Der britische Zerstörer “HMS Defender” vor der annektierten Krim: Eine Analyse des Zwischenfalls

Am 23. Juni war der britische Zerstörer “HMS Defender” im Schwarzen Meer Teil einer gemeinsamen Übung von Spezialeinheiten der Ukraine, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten. An Bord des Schiffes, auf das nach Angaben der Russischen Föderation am Mittwoch nahe der Krim Warnschüsse abgegeben wurden, war der BBC-Korrespondent Jonathan Beale, der über den Zwischenfall im Schwarzen Meer berichtete. Was ist genau passiert und was bedeutet dies für die Lage im Schwarzen Meer? Eine Zusammenfassung der Meldungen:

Was ist genau passiert? Am 23. Juni meldete das russische Verteidigungsministerium, es seien Warnschüsse auf das britische Kriegsschiff “HMS Defender” (D36) unweit der von Russland annektierten ukrainischen Halbinsel Krim abgegeben worden. Das russische Militär behauptet, dass nach Aufforderungen per Funk zur Kursänderung mehrere Warnschüsse in Richtung des britischen Schiffes gefallen seien und in seine Fahrtrichtung Bomben abgeworfen worden seien.

Das britische Verteidigungsministerium bestritt dies. Das Schiff sei friedlich durch ukrainische Hoheitsgewässer in Richtung Georgien gefahren, und in der Nähe hätten russische Übungen stattgefunden.

Gleichzeitig berichtete der BBC-Korrespondent Jonathan Beale, der an Bord der “HMS Defender” war, dass auf dem britischen Schiff tatsächlich “Salven in der Ferne” zu hören gewesen seien. Die Matrosen seien außerdem in voller Kampfbereitschaft gewesen und hätten sogar Schutzmasken für den Fall eines Beschusses und eines Brandes gehabt.

Trotz aller Meldungen, wonach die Russen geschossen und vier Warnbomben abgefeuert haben sollen, kam es letztlich nicht zu einem Beschuss und einer Festsetzung des Schiffes. Niemand versuchte, auf den Zerstörer zu gelangen und die Kontrolle über ihn zu übernehmen. Auch wenn die Russen keine Gewalt gewagt hatten, waren doch Schiffe der FSB-Küstenwache und bis zu 20 Flugzeuge unterwegs, was aus einem Video des russischen Verteidigungsministeriums hervorgeht.

Teil der NATO-Strategie und der Strategie “Global Britain”. Mykola Beleskow, Chefberater des ukrainischen “Nationalen Instituts für strategische Studien”, sagte der BBC, dass die Durchfahrt des Zerstörers Teil der NATO-Politik sei, systematisch Schiffe ins Schwarze Meer zu schicken. “Dies ist Teil des 2019 nach dem Vorfall in der Straße von Kertsch beschlossenen Gesamtplans der NATO: Sie muss die Präsenz ihrer Schiffe im Schwarzen Meer erhöhen, um die freie Schifffahrt maximal zu erhalten und Russland abzuschrecken”, sagte er.

Gleichzeitig ist die Durchfahrt der “HMS Defender” auch Teil der Strategie von “Global Britain”, entsprechend aller im März dieses Jahres veröffentlichten Dokumente. Laut dieser Strategie wird Großbritannien eine aktive Rolle spielen und in Regionen präsent sein, die im Grunde genommen eine Front im Kampf zwischen Demokratien und autoritären Staaten darstellen. “Hier verflechten sich also die gesamte NATO-Politik und die rein britische Politik miteinander”, erläuterte Beleskow.

Diese Meinung teilt Maksim Schepowalenko, stellvertretender Direktor des russischen “Zentrums für Strategie- und Technologieanalyse”, Kapitän 2. Ranges in der Reserve (Moskau). “Alles lief klar im Kontext der neuen britischen Militärdoktrin ‘Defence in a Competitive Age’ ab, die vor drei Monaten verabschiedet wurde. Darin geht es um die Marine als Instrument zur Globalisierung der britischen Militärpräsenz, die Rivalität in Grauzonen am Rande von Krieg und Frieden und um die Unterstützung von Verbündeten in verschiedenen Teilen der Welt, einschließlich der Ukraine”, so Schepowalenko gegenüber der BBC.

Warum ist das für die Ukraine wichtig? Für die Ukraine sind Demonstrationen wie die britische Durchfahrt unweit der Krim gut, aber viel wichtiger wäre, wenn die NATO und die Vereinigten Staaten stärker, ja fast ständig im Schwarzen Meer präsent wären. Gerade dies könnte die Situation in der Region ändern, meint Mykola Beleskow. Er sagte der BBC: “Das wäre noch viel mehr eine Demonstration dessen, dass die Besetzung der Krim nicht anerkannt wird, was auch notwendig ist. Aber das Wichtigste für die Ukraine ist die freie Schifffahrt im Schwarzen Meer als solche. Und dies erfordert die Präsenz der NATO und der Vereinigten Staaten, und sie hat sich im letzten Jahr im Vergleich zu 2019 verringert. Für Kiew wäre es beispielsweise wichtig, mit der NATO und den USA zu vereinbaren, dass sie jeden Monat ins Schwarze Meer einlaufen. Denn derzeit geschieht dies nur sporadisch. Die Russen fühlen sich hier insgesamt immer selbstbewusster, denn die Militarisierung der Krim geht weiter, dort wurde bereits eine Gruppe gebildet. Sie verfügt über entsprechendes Potenzial.”

Auch Andrij Klymenko, Leiter der Monitoring-Gruppe bei “Maidan für auswärtige Angelegenheiten”, einer überparteilichen Non-Profit-Organisation, und Chefredakteur des Portals “blackseanews.net”, erklärte gegenüber der BBC, dass dieser Zwischenfall für die Ukraine wichtig sei, denn die Briten hätten erstens mit der Durchfahrt durch diesen Abschnitt der Hoheitsgewässer in der Nähe von Sewastopol gezeigt, dass sie die Besetzung der Krim nicht nicht anerkennen. “Zweitens weiß ich, dass dieser Zwischenfall in Experten- und Militärkreisen als Signal der britischen Flotte wahrgenommen wird, dass sie ganz in der Nähe ist. Und drittens geht es auch um die Lage in der Arktis und Ostsee, wo Russland eine ‘schleichende Besetzung’ versucht, oder um Chinas Aktionen im Südchinesischen Meer. Der britische Zerstörer hat mit seiner Durchfahrt gezeigt, dass für Großbritannien die Freiheit der Schifffahrt und die Seerechtsübereinkommen kein leeren Worte sind”, so der Experte.