfen, ihren Clan zu stärken und der Ukraine den letzten Faden zu rauben.
Da können sie lange warten. Ich bin davon überzeugt, dass es in der Ukraine mehr als genug neuer, energischer, junger und ehrlicher Kräfte gibt, neue Leute, die in keiner Weise etwas mit diesem Gesindel zu tun haben, die alles bremsen. Wir werden uns mit Sicherheit zusammenschließen und diesen Kampf bis zum Sieg der Ukraine führen. Für die Bewohner von Odessa, für alle Ukrainer. Der Kampf geht weiter, und wir werden ihn mit Sicherheit gewinnen.