Am 17. Juli 2014 wurde über dem Donbass eine Boeing 777 der Malaysia Airlines abgeschossen. Die Maschine war auf dem Weg von Amsterdam nach Kuala Lumpur. Alle 298 Passagiere und Besatzungsmitglieder an Bord wurden getötet. Weniger als einen Monat später wurde das Joint Investigation Team (JIT) gebildet und Behördenvertreter der Niederlande, Malaysias, Australiens, Belgiens und der Ukraine leiteten Untersuchungen ein. Nach deren Abschluss begann im März 2020 ein Prozess in den Niederlanden. Die Ermittler konnten herausfinden, mit was und von wo aus das Flugzeug abgeschossen wurde. Auch wurden die Tatverdächtigen ermittelt. Russland bestreitet eine Beteiligung an der Tragödie. Einzelheiten dazu vom Ukraine Crisis Media Center:
Wer hat das Flugzeug abgeschossen? Im Frühjahr 2018 gab das Joint Investigation Team bekannt, dass die malaysische Boeing 777 von einem Buk-Raketensystem über dem Donbass abgeschossen wurde. Es gehörte der 53. Flugabwehr-Raketenbrigade der russischen Streitkräfte in Kursk und wurde aus Russland in den Donbass gebracht.
Bei den Gerichtsverhandlungen erklärten die Ermittler, wie sie die entsprechenden Beweise zusammengetragen haben. Während der Untersuchungen sei nachgewiesen worden, dass das Buk-Raketensystem aus Russland stamme. Die russische Seite hingegen behauptet, die auf das Flugzeug abgefeuerte Rakete habe sich im Besitz der ukrainischen Streitkräfte befunden.
Allerdings konnte die Seriennummer 8869032 des Raketentriebwerks ermittelt werden. Demnach wurde die Rakete 1986 in der Waffenfabrik in Dolgoprudny bei Moskau hergestellt. Und der Ort, von dem aus die Rakete abgefeuert wurde, ist Snischne. Das ergaben Berechnungen niederländischer und belgischer Experten. So wurde die Behauptung des russischen Rüstungskonzerns Almaz-Antey, der die Buk-Raketen herstellt, widerlegt, wonach die Rakete auf die malaysische Boeing angeblich vom Ort Saroschtschenske, der sich unter Kontrolle der ukrainischen Regierung befindet, abgeschossen worden sei.
Wie kam es zum Abschuss? 20 Minuten vor dem Absturz wich die MH17-Maschine wegen schlechten Wetters 37 Kilometer vom Kurs ab und flog in einer Höhe von 10.050 Meter. Das war das Minimum, das über dem Donbass zulässig war. Eine Minute später verließ das Flugzeug den Luftraum der Ukraine und der ukrainische Dispatcher übergab den Flug an die russische Kontrolle.
Um 16:20 Uhr Moskauer Zeit wurde die Passagiermaschine von einer Buk-Rakete getroffen, vor allem am Cockpit. Durch die Explosion wurde es, aber auch ein Teil der Business-Class-Kabine vom Rest der Maschine getrennt. Das Wrack flog noch weitere 8,5 Kilometer, woraufhin das Heck des Rumpfes brach und das Heck des Flugzeugs abfiel. All dies passierte in weniger als zwei Minuten. Die Trümmer des Flugzeugs und die Überreste der Toten wurden in einem Radius von mehr als 15 Quadratkilometern rund um die Absturzstelle verstreut.
Rettungskräfte und Vertreter der OSZE-Mission vor Ort wurden erst drei Tage nach der Tragödie zur Absturzstelle gelassen. Zu diesem Zeitpunkt war das Buk-Raketensystem bereits aus Snischne, über Krasnyj Lutsch, Debalzewe und Luhansk nach Russland zurückgebracht worden.
Wer steht jetzt vor Gericht? Derzeit gibt es vier Angeklagte, die vom JIT bereits im Juni 2019 benannt worden waren. Das sind drei Russen und ein Ukrainer. Um mit den Angeklagten in Kontakt zu treten, verschickten Vertreter der Justiz an sie Nachrichten über alle möglichen Messenger – aber in den meisten Fällen vergeblich.
Der bekannteste unter ihnen ist Igor Girkin, auch “Strelkow” genannt. Er ist ehemaliger “Verteidigungsminister der sogenannten Donezker Volksrepublik” und er hatte direkten Kontakt zur russischen Führung. Die meisten der am Abschuss der Boeing beteiligten Rebellen waren seine Untergebenen. Im Mai 2020 sprach Girkin über den MH17-Abschuss in einem Interview mit dem ukrainischen Journalisten Dmytro Gordon, das vom niederländischen Gericht der Akte beigefügt wurde. Girkin sagte, der Absturz des Flugzeugs sei ein schwerer Schlag für ihn gewesen, er sei sich aber sicher, dass “die Milizen die Boeing nicht abgeschossen haben”.
Wie Girkin ist auch ein anderer Verdächtiger, Sergej Dubinskij, auch “Chmurij” genannt, ein Generalmajor der russischen Armee. Er leitete die Aufklärung der Rebellen im Donbass. Es gibt Beweise dafür, dass Dubinskij den Transport des Buk-Raketensystems vor dem Abschuss der Rakete und auch den Rücktransport danach mit beaufsichtigt hatte. Im Jahr 2019 erklärte Dubinskij, er lehne eine Zusammenarbeit mit den Ermittlern ab. Gleichzeitig wies er eine Beteiligung an der Tragödie zurück.
Der dritte Verdächtige ist Oleg Pulatow, auch “Gjursa” oder “Chalif” genannt. Er war ein Untergebener von Dubinskij. Wahrscheinlich hatte er das Buk-Raketensystem am Startplatz bewacht. Pulatow wird in den Niederlanden vor Gericht von zwei niederländischen Anwälten vertreten.
Der vierte Angeklagte ist der ukrainische Staatsbürger Leonid Chartschenko, auch “Krot” genannt. Er war ebenfalls ein Untergebener von Dubinskij, der möglicherweise zusammen mit Pulatow das Buk-Raketensystem nach Snischne begleitet hatte. Derzeit hält er sich nach Angaben des russischen Dienstes der BBC im Gebiet der sogenannten “Donezker Volksrepublik” auf. Zwei Tage nach Beginn des MH17-Prozesses in den Niederlanden wurde er von den “Behörden” in Donezk festgenommen, aber wegen eines anderen Falls. Am 8. Mai wurde seine Haft um weitere zwei Monate verlängert. Chartschenko wurde bereits im Juli 2015 von der Ukraine zur Fahndung ausgeschrieben und in Abwesenheit wegen der Bildung einer terroristischen Vereinigung angeklagt.
Russland ist mit den niederländischen Ermittlungen unzufrieden. Moskau bestreitet die Beteiligung an der MH17-Katastrophe und akzeptiert keine vom Joint Investigation Team veröffentlichten Beweise und Aussagen. Die russische Generalstaatsanwaltschaft erklärte, keiner der Angeklagten Russen werde ausgeliefert. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte im April dieses Jahres, “für eine Rechtsprechung ist wichtig, dass der Prozess offen und im Rahmen der Gesetze bleibe, dass bei den Gerichtsverhandlungen die Argumente beider Seiten – und nicht nur die der Strafverfolgung – in vollem Umfang berücksichtigt werden”.
Neue Klage der niederländischen Regierung. Die niederländische Regierung gab am 10. Juli bekannt, dass sie Russland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Beteiligung am Abschuss des MH17-Flugzeugs verklagt. Dabei geht es um Verstöße Russlands gegen drei Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention. Der ukrainische Botschafter in den Niederlanden, Wsewolod Tschenzow, teilte in diesem Zusammenhang mit, die Niederlande würden erwägen, andere Staaten zur Klage gegen Russland hinzuzuziehen, darunter die Ukraine.
“Das Verhalten der Russischen Föderation beleidigt meine Klienten und jeden denkenden Menschen, der daran interessiert ist, dass Recht gesprochen wird. Dass die Niederlande sich den Klagen anschließen, erhöht den Druck, den die Familien vom ersten Tag an ausüben”, sagte Jerry Skinner, ein US-amerikanischer Anwalt, der die Angehörigen der Opfer der Flugzeugkatastrophe vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte vertritt.
Die nächste Etappe des Prozesses in den Niederlanden findet vom 31. August bis 13. November 2020 statt.