Mustafa Dschemiljew: Russland will, dass die Krimtataren ihre Heimat selbst verlassen

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Seit der Annexion der Krim haben die russischen Behörden versucht, sich mit den Anführern der Krimtataren zu “einigen” und sie zu “kaufen”. Doch nachdem die Versuche gescheitert waren, sich deren Loyalität zu verschaffen, haben die Besatzungsbehörden auf der Krim mit Einschüchterungen und Repressionen begonnen. Das erklärte während einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center Mustafa Dschemiljew. Er ist Anführer der Krimtataren, ukrainischer Parlamentsabgeordneter und Beauftragter des ukrainischen Präsidenten für Fragen des krimtatarischen Volkes.

Ihm zufolge sind inzwischen alle Voraussetzungen dafür geschaffen worden, damit die Krimtataren selbst den Wunsch verspüren, die Halbinsel zu verlassen. “Es ist eine Politik, die Krimtataren in einen Überlebenskampf zu versetzen. Man will solche Bedingungen schaffen, damit die Krimtataren selbst die Krim verlassen. So war es auch nach der ersten Besetzung im Jahr 1883”, sagte Dschemiljew.

“Die Krim ist zurück in der Sowjetzeit”

Zum Zeitpunkt der bolschewistischen Revolution 1917 seien, so Dschemiljew, nur noch 25 Prozent der Bevölkerung übrig geblieben. Die Krimtataren seien in ihrer eigenen Heimat zur Minderheit geworden. “Als nächstes folgte 1944 die totale Deportation der Krimtataren. Die Sowjets verbrannten Bücher und sprengten Moscheen. Gehwege wurden mit Grabsteinen gepflastert. Jetzt ist die Krim zurück in der Sowjetzeit, irgendwo zwischen 1937 und 1938: Es gibt wieder Denunziation und Verfolgung wegen Meinungsäußerungen. Der Unterschied besteht heute darin, dass nun auch noch ‘Likes’, die man unter Publikationen setzt, verfolgt werden”, so der Anführer der Krimtataren.

Nach seinen Angaben mussten schätzungsweise 50.000 Bewohner der Krim die Halbinsel verlassen. 20.000 von ihnen seien Krimtataren. Dabei hätten sie nur einen Anteil von 13 Prozent an der Gesamtbevölkerung der Halbinsel. An ihre Orte würden nun Menschen aus Russland übersiedeln. “Wir sind sehr besorgt über die Veränderungen der demographischen Zusammensetzung der Krim. Aus Russland hat man eine halbe Million Menschen gebracht, zugleich werden die Bewohner der Krim verdrängt”, berichtete Dschemiljew.

Krimtataren werden marginalisiert

Auch Tamila Taschewa, Mitbegründerin der Nichtregierungsorganisation “SOS Krim” berichtete, dass auf der Halbinsel die ukrainische Sprache fast völlig verschwunden sei. Es gebe nur noch eine ukrainischsprachige Schule. Die krimtatarischen Schulen seien zwar nicht geschlossen worden, aber der Unterricht würde dort nun in russischer Sprache stattfinden. Menschen würden ihren Arbeitsplatz verlieren, nur weil sie mit Kunden in einer “unverständlichen Sprache” sprechen würden.

“Das erste, was die Besatzungsbehörden gemacht haben, war, die Krimtataren vom Rest der Bevölkerung zu marginalisieren. Es gibt Fälle, wo versucht wird, den Gebetsruf der Muslime zu verbieten. Gerade so beginnen Völkermorde”, sagte Taschewa.

“Sanktionen gegen Russland bleiben”

Die EU müsse sich mobilisieren und Maßnahmen gegen die schwierige Lage der Menschenrechte auf der Krim ergreifen. Auch die Sanktionen im Zusammenhang mit der Annexion der Halbinsel müssten so lange aufrechterhalten bleiben, bis Russland die Krim verlässt, meint die deutsche Politikerin und Europaabgeordnete Rebecca Harms.

“Jamalas Song ’1944’ hat den Europäern geholfen, eine weitere Seite der europäischen Geschichte zu verstehen. Es ist auch eine Gelegenheit, die Brutalität zu verstehen, mit der die Krimtataren heute seitens des Kremls konfrontiert werden. Was Menschenrechtsverletzungen angeht, so ist die Lage auf der Halbinsel heute die schlimmste unter allen europäischen Regionen und den eingefroren Konflikten. Solange die Krim besetzt ist, werden wir die Sanktionen gegen Russland im Zusammenhang mit der Annexion der Halbinsel nicht aufheben. Das gleiche gilt für den Krieg im Donbass. Wir müssen auch die Lage der Binnenflüchtlinge verbessern”, sagte Harms.