Präsidentschaftswahlen: Die wichtigsten Ergebnisse der ersten Runde

Am 31. März 2019 hat in der Ukraine die erste Runde der Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Laut Nachwahlbefragungen führt Wolodymyr Selenskyj mit rund 30 Prozent, gefolgt von Petro Poroschenko mit 17 Prozent und Julia Timoschenko mit 14 Prozent. Damit ziehen Selenskyj und Poroschenko in die Stichwahl in drei Wochen ein. Die Stimmauszählung dauert derzeit noch an.

Das Ukraine Crisis Media Center liefert aktuelle Informationen auf dieser Seite in vier Sprachen.

Neueste Ergebnisse

Nach Auszählung von über 86 Prozent der Stimmzettel liegt Selenskyj mit 30,32 Prozent der Stimmen vorn. Poroschenko kommt auf 16,02 Prozent und Julia Tymoschenko auf 13,30 Prozent. Jurij Bojko erhielt 11,53 Prozent und Anatolij Hryzenko 7,02 Prozent.

Poroschenko führt in den Gebieten Ternopil, Iwano-Frankiwsk und Lwiw im Westen der Ukraine, Bojko in den ostukrainischen Gebieten Donezk und Luhansk.

Was zeigen die Ergebnisse der ersten Wahlrunde?

Die erste Runde zeigt trotz ihrer Ergebnisse positive Tendenzen in der ukrainischen Gesellschaft auf. Witalij Sitsch, Chefredakteur der Zeitschrift “Nowoje Wremja”, führt in einem Artikel einige wichtige Thesen auf. “Heute ist mir klar geworden, welch langen und schwierigen Weg wir in den letzten 15 Jahren zurückgelegt haben. Im Jahr 2004 hatten noch Kutschma und Janukowitsch versucht, die Präsidentschaftswahlen zu klauen und die Ergebnisse zu fälschen. Es hat nicht funktioniert”, schreibt er.

15 Jahre später sind in der Ukraine die Ergebnisse von Präsidentschaftswahlen nicht mehr vorhersehbar. Drei Kandidaten hatten die Chance zu einem Sieg und fünf auf den Einzug in die Stichwahl. Alle Kandidaten, einschließlich der oppositionellen, können ihre Meinung im Fernsehen offen und kritisch äußern. Die Medien unterstützen verschiedene Kandidaten.

In der Ukraine gibt es viele investigative Journalisten, die dem Präsidenten auch empfindlich weh tun können. Sie konkurrieren untereinander. Ihre Recherchen sind im ganzen Land bekannt, und das Recht der Journalisten, ihrem Beruf nachzugehen, stellt niemand in Frage. So war das zu Beginn der 2000er Jahre nicht. Auch die Meinungsforschungsinstitute stehen untereinander in einem Wettbewerb und veröffentlichen reale Zahlen über Präsidentschaftskandidaten und politische Parteien. Gleiches gilt für Nachwahlbefragungen.

“Diesbezüglich haben wir in 15 Jahren einen weiten Weg zurückgelegt. Unsere ehemaligen sozialistischen Nachbarn wie Russland, Belarus und Kasachstan müssen noch einen sehr langen und beschwerlichen Weg gehen”, schreibt der Journalist Witalij Sitsch.

Warum Selenskyj?

Die Wähler, für die der Krieg im Osten der Ukraine das größte Problem des Landes darstellt, haben einen Oberbefehlshaber gewählt, auch wenn sie sich seiner Defizite in anderen Bereichen bewusst sind. Diejenigen, die vor allem einen Wechsel der politischen Eliten wollen, haben sich für ein neues Gesicht entschieden, auch im Bewusstsein dessen, dass diese Person Defizite hat. Diejenigen, für die Armut das wichtigste Thema ist, haben sich für jemanden entschieden, der dagegen vorgehen will. Obwohl laut Umfragen etwa 70 Prozent der Ukrainer den Krieg als das größte Problem des Landes betrachten, war doch der Wunsch nach einem neuen Staatsoberhaupt stärker.

Protestwahl schon in der ersten Runde. Die Ergebnisse zeigen, dass viele Wähler “dagegen” stimmen, insbesondere gegen die bestehende politische Klasse und das etablierte Establishment. Sie haben nicht für bekannte Gesichter gestimmt, sondern sind ein Risiko eingegangen und haben sich für die virtuelle Möglichkeit einer “neuen Person” entschieden, auch wenn ihr Erfahrung, Professionalität, Unabhängigkeit und Visionen für die Zukunft des Landes fehlen.

Sieg eines virtuellen Kandidaten.Selenskyjs Kandidatur ist so stark, weil sie virtuell ist. Er trifft sich nicht mit Wählern und gibt keine Interviews für ukrainische Journalisten. Selenskyj erschien auch nicht zu den Debatten im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Dies hat übrigens auch der jetzige Präsident Poroschenko nicht gemacht. “Diejenigen haben Recht, die schreiben, dass wir es mit einem postmodernen Phänomen zu tun haben. Selenskyj ist eine imitierte Realität”, schreibt auf Facebook der Politikexperte Serhij Stukanow und fügt hinzu: “Selenskyj hat nach der Veröffentlichung der Nachwahlbefragungen kein Interview gegeben. Aber Selenskijs Wähler interessieren sich auch nicht fürs Fernsehen. Morgen macht er einige Post auf Instagram und YouTube und dann werden sie schon zufrieden sein.” Stukanow zufolge stimmen Selenskyjs Wähler für Vasyl Holoborodko, eine Figur in der Comedy-Serie “Diener des Volkes”. Darin spielt Selenskyj den Geschichtslehrer Holoborodko, der zum Präsidenten gewählt wird und gegen das etablierte Machtgefüge vorgeht.

Russland: Nichtanerkennung von Wahlen “auf Pause” gestellt

Moskau verfolgt die Wahlen in der Ukraine aufmerksam, denn vom Staatsoberhaupt hängt in der Ukraine die Außenpolitik ab. Die Hybrid Warfare Analytical Group des Ukraine Crisis Media Center hat am Wahltag die wichtigsten Narrative der russischen Medien analysiert.

Umfangreiche Berichterstattung. In der Schlussphase des Wahlkampfes gab es eine umfangreiche Berichterstattung auf allen zentralen russischen TV-Kanälen, später auch über die ersten Wahlergebnisse. Die Moderatoren der Top-Talkshow “60 Minuten”, Skabejewa und Popow, führten den gesamten Sonntag durch eine Live-Sendung zu dem Thema Wahlen in der Ukraine. Sie standen im Mittelpunkt der vom Kreml gesteuerten Medien, die minimal über Lokales berichten und sich auf alles Negative in anderen Ländern stürzen und dabei ein Gefühl von Chaos, Gefahr und Feindseligkeit gegenüber Russen außerhalb Russlands vermitteln.

Negative Vorstellungen. Die russischen Medien suggerieren, dass die Wahlen mit heftigen sozialen Spannungen zwischen Wählern und Behörden einhergehen. Vermittelt wird die Vorstellung, die Führung in der Ukraine sei eine “Junta”, die mit militärischem Gerät auf den Straßen präsent sei. Erhöhte Sicherheitsmaßnahmen werden als bewaffnete Unterdrückung der Bevölkerung dargestellt.

“Unfaire und unrechtmäßige Wahlen”.Russischen Medien zufolge ist das ukrainische Volk dieser Ansicht. Der Schwerpunkt wird auf angebliche Fälschungen gelegt, obwohl laut internationaler Beobachter die Wahlen im Allgemeinen ruhig verliefen. Bestechung von Wählern wird meist Poroschenko vorgeworfen, manchmal auch Tymoschenko.

Manipulierte Umfragewerte. Die Übertreibung von Umfragewerten des pro-russischen Kandidaten Jurij Bojko ermöglicht den russischen Medien zu behaupten, das Wahlergebnis sei manipuliert, die pro-russischen Wähler würden unterdrückt und die Ukrainer würden in Wirklichkeit eine nach Russland hin orientierte Außenpolitik wollen, was von der angeblich autoritären ukrainischen Staatsmacht unterdrückt werde.

Über Selenskyj. Insgesamt wird die Hohe Anzahl von Stimmen für Selenskyj positiv dargestellt, was den russischen Medien gut ins Konzept einer vernichtenden Kritik an der gegenwärtigen ukrainischen Führung passt.

Nichtanerkennung von Wahlen. Einige russische Politiker und politische Kräfte treten dafür ein, Wahlergebnisse in der Ukraine überhaupt nicht anzuerkennen. Der Pressesprecher des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Dmitrij Peskow, erklärte, solange die Wahlen noch nicht abgeschlossen seien, werde er die Frage, ob das Wahlergebnis anerkannt wird, nicht beantworten. Das zeigt, dass ein solches Szenario zumindest möglich ist und dass das russische Fernsehpublikum mit entsprechenden Debatten darauf vorbereitet wurde. Ob es dazu kommt, hängt davon ab, wie unzufrieden der Kreml mit dem Ergebnis der Präsidentenwahl in der Ukraine sein wird.