Präsident Selenskyj in Polen, Verfassungsreform in der Ukraine, Umfrage im Donbass und weitere Themen

Die Lage im Kampfgebiet im Osten der Ukraine

Der Feind beschießt weiterhin die Stellungen von Einheiten der ukrainischen Vereinten Kräfte mit Mörsern des Kalibers 82 mm, die durch die Minsker Vereinbarungen verboten sind. Er schießt auch mit Waffen von Schützenpanzern, Granatwerfern verschiedener Systeme, großen Maschinengewehren und Kleinwaffen. Damit verstößt der Feind gegen die Waffenruhe.

Am 2. September wurde ein Soldat der Streitkräfte der Ukraine durch feindlichen Beschuss tödlich verletzt.

Die Brücke in Stanyzja Luhanska.Am 31. August verweigerte die Besatzungsverwaltung Vertretern der ukrainischen Brückenbau-Gesellschaft “Ukrtransmost” den Zugang zum zerstörten Teil der Brücke in Stanyzja Luhanska. Am 1. September lehnte die Besatzungsverwaltung gegenüber der ukrainischen Seite ab, die Sicherheit bei den geplanten Abbrucharbeiten zu garantieren.

Deswegen mussten die Vertreter von “Ukrtransmost” das Gelände verlassen, ohne eine Untersuchung der zerstörten Brücke durchgeführt zu haben, um den Umfang der weiteren Sanierungsarbeiten bestimmen zu können. Darüber hinaus sollten am 1. September Teile der zerstörten Brücke demontiert und Bauschutt weggeschafft werden.


 Außenpolitik: Selenskyjs Treffen mit dem polnischen Präsidenten

“Das ist kein Tauwetter in der Beziehungen, sondern ein Durchbruch”, sagte Wolodymyr Selenskyj über seine Gespräche in Warschau. Der erste offizielle Besuch des neuen ukrainischen Präsidenten in Polen habe es ihm ermöglicht, einen “Schlussstrich” unter die Krise in den ukrainisch-polnischen Beziehungen zu ziehen und eine Intensivierung der Zusammenarbeit anzukündigen. Doch um welchen Preis wurde dies erreicht und wird das zu einer echten Beilegung des historischen Streits zwischen Kiew und Warschau führen?

Das Ende des Gedenk-Streits. Die diplomatischen Beziehungen zwischen der Ukraine und Polen waren unter der Präsidentschaft von Petro Poroschenko angespannt. Die Hauptstreitpunkte betrafen die Vergangenheit der Nachbarländer: Seit 2017 gilt in der Ukraine ein Moratorium für die Exhumierung von polnischen Gräbern. Die durch das ukrainische Moratorium verursachte Krise in den Beziehungen war für beide Länder ein Schlag, und beide Seiten waren lange nicht bereit, den ersten Schritt für eine Annäherung zu unternehmen.

Was Poroschenko nicht getan hat, hat Selenskyj getan. “Ich bin bereit, die Erteilung von Genehmigungen zur Durchführung von Suchaktionen in der Ukraine freizugeben”, sagte Selenskyj. Auf diese Erklärung hatte Polen lange gewartet. Jetzt besteht die Hoffnung, dass das erste Treffen von Selenskyj mit seinem polnischen Amtskollegen Andrzej Duda am 31. August die bilateralen Beziehungen verbessern konnte. Nach dem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten sagte der Präsident Polens, Selenskyj habe versprochen, das Problem des Moratoriums auf Exhumierungen zu lösen.

“Im Gegenzug wird die polnische Seite ukrainische Gedenkstätten in Polen in Ordnung bringen”, sagte Selenskyj in Warschau während einer Pressekonferenz mit Duda. Später machte Selenskyj auf seiner Facebook-Seite deutlich, er habe mit Duda vereinbart, die Arbeitsgruppe zur Aufhebung gegenseitiger Ansprüche zu erneuern. So sollen gemeinsame Arbeiten zur Exhumierung und Umbettung von getöteten polnischen und ukrainischen Soldaten und Zivilisten in ihre Heimat unternommen werden.

Die polnische Seite teilte bisher allerdings noch keine Einzelheiten mit. Daher ist es noch zu früh, mit Sicherheit sagen zu können, ob und inwieweit diese Vereinbarungen tatsächlich umgesetzt werden.

USA-Polen-Ukraine: Zusammenarbeit im Gasbereich. Ein wichtiges Dokument, das am Wochenende von ukrainischen Vertretern unterzeichnet wurde, war das ukrainisch-polnisch-amerikanische Memorandum über die Zusammenarbeit im Gasbereich. Das trilaterale Abkommen sieht den Ausbau der Lieferung von US-amerikanischem Flüssiggas nach Polen und in die Ukraine, die Nutzung der ukrainischen unterirdischen Gasspeicher und die Einrichtung einer Gasinfrastruktur vor. Die polnischen Leitungen werden in der Lage sein, den vollständigen Gastransport in die Ukraine frühestens 2022 sicherzustellen. Das Memorandum soll ein schlagkräftiges Argument im Streit der Ukraine mit dem staatlichen russischen Energiekonzern Gazprom sein.

Unterstützung der Souveränität der Ukraine. Der polnische Präsident Andrzej Duda betonte, dass niemand in Europa und der Welt die Grenzen von Staaten gewaltsam ändern darf, wie dies während des Zweiten Weltkriegs und in der Ukraine im Jahr 2014 geschehen ist. “Die Ukraine muss ein freier souveräner Staat bleiben, und niemand kann den Frieden und die territoriale Integrität der Ukraine verletzen, insbesondere im Zusammenhang mit dem 80. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs”, sagte er auf einer Pressekonferenz.

Sanktionspolitik gegen Russland fortsetzen.Duda erklärte ferner, dass die Politik der Sanktionen gegen Russland aufgrund der Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine fortgesetzt werden müsse. “Die Ukraine muss ihre territoriale Integrität, die sie bis 2014 hatte, wiedererlangen. Heute sind Gebiete der Ukraine – die Krim sowie die Regionen Luhansk und Donezk –  besetzt und sie müssen zur Ukraine zurückkehren. Unsere Position in diesem Zusammenhang bezüglich Russland ist klar: Die Sanktionspolitik muss fortgesetzt werden, da dies der friedlichste Weg ist, den Staat zur Einhaltung des Völkerrechts zu zwingen”, sagte Duda.


 Verfassungsreform: Was kann sich in der Ukraine ändern?

Am 29. August hat das neu gewählte ukrainische Parlament seine Arbeit aufgenommen. Am Morgen legten die Abgeordneten den Amtseid ab, wonach eine neue parlamentarische Führung und ein neuer Premierminister gewählt wurden. Darüber hinaus wurden den Abgeordneten mehrere wichtige Gesetzentwürfe vorgelegt, für deren Verabschiedung eine Verfassungsmehrheit von 300 Stimmen erforderlich ist. Dazu gehören unter anderem:

Amtsenthebung des Präsidenten.Die Ukraine könnte erstmals ein Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten bekommen. Der Text des Gesetzentwurfs Nr. 1012, den Präsident Wolodymyr Selenskyj dem Parlament am 29. August vorgelegt hat, besagt, dass das Parlament den Präsidenten der Ukraine nur wegen Hochverrats oder sonstiger Straftaten des Amts entheben kann. “Grundlage für die Einleitung des Amtsenthebungsverfahrens ist ein schriftlicher Antrag, der von der Mehrheit der Abgeordneten unterzeichnet werden muss. Der Antrag muss eine rechtliche Begründung für die Notwendigkeit einer speziellen vorübergehenden Untersuchungskommission enthalten”, heißt es in dem Dokument.

300 statt 450 Abgeordnete.Präsident Selenskyj schlägt auch vor, die Anzahl der Abgeordneten des ukrainischen Parlaments auf 300 zu beschränken und ein rein proportionales Wahlsystem einzuführen. Die Abgeordneten sollen für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt werden. Dies ist in dem von Selenskyj vorgelegten Gesetzesentwurf Nr. 1017 über Änderungen der Artikel 76 und 77 der Verfassung der Ukraine vorgesehen, den der Präsident als dringend eingestuft hat.

Aufhebung der Abgeordneten-Immunität. Auf der Sitzung des neu gewählten Parlaments am 30. August billigten die Abgeordneten in erster Lesung den entsprechenden Gesetzentwurf Nr. 7203 über die Änderung von Artikel 80 der Verfassung, der dem Parlament noch von Präsident Petro Poroschenko vorgelegt worden war. 363 Abgeordnete des neu gewählten Parlaments stimmten für die Gesetzesvorlage von Selenskyjs Amtsvorgänger.

Gesetzesinitiative des Volkes. Das Recht auf Gesetzesinitiative im ukrainischen Parlament hatten bisher der Präsident, das Ministerkabinett und die Abgeordneten. Künftig soll es sich auch auf die Bevölkerung der Ukraine erstrecken. Dies geht aus dem Gesetzesentwurf Nr. 1015 “Über die Änderung von Artikel 93 der Verfassung der Ukraine (über die Gesetzesinitiative des Volkes)” hervor, der am 29. August vom ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorgelegt wurde und auf der Webseite des ukrainischen Parlaments veröffentlicht wurde.


Umfrage: Mehrheit der Bewohner in den besetzten Gebieten betrachtet sich als Teil der Ukraine

Die meisten Einwohner der vorübergehend besetzten Gebiete im Donbass betrachten diese Gebiete als Teil der Ukraine. Das geht aus der Studie “Attitudes and identities across the Donbas front line: What has changed from 2016 to 2019?” des Berliner Zentrums für Osteuropa- und Internationale Studien hervor,

31 Prozent der Befragten, die in den von Kiew nicht kontrollierten Gebieten leben, befürworten eine Autonomie innerhalb der Ukraine, 27,2 Prozent eine Autonomie innerhalb Russlands, 23,5 Prozent sind für einen gewöhnlichen Status als Region innerhalb der Ukraine wie vor dem Krieg, also ohne Autonomie, 18,3 Prozent sind für den Beitritt zur Russischen Föderation ohne Autonomie. Das heißt, dass 54,5 Prozent für die Wiedereingliederung in die Ukraine sind, aber mit unterschiedlichem Status. Im Vergleich zum Jahr 2016 sind inzwischen drei Prozent mehr der Befragten für eine Wiederherstellung des Status der Regionen Donezk und Lugansk wie er vor dem Krieg war. Insgesamt waren 2016 und 2019 etwa 55 Prozent der Einwohner der von Kiew nicht kontrollierten Gebiete für eine Rückkehr dieser Gebiete unter die Kontrolle der ukrainischen Regierung.