Die Familienangehörigen der Himmlischen Hundertschaft wollen wissen, wie es möglich war, dass verdächtige Berkut-Polizisten nach Russland fliehen konnten.
Am 13. April 2017 haben sich die vier Angehörigen der inzwischen aufgelösten ukrainischen Sonderpolizei Berkut (Steinadler), Witalij Hontscharenko, Oleksandr Kostjuk, Wladyslaw Mastega und Artem Wojlokow, nach Russland abgesetzt. Hontscharenko war zusammen mit drei weiteren Kollegen im Juni 2016 in Charkiw festgenommen worden. Alle vier waren zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung bei der Polizei tätig. Sie werden verdächtigt, im Februar 2014 während der Revolution der Würde bei den Protesten gegen die damalige Staatsführung im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew Aktivisten der Euromaidan-Bewegung verfolgt beziehungsweise getötet zu haben. Die ehemaligen Berkut-Polizisten erklärten unterdessen, sie würden die russische Staatsangehörigkeit beantragen und das Verfahren der ukrainischen Behörden gegen sie von Russland aus beobachten.
Das ist bereits der vierte solche Fall. Nach Russland haben sich schon Personen abgesetzt, die verdächtigt werden, den Wissenschaftler und Euromaidan-Aktivisten Jurij Werbyzkyj entführt und ermordet zu haben, darunter der Kommandeur der Kiewer Berkut-Einheit, Dmytro Sadownik. Die Familienangehörigen der Himmlischen Hundertschaft, wie die bei den Protesten erschossenen Menschen genannt werden, vermuten, dass die Mordverdächtigen mit Hilfe von Vertretern der neuen ukrainischen Führung nach Russland geflohen sind.
Viele Fragen, aber keine Antworten
“Wir verlangen, dass die zuständigen Behörden – das Innenministerium und die Generalstaatsanwaltschaft – Rechenschaft ablegen, wie das passieren konnte. Warum hat das Innenministerium nicht genügend Fußfesseln für die Berkut-Polizisten aus Charkiw? Warum werden die Regeln des Hausarrests nur auf Druck der Öffentlichkeit und der Rechtsanwälte eingehalten? Wie sind die Kontrollen an der Grenze und warum wird nicht gemeldet, wenn Personen die Grenze passieren, gegen die Untersuchungen laufen”, sagte während einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center Wolodymyr Bondartschuk, Leiter der NGO “Familie der Helden der Himmlischen Hundertschaft”. Sein Vater Serhij ist unter den getöteten Euromaidan-Aktivisten.
Die Angehörigen der Himmlischen Hundertschaft und ihre Rechtsanwälte betonten, die Untersuchung der Fälle werde hinausgezögert. Dadurch würde der Eindruck entstehen, dies geschehe mit Absicht, um die Aufmerksamkeit der Zivilgesellschaft von ihnen abzulenken. So sei im Fall Hontscharenko eine Gerichtsverhandlung zweimal verschoben worden, weil er es abgelehnt habe, sie per Video-Schalte durchzuführen. “Das Gericht hat alles dafür getan, damit Hontscharenko juristisch ‘sauber’ sicher nach Russland ausreisen konnte. Es gab keine vorbeugenden Maßnahmen gegen ihn“, sagte Halyna Didytsch, die Ehefrau des getöteten Euromaidan-Aktivisten Serhij Didytsch. Für dessen Tod wird unter anderem Witalij Hontscharenko verantwortlich gemacht.
Auf wessen Seite ist die Regierung?
“Das ist kein Zufall. Das ist eine Masche. Erst beeilt man sich nicht, sie festzunehmen, um das Thema zu entschärfen. Später werden sie festgenommen, doch man findet warum auch immer keinen Grund, sie in Untersuchungshaft zu nehmen. Dann bekommen sie gegen Kaution Hausarrest und können schließlich fliehen. Ich mache niemandem Vorwürfe, ich äußere nur meine Gedanken. Das kann nicht ohne Wissen der Staatsführung geschehen“, sagte Wolodymyr Holodnjuk, stellvertretender Leiter der NGO “Familie der Helden der Himmlischen Hundertschaft”. Er ist Vater des getöteten Euromaidan-Aktivisten Ustym Holodnjuk. “Wenn es keinen angemessenen Bericht und keine Bewertung jener Ereignisse geben wird, dann werden wir davon ausgehen, dass Vertreter der heutigen Staatsmacht die Flucht dieser Personen ermöglicht haben“, betonte Wolodymyr Bondartschuk.
Die Familienangehörigen der Himmlischen Hundertschaft verlangen von der Staatsführung, auch zu erklären, warum Mitarbeiter von Sicherheitsorganen, die der Straftaten während der Revolution der Würde verdächtigt werden, weiterhin ihre Posten bekleiden dürfen, und warum Richter, die gesetzwidrige Urteile gesprochen haben, faktisch nicht bestraft werden.
Die Angehörigen der Himmlischen Hundertschaft bitten die Generalstaatsanwaltschaft der Ukraine, alle Verfahren sowie den Aufenthaltsort der Verdächtigen genau im Auge zu behalten. Sie fordern Aktivisten der Zivilgesellschaft auf, sich der Beobachtung von Gerichtsverhandlungen anzuschließen. Denn nur Kontrolle und Transparenz würden positive Veränderungen ermöglichen. Eine Übersicht über die Gerichtsverhandlungen ist sowohl auf der Internetseite der NGO “Familie der Helden der Himmlischen Hundertschaft” als auch auf der Seite der “Rechtsanwaltlichen Beratergruppe” zu finden. Witalij Tytytsch, Mitglied der Beratergruppe, betonte: “Eine Revanche ist im Gange. Wir müssen die Anstrengungen der Familien, Medien und Bürger bündeln und einen Mechanismus zum Widerstand schaffen.“