Giovanni Kessler: Korruptionsbekämpfung in der Ukraine braucht klare Signale

Seit 2011 ist Giovanni Kessler Generaldirektor des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF). Er verfügt über beträchtliche Erfahrung bei der Korruptionsbekämpfung in seinem Heimatland Italien sowie auf der Ebene der Europäischen Union. In der Ukraine war er nach der Revolution der Würde am Aufbau von Anti-Korruptions-Behörden beteiligt. So gehörte er der Kommission an, die nach einem Wettbewerb den Leiter des Nationalen Anti-Korruptions-Büros der Ukraine (NABU) zu bestimmen hatte. Seit Kurzem ist er Mitglied des internationalen Anti-Korruptions-Beratungsgremiums, das den Ausschuss für Verhütung und Bekämpfung von Korruption im ukrainischen Parlament unterstützen soll.

Die ukrainische Internetzeitung “Jewropejska prawda” (Europäische Wahrheit) sprach mit Kessler während seines Aufenthalts in Kiew. Das Ukraine Crisis Media Center bringt eine gekürzte Übersetzung des Interviews.

Jewropejska prawda: Warum ist die Korruptionsbekämpfung in der Ukraine so schwierig?

Giovanni Kessler: Die Korruption ist in der Ukraine ein ernsteres und stärkeres Problem und verursacht größere Sorgen als in vielen anderen Ländern. Zumindest in Europa. Es ist gut, dass dies vor allem in der Ukraine selbst zugegeben wird. (…) Man kann Korruption nicht an einem Tag oder mit dem Wechsel einer Regierung oder eines Präsidenten besiegen. Das kann nur der erste Schritt sein.

Zugegeben, in den letzten Jahren hat die Ukraine viel getan. Es wurden Möglichkeiten geschaffen, Korruption aufzudecken und ihr nachzugehen. Das System ist nicht mehr in sich geschlossen, nicht mehr wie früher “verkorkt“. Niemand hat mehr die Gewissheit, dass Korruption nicht öffentlich gemacht wird und dass sie nicht unabhängig und effektiv untersucht wird.

(…) Priorität für die Ukraine ist heute, Korruptionsfälle aufzudecken und zu untersuchen. Aber das ist nicht genug. Um Korruption auszumerzen, muss sich die Kultur der Gesellschaft ändern. Wenn es keine klaren Signale gibt, dass Korruption aufgedeckt und jeder, der an ihr beteiligt ist, zur Rechenschaft gezogen werden kann, dann werden öffentliche Kampagnen ohne Wirkung bleiben.

JeP: Sie haben einmal in einem Interview gesagt, dass die Ukraine die Korruptionsbekämpfung mit Maßnahmen zu deren Verhütung beginnen sollte. Gibt es da Fortschritte?

Kessler: Es gibt Fortschritte. Erstens was das Bewusstsein auf allen Ebenen angeht – von der höchsten politischen Ebene bis hin zur Bevölkerung. Zweitens gibt es jetzt in der Ukraine das NABU, eine unabhängige Institution, die dieses Signal aussendet: Jegliche Korruption kann aufgedeckt werden, auch auf höchster Ebene.

JeP: Das NABU arbeitet derzeit unter sehr schwierigen Bedingungen. Sehen Sie das auch so?

Kessler: Es ist klar, je mehr man unternimmt, desto mehr Feinde macht man sich. (…) Derzeit meinen so manche, ein Audit des NABU habe jetzt Priorität. Das sehe ich aber anders. Ein unabhängiges Audit sollte man erst nach einigen Jahren durchführen, wenn die Arbeit der Einrichtung bereits gut etabliert ist. Dann kann man beurteilen, wie es funktioniert, aber nicht jetzt, wo das NABU noch im Entstehen ist. Daher sehe ich die Gefahr, dass das geplante Audit des NABU nur durchgeführt werden soll, um nach dessen Ergebnis den Leiter des Nationalen-Anti-Korruptions-Büros zu entlassen. Das heißt, gewisse Leute sehen darin eine Möglichkeit, ihn von seinem Posten zu entfernen. Das würde die Unabhängigkeit des Leiters gefährden, was sehr schlecht wäre.

JeP: Das OLAF und das NABU arbeiten seit fast einem Jahr zusammen. Haben Sie schon gemeinsame Untersuchungen durchgeführt?

Kessler: Ja, wir hatten einige parallele Untersuchungen und haben gut zusammengearbeitet. Aber ich darf keine Details offenlegen. Ich möchte klarstellen, dass das OLAF lediglich das Mandat hat, Fällen von möglicher unsachgemäßer Verwendung von EU-Mitteln nachzugehen. Wir untersuchen also nicht alle Arten von Korruption.

JeP: Vor Kurzem wurde auf der Webseite Ihres Amtes berichtet, dass dank der Zusammenarbeit von OLAF und den ukrainischen Finanzbehörden eine große Lieferung geschmuggelter Zigaretten beschlagnahmt wurde, über zwölf Millionen Packungen. Bedeutet dies, dass aus der Ukraine gewaltige Mengen von Schmuggelware in die EU gelangen?

Kessler: Die Ukraine ist eine Land, wo illegale Zigaretten produziert werden. Sie ist aber auch Transitland für den Schmuggel illegaler Zigaretten in die EU aus anderen Ländern Osteuropas und aus Russland. Die Gefahr von Schmuggel haben wir an der EU-Ostgrenze. Hier besteht die einfache Möglichkeit, viel Geld zum Nachteil der Finanzinteressen der EU zu machen. Denn eine Packung Zigaretten kostet in der Ukraine einen Euro, aber in Großbritannien umgerechnet acht. Die Versuchung ist groß und daher sind die kriminellen Machenschaften gut organisiert. Übrigens schadet das manchmal auch der Ukraine, die dadurch weniger Einnahmen in den Haushalt erzielt. Deswegen arbeiten wir gemeinsam an diesem Problem.

Das Interview führte Anatolij Marzynowskyj für “Jewropejska prawda” in Zusammenarbeit mit “EU in Ukraine – Cooperation News” der EU-Delegation in der Ukraine