Laut einer Umfrage des Kiewer Rasumkow-Forschungszentrums ist für die meisten Ukrainer Präsident Wolodymyr Selenskyj die größte Enttäuschung des Jahres 2020. Die Umfrage wurde zwischen dem 4. und 9. Dezember 2020 mittels persönlichen Gesprächs am Wohnort der Befragten durchgeführt. Befragt wurden 2018 Personen ab 18 Jahren in allen Regionen der Ukraine, mit Ausnahme der Krim und der besetzten Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk. Die Befragten repräsentieren die wichtigsten soziodemografischen Indikatoren. Einzelheiten vom Ukraine Crisis Media Center.
Enttäuscht von der Politik. Für 42% der Befragten ist Selenskyj die Enttäuschung des Jahres. Dieselbe Umfrage ergab auch, dass 20% der Befragten Selenskyj als den Politiker des Jahres bezeichnen. Doch dieser Wert ist deutlich niedriger als Ende letzten Jahres – damals waren es 46%.
Für weitere 10% ist der ehemalige Präsident Petro Poroschenko die Enttäuschung des Jahres, für jeweils 2% sind es der Führer der Partei “Oppositions-Plattform – Fürs Leben”, Wiktor Medwedtschuk, Premierminister Denys Schmyhal, die Vorsitzender der Partei “Vaterland”, Julia Tymoschenko, der Vorsitzende der “Radikalen Partei”, Oleh Ljaschko, der ehemalige Premierminister Oleksij Hontscharuk und für 1% der Befragten Swjatoslaw Wakartschuk.
5% der Befragten sind von allen Politikern enttäuscht und 17% konnten niemanden benennen.
Beliebtheitswerte von Politikern. Laut der Umfrage würden Selenskyj im Vergleich zu Dezember 2019 weniger Menschen wählen – damals waren es 41% und heute 19% der Befragten. Die Unterstützung für Poroschenko ist in diesem Zeitraum von 8% auf 13% gestiegen, die für Jurij Bojko von 10% auf 12% und die für Ihor Smeschko von 3% auf 4,5%. Julia Timoschenko würden bei Wahlen 6% der Befragten unterstützen, vor einem Jahr waren es mit 5,5% etwa gleich viele.
Wie beurteilen die Ukrainer die politischen Ereignisse des Jahres? Als das wichtigste politische Ereignis des Jahres 2020 in der Ukraine betrachten 33% der Befragten die Kommunalwahlen. Von ihnen sind 54% überzeugt, dass es ein positives Ereignis war, nur 11% sehen es negativ. Für 23% ist die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen das wichtigste Ereignis des Jahres. Fast alle Befragten (95%) betrachten die Pandemie als negativ. 4,5% der Befragten sagten, das Urteil des Verfassungsgerichts zur Aufhebung der Antikorruptionsgesetze sei das wichtigste Ereignis des Jahres. Für 3% der Befragten war es die Verabschiedung des Gesetzes über den Handel mit landwirtschaftlichen Flächen, für 3% die Waffenruhe im Donbass, für 2% die Wirtschaftskrise und der sinkende Lebensstandard, für 2% die steigenden Preise für Gas und kommunale Dienstleistungen, für 2% die Freilassung von Gefangenen und für 1% der Krieg im Donbass. Alle anderen Ereignisse kamen auf weniger als 1% der Befragten. 20% konnten kein Ereignis benennen.
Wie beurteilen die Ukrainer die Entwicklung im Land? Nur 16,5% der Befragten glauben, dass sich die Ereignisse in der Ukraine in die richtige Richtung bewegen, und 67% glauben, dass sie sich in die falsche Richtung bewegen. Ende letzten Jahres waren es 44% bzw. 36%, das heißt, dass eine relative Mehrheit der Meinung war, dass sich das Land in die richtige Richtung bewegt.
Die überwiegende Mehrheit (71%) der Bürger glaubt, dass sich die Situation im ganzen Land im Jahr 2020 verschlechtert hat, nur 3% glauben, dass sie sich verbessert hat, und 20% meinen, dass sie sich nicht geändert hat.
Am häufigsten verweisen die Bürger auf eine Verschlechterung in folgenden Bereichen: Preise und Zölle (81%), wirtschaftliche Lage des Landes (76%), Stabilität (74%), Gesundheitswesen (72%), Zuversicht für die Zukunft (69%), Wohlergehen ihrer Familien (64%), Einstellung der Bürger zur Staatsmacht (64%), Sozialschutz (57%), Einstellung der Regierung zu den Bürgern (56%), Löhne (56%), Bildung (51%), Altersvorsorge (50%), Kriminalität (49%) und Einhaltung von Gesetzen durch Beamte (46%).
Die Bürger bewerten die wirtschaftliche Situation des Landes im Jahr 2020 auf einer 5-Punkte-Skala mit durchschnittlich 2,0 Punkten (2019 waren es 2,5 Punkte) und das Wohlbefinden ihrer eigenen Familie mit 2,4 Punkten (2019 waren es 8 Punkte).
Weniger Optimismus. Der Optimismus unter den Ukrainern nimmt ab: 19% der Ukrainer glauben, dass die Ukraine in der Lage ist, bestehende Probleme und Schwierigkeiten in den nächsten Jahren zu überwinden, 51% glauben, dass die Ukraine Probleme nur längerfristig überwinden kann, und 18% glauben, dass die Ukraine bestehende Probleme gar nicht überwinden kann. Der Rest der Befragten ist unentschlossen. Ende 2019 waren es entsprechend 28%, 50% bzw. 11%.
Die Bürger glauben nicht an einen raschen Wandel: Nur 8% glauben, dass sich die wirtschaftliche Situation des Landes in den nächsten drei Monaten bessern wird, 9% hoffen, dass sich das Wohlergehen ihrer Familie in dieser Zeit zum Besseren wenden wird. Die Bürger erwarten eher, dass sich die Lage in den kommenden Monaten verschlechtert: 41% glauben, dass sich die wirtschaftliche Situation des Landes in den nächsten drei Monaten verschlechtern wird und 32% glauben, dass sich das Wohlergehen ihrer Familie in dieser Zeit verschlechtern wird. Entsprechend rechnen 39% und 44% mit keinen Veränderungen in diesen Bereichen.
Trotz der negativen Einschätzung der aktuellen Lage im Land möchten die meisten Bürger (54%) aber nicht zu einer Ukraine zurückkehren, wie sie vor 2014 war. Zurück wollen allerdings 32%. Der Rest der Befragten ist unentschlossen. Im Jahr 2018 waren es entsprechend 48% bzw. 39%.