Warum russische TV-Propagandisten nach Kiew gereist sind

Am 10. Dezember hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj während einer Pressekonferenz nach dem Normandie-Gipfel in Paris russische Medien in die Ukraine dazu eingeladen, selbst zu sehen, was im Land geschehe. Schon drei Tage später, am 12. Dezember, war ein Team des TV-Senders “Zvezda”, der vom russischen Verteidigungsministerium betrieben wird, in der ukrainischen Hauptstadt. Dies blieb nicht ohne Reaktion der Zivilgesellschaft. Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center (UCMC):

Was hat Selenskyj gesagt? Während des Briefings in Paris sagte der ukrainische Präsident zu den russischen Medienvertretern, sie sollten in den Donbass an die Trennlinie fahren, um mit eigenen Augen zu sehen, was dort vor sich gehe: “Kommt, ich werde es Euch persönlich zeigen. Und zwar real, nicht so wie bei Euch, wie Genosse Solowjow in Moskau immer fröhlich berichtet, was los ist.” Der russische Fernsehmoderator Wladimir Solowjew gilt als treuer Propagandist von Präsident Wladimir Putin. Selenskyj betonte, bei einem solchen Besuch würde den russischen Medienvertretern nichts Schlimmes passieren, sie würden sich nicht einmal ihr Brioni-Schuhe schmutzig machen.

Was geschah danach?Was auf der Pressekonferenz wie ein Witz wirkte, wurde schnell Realität. In Russland wurde die Einladung wörtlich genommen. Ein Team des Fernsehsenders des Verteidigungsministeriums der Russischen Föderation “Zvezda” reiste in die Ukraine – und zwar die Korrespondentin Diana Sirasi und der Kameramann Alexander Stolerow.

Auf der Webseite von “Zvezda” heißt es, die beiden Mitarbeiter seien die ersten russischen Journalisten, die nach Selenskyjs Einladung von jener Pressekonferenz nach Kiew gelassen wurden. Denn seit 2014 gelte ein stillschweigendes Einreiseverbot für russische Reporter in die Ukraine, so der Sender.

Diana Sirasi sagte, sie seien auf Einladung des ukrainischen Präsidenten gekommen, um “zu überprüfen, ob er seine Versprechen hält und sie durch den Zoll gelassen würden”. Sie beendete ihren Bericht auf dem Maidan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. “Es ist jedoch noch noch unklar, ob und wie lange russischen Journalisten der Weg offen steht”, sagte sie.

Reaktion der ukrainischen Zivilgesellschaft

Vertreter von Nichtregierungsorganisationen und unabhängigen Medien, wie das UCMC, Internews, Prisma UA, Euromaidan Press, StopFake, der Verband der Angehörigen von politischen Gefangenen in Russland und mehrere andere, haben die Pariser Äußerung von Präsident Selenskyj verurteilt, mit der er Vertreter staatlicher Propaganda-Sender in die Ukraine eingeladen hatte.

Eine entsprechende Erklärung wurde auf der Webseite des UCMC veröffentlicht. Darin heißt es: “Aufgrund dieser Einladung sind Vertreter des Fernsehsenders ‘Zvezda’, der für die Verbreitung zahlreicher Fälschungen und Hassreden bekannt ist, heute nach Kiew gekommen. ‘Zvezda’ ist eine Informationsabteilung des Verteidigungsministeriums des Aggressor-Staates, daher stellt die Ankunft von Journalisten dieses Senders eine Bedrohung für die Informationssicherheit unseres Landes dar. Wir sind der Meinung, dass der Besuch russischer Propagandisten in der Ukraine unweigerlich zu einer verstärkten Aggression im Informationsbereich führen wird, die einer der Hauptbestandteile des hybriden Kriegs des Kremls gegen die Ukraine ist.”

Erklärung des Sicherheitsdienstes der Ukraine

Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) teilte mit, die “Zvezda”-Propagandisten würden beobachtet. “Wenn es zu Verstößen kommt, werden wir rechtliche Schritte einleiten”, sagte die Sprecherin des SBU, Olena Hitljanska. Ihr zufolge sind Diana Sirasi und Alexander Stolerow als normale russische Bürger in die Ukraine eingereist. Sie hätten nicht angegeben, Journalisten zu sein.

Der ukrainische Grenzschutz bestätigte gegenüber der Internetzeitung “Ukrajinska Prawda” (Ukrainische Wahrheit), dass die oben genannten Bürger der Russischen Föderation als gewöhnliche Ausländer die Grenze passiert hätten. Dem Grenzschutz hätten seitens keiner ukrainischen Behörde irgendwelche Einreisebeschränkungen für diese Bürger vorgelegen. Ein Sprecher des Grenzschutzes sagte dem Webportal “Liga.net”, die Mitarbeiter des Senders “Zvezda” hätten angegeben, “zu einem privaten Besuch zu Verwandten” in die Ukraine gekommen zu sein.

Wie die “Ukrajinska Prawda” beim SBU erfuhr, sollen die Journalisten kein zweites Mal mehr in die Ukraine gelassen werden. Aus andere Quellen heißt es, der Besuch der “Zvezda”-Mitarbeiter, so kurz nach Selenskyjs Erklärung in Paris, sei als gezielte Provokation der russischen Medien zu werten. So sagte ein Gesprächspartner von “Liga.net” in den ukrainischen Rechtsschutzorganen: “Sie provozieren. Selenskyj hat dazu eingeladen, den Donbass anzuschauen. Als erste brachen Agenten des russischen Verteidigungsministerium auf, um zu provozieren, dass wir sie sofort wieder ausweisen und so die Worte des Präsidenten widerlegen.”