Umfrage: 60 Prozent der Ukrainer empfinden die politische Lage als angespannt

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Die überwiegende Mehrheit der Ukrainer (60 Prozent) findet, dass die derzeitige politische Lage in der Ukraine angespannt ist. Etwa ein Drittel hält sie für Besorgnis erregend. Nur sechs Prozent glauben, dass sie ruhig ist. Die Beurteilung der Lage hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert. Das ist das Ergebnis einer landesweiten Umfrage, die auf einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center von Iryna Bekeschkina, der Leiterin der Ilko-Kutscheriw-Stiftung “Demokratische Initiativen“, vorgestellt wurde.

Aussichten für vorgezogene Wahlen

Der Politologe Olexij Sydortschuk, ebenfalls von der Stiftung “Demokratische Initiativen“, sagte, dass 74 Prozent der Bürger der Meinung sind, dass die politischen Parteien in der Ukraine keine demokratischen Standards erfüllen. Ihm zufolge befürwortet fast die Hälfte der Befragten vorgezogene Parlamentswahlen.

Iryna Bekeschkina fügte hinzu, dass die Partei “Vaterland” in der Gunst der Wähler vorne liegt. Sie wird von 11,2 Prozent der Befragten unterstützt, die an Wahlen teilnehmen wollen. “Allerdings gibt es keinen absoluten Spitzenreiter unter den Parteien. Sie alle liegen sehr eng beieinander”, so die Expertin.

Olexij Haran, Professor für Politikwissenschaft an der Kiewer-Mohyla-Akademie und Wissenschaftlicher Leiter der Stiftung “Demokratische Initiativen”, sagte, die Umfrage habe ergeben, dass wenn jetzt Wahlen stattfinden würden, die Ukraine ein sehr polarisiertes und fragmentiertes Parlament bekommen würde – ohne eine absolute Mehrheit. “Das wird nicht für Stabilität sorgen”, so Haran.

Wer sollte das Parlament finanzieren?

Olexij Sydortschuk stellte fest, dass nur 29 Prozent der ukrainischen Bürger überhaupt wissen, dass es eine öffentliche Finanzierung der politischen Parteien gibt. “Das ist ziemlich wenig. Das zeigt, dass die Regierung unfähig ist, die Bürger über eine ziemlich wichtige Reform zu informieren”, betonte er. Laut Umfrage stehen die Bürger der Finanzierung der Parteien aus Steuermitteln aber kritisch gegenüber. Die Hälfte der Befragten meint, die Parteiführer sollten ihre Parteien selbst finanzieren.

Auf wen hört das Parlament?

Olexij Koschel, Leiter der gesellschaftlichen Organisation “Wähler-Komitee der Ukraine”, sagte während der Pressekonferenz, eine Analyse aller verabschiedeten Gesetzentwürfe habe gezeigt, dass 84 Prozent der Gesetzentwürfe vom Präsidenten ins Parlament eingebracht wurden. Nur 24 Prozent seien auf Initiative der Regierung vom Parlament angenommen worden. “Die Verbesserung der Kommunikation zwischen Regierung und Parlament ist eine der größten Herausforderungen für die Abgeordneten“, fügte er hinzu. Das “Wähler-Komitee der Ukraine” kritisiert zudem, dass die Arbeit der Vermittlungsausschüsse oft unzureichend und populistisch sei.

Als positiv bezeichnete Olha Ajwasowska vom zivilgesellschaftlichen Netzwerk “Opora” die Tatsache, dass 21 Parlamentsausschüsse ihre Transparenz und Rechenschaft gegenüber der Öffentlichkeit verbessert haben. Die größte Enttäuschung sei aber, dass das Parlament nicht wie versprochen das Wahlrecht reformiert habe. Das gemischte Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht sollte von einem reinen Verhältniswahlrecht mit offenen Parteilisten abgelöst werden. Durch die Hinauszögerung der Wahlrechtsreform verliere das Parlament bei der Öffentlichkeit an Vertrauen, so Ajwasowska.

Außenpolitische Erfolge

Marija Holub vom Verband der führenden NGOs in der Ukraine “Reanimation Package of Reforms” berät den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses im ukrainischen Parlament. Sie sagte, der wichtigste Erfolg in der außenpolitischen Arbeit des Parlaments sei, dass die Europäische Union die Visumpflicht für ukrainische Staatsbürger aufgehoben habe. Zudem habe das Parlament dazu beigetragen, dass die EU die Wirtschaftssanktionen gegen Russland verlängert habe. In diesem Zusammenhang sagte Holub, indem sie an die Worte des US-Sondergesandten Kurt Volker erinnerte, dass mittlerweile nicht mehr von einer Anti-Terror-Operation im Osten der Ukraine gesprochen wird, sondern von einem heißen Krieg. “Endlich haben wir begonnen, die Dinge beim Namen zu nennen”, unterstrich die Expertin.