Am 5. September hat das Oberste Anti-Korruptions-Gericht seine Arbeit aufgenommen. Es ist eine neu geschaffene Struktur, die eine Lücke im System der staatlichen Organe zur Korruptionsbekämpfung schließ. Das Nationale Anti-Korruptions-Büro (NABU) ermittelt, die Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft erhebt Anklage und das Anti-Korruptions-Gericht soll Fälle prüfen und Urteile fällen.
Lange Vorgeschichte. Die Einrichtung des Obersten Anti-Korruptions-Gerichts nahm viel Zeit in Anspruch. Der IWF sowie das US-Außenministerium und die G7 – die wichtigsten Partner der Ukraine bei der Abwehr der russischen Aggression – hatte auf der Schaffung des Gerichts bestanden. Zwischen der Registrierung der Gesetzesvorlage im Dezember 2017 und der Ablegung des Amtseids durch die Richter im April 2019 lagen anderthalb Jahre.
Die wichtigsten Stationen. Am 7. Juni 2018 verabschiedete das ukrainische Parlament in zweiter Lesung das Anti-Korruptions-Gesetz. 317 Abgeordnete stimmten dafür. Die Venedig-Kommission begrüßte die Verabschiedung des Gesetzes.Am 11. April 2019 ernannte Präsident Petro Poroschenko 38 Richter des Obersten Anti-Korruptions-Gerichts und der Berufungskammer des Obersten Anti-Korruptions-Gerichts. Am 6. Juli 2019 erhielt das Anti-Korruptions-Gericht ein Gebäude in der Hauptstadt Kiew.
Wer sind die Richter? 343 Kandidaten bewarben sich um die 39 Ämter im Anti-Korruptions-Gericht. 38 Bewerber bestanden die Prüfungen vor der Obersten Qualifikations-Kommission und internationalen Experten. 27 von ihnen werden als Richter des Obersten Anti-Korruptions-Gerichts tätig sein, elf von ihnen bei der Berufungskammer des Gericht. Die Leitung des Gericht übernimmt Olena Tanasewytsch, die zuvor an einem Bezirksgericht im Gebiet Charkiw tätig war.
Um sicherzustellen, dass die Richter, die Teil des staatlichen Systems zur Korruptionsbekämpfung sind, ihre Arbeit auch ehrlich erledigen, wird die Nationale Agentur zur Korruptionsbekämpfung regelmäßig ihre Vermögenserklärungen sowie ihren Lebenswandel und den ihrer Familienangehörigen prüfen.
Womit wir sich das Gericht befassen? Das Oberste Anti-Korruptions-Gericht ist zuständig für Strafsachen im Bereich Korruption. Das sind 23 Artikel des Strafgesetzbuches, von denen die meisten in der Zuständigkeit des Nationalen Anti-Korruptions-Büros liegen.
Was ist die größte Herausforderung für das Gericht? Ab dem Zeitpunkt, wo das Gericht seine Arbeit aufnimmt, gibt es ein Problem: Nach der geltenden Gesetzgebung muss das Gericht am ersten Tag seiner Arbeit alle bereits vorliegenden Anträge und Klagen annehmen. Das sind laut Schätzungen über 3500 “Korruptionsfälle”, die die Arbeit des Gerichts auf lange Zeit lähmen werden.
Um dies zu vermeiden, brachte der neue ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Parlament einen Gesetzesentwurf ein, der vorsieht, dass das Oberste Anti-Korruptions-Gericht nur Verfahren behandelt, die ab dem 5. September 2019 in das Register der Ermittlungsverfahren eingetragen werden, und solche Verfahren, die früher eingeleitet und vom Nationalen-Anti-Korruptions-Büro (NABU) und der Speziellen Anti-Korruptions-Staatsanwaltschaft vorgerichtlich geprüft wurden.
Das Oberste Anti-Korruptions-Gericht wird beispielsweise solche Fälle wie gegen den ehemaligen Abgeordneten Mykola Martynenko prüfen, dem vorgeworfen wird, Dutzende Millionen Dollar an Staatsmitteln unterschlagen zu haben. Es wird aber auch die Berufung im Fall des Bürgermeisters von Odessa, Hennadij Truchanow, oder den Fall gegen den früheren Leiter des Staatlichen Fiskal-Dienstes, Roman Nasirow, prüfen.
Was ist zu erwarten? Das Parlament muss noch ein Gesetz verabschieden, mit dem die Rechtsunsicherheiten im Zusammenhang mit der Arbeit des Obersten Anti-Korruptions-Gerichts beseitigt werden sollen.Mit diesem Gesetz muss das Gericht eindeutig die Befugnis erhalten, ausschließlich Fälle des Nationalen-Anti-Korruptions-Büro oder auch andere Korruptionsfälle zu prüfen. In den vom NABU behandelten Fällen liegen die Geldbeträge, die unter Korruption fallen, deutlich höher als in anderen Fällen. Dem Gericht könnten etwa 200 Fälle überlassen werden, die vom NABU untersucht wurden, oder alle 3600 Fälle, einschließlich derer, an denen andere Strafverfolgungsbehörden bereits gearbeitet haben.