Zur Lage in Belarus: Was ist die Position der Ukraine?

Putin schließt Einsatz russischer Sicherheitskräfte in Belarus nicht aus. Der Präsident der Russischen Föderation, Wladimir Putin, hat erklärt, Russland habe eine Reserve aus Mitarbeitern von Sicherheitsbehörden gebildet, die bei Bedarf nach Belarus geschickt werden könnten.

In einem Interview für den russischen TV-Sender “Rossija” sagte Putin: “Der Unionsvertrag und der Vertrag der Organisation über kollektive Sicherheit enthält Artikel, die besagen, dass alle Mitgliedstaaten dieser Organisationen – einschließlich des Unionstaates aus den beiden Mitgliedern Russland und Belarus – sich gegenseitig bei der Verteidigung ihrer Souveränität, der Außengrenzen und der Stabilität unterstützen müssen. In diesem Zusammenhang haben wir Verpflichtungen gegenüber Belarus. Alexander Lukaschenko hat die Frage aufgeworfen, dass wir ihn bei Bedarf angemessen unterstützen sollten. Ich sagte, dass Russland alle seine Verpflichtungen erfüllen würde. Lukaschenko bat mich, eine Reserve aus Mitarbeitern von Sicherheitsbehörden zu bilden, was ich getan habe. Aber wir haben uns auch geeinigt, dass sie nicht eingesetzt wird, solange die Situation nicht außer Kontrolle gerät und extremistische Elemente unter dem Deckmantel politischer Parolen nicht bestimmte Grenzen überschreiten und anfangen, Autos, Häuser und Banken in Brand zu setzen, und versuchen werden, Verwaltungsgebäude und andere zu besetzen. Im Gespräch mit Alexander Lukaschenko kamen wir zum Ergebnis, dass es jetzt keinen solchen Bedarf gibt, und ich hoffe, dass ihn auch nicht geben wird. Daher wird diese Reserve nicht genutzt.”

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass am 1. März 2014 der damalige ukrainische Präsident Viktor Janukowytsch aufgrund von Massenprotesten, auch “Revolution der Würde” genannt, Wladimir Putin um Hilfe gebeten hatte. Daraufhin unterstützte der russische Föderationsrat einen Antrag des Präsidenten der Russischen Föderation und genehmigte die Entsendung russischer Truppen auf das Gebiet der ukrainischen Halbinsel Krim. Der Kreml nutzte Janukowytschs Flucht nach Russland, um die Krim zu erobern und einen Krieg im Osten der Ukraine zu beginnen. Seitdem ist die Autonome Republik Krim von den Russen besetzt und Teile der Regionen Donezk und Luhansk befinden sich unter der Kontrolle von prorussischen Rebellen, die vom Kreml gesteuert werden.

Die offizielle Position der Ukraine zur Lage in Belarus. Die Ukraine hat aufgrund der angespannten Lage im Nachbarland die Vorbereitung und Durchführung aller offiziellen Treffen mit Belarus gestoppt. Dies wurde von Außenminister Dmytro Kuleba bei einem Briefing in Kiew am Freitag bestätigt.

“In normalen Zeiten hatten wir viele offizielle Kontakte auf allen Ebenen – Ministerien, Regierungsbehörden. Das war normale Praxis. Jetzt unterbrechen wir all diese Kontakte, bis sich die Situation in Belarus stabilisiert”, sagte der Minister. Gleichzeitig versicherte Kuleba, dass von einem Abbruch der Beziehungen zu Belarus keine Rede sei. “Im Moment gibt es keinen Grund, die diplomatischen Beziehungen abzubrechen. Der belarussische Botschafter geht weiterhin seinen Aufgaben in der Ukraine nach”, so Kuleba.

Außerdem äußerte sich der ukrainische Außenminister zur Frage möglicher Sanktionen der Ukraine gegen Belarus. Er erinnerte daran, dass die Ukraine in diesem Fall der Politik und Vorgehensweise der EU folge. So habe sich die Ukraine der jüngsten Erklärung der EU bezüglich der unfairen Wahlen in Belarus angeschlossen. Kiew habe derzeit jedoch keine Entscheidung über mögliche Sanktionen getroffen. “Wenn wir relevante EU-Sanktionen sehen, werden wir eine eigene Entscheidung treffen”, sagte er.

Kuleba betonte, dass die Wahlen in Belarus nach Ansicht der Ukraine “mit erheblichen Mängeln” verlaufen seien und “nicht den in diesem Bereich üblichen Standards entsprochen haben”. “Wir unterstützen die Idee, dass faire und gerechte Wahlen eine Antwort auf viele wichtige Fragen in Belarus sein könnten”, so der Minister.

Kuleba unterstrich zudem, die Ukraine halte eine Einmischung Russlands in die Angelegenheiten von Belarus für unzulässig und habe auch selbst nicht vor, sich dort einzumischen.

Wie kann die internationale Gemeinschaft Belarus helfen? Ein Teil des ukrainischen Parlaments sieht die Situation in Belarus radikaler. Unter anderem wurde eine fraktionsübergreifende Vereinigung mit der Bezeichnung “Für ein demokratisches Belarus” gegründet. Angeführt wird sie vom Abgeordneten Oleksij Hontscharenko. Auf einer Pressekonferenz im Ukraine Crisis Media Center (UCMC) forderte er die ukrainische Regierung auf, eine klare Position zu beziehen und die Wahlergebnisse in Belarus nicht anzuerkennen.

“Lukaschenko ist eine direkte Gefahr für die Ukraine, er ist ein Vasall Putins. In Belarus läuft bereits ein hybrider ‘Anschluss’, und russische Propagandisten sind jetzt auf allen TV-Kanälen, weil belarussische Journalisten gekündigt haben”, sagte Hontscharenko. Er rief den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf, seinen für Oktober geplanten Besuch in Belarus abzusagen.

“Von Lukaschenko ist nichts zu erwarten. Die internationale Gemeinschaft muss Putin unter Druck setzen. Unsere fraktionsübergreifende Vereinigung hat einen Entwurf einer Erklärung des ukrainischen Parlaments vorgelegt, wonach die Wahlen in Belarus nicht anerkannt werden sollen. Unser Parlament darf nicht schweigen. Der Präsident hat den Entwurf nicht auf die Tagesordnung der Sitzung gesetzt, die auf seine Initiative einberufen wurde”, fügte Hontscharenko hinzu.

Der Ukraine mangelt es an Initiative bezüglich Belarus. Walerij Tschalyj, Vorstandsvorsitzender des UCMC und ehemaliger Botschafter der Ukraine in den USA (2015-2019), ist der Ansicht, dass die Ukraine Initiativen zur Lösung der Situation in Belarus verspiele. Das erklärte er im ukrainischen TV-Sender “Prjamyj”.

“Unser Land könnte jetzt das entscheidende und führende bei der Lösung der Situation in diesem Teil der Welt sein, insbesondere was unser Nachbarland Belarus angeht, das in vielerlei Hinsicht von der Ukraine abhängt – wirtschaftlich und politisch. Wir haben eine Warteposition eingenommen. Warum? In welcher Erwartung? Wir wissen am besten, was passiert. Wir wissen am besten aus eigener Erfahrung, was eine Bewegung in Richtung Autoritarismus und Diktatur bedeutet. Und wir wissen am besten, was Stabilität und Kontrolle über die Staatsgrenzen bedeutet. Ich hatte schnelle Erklärungen erwartet. Stattdessen hören wir beleidigende Worte des belarussischen Außenministeriums über den Präsidenten meines Landes. Wir haben diese Beziehungen jahrzehntelang aufgebaut. So etwas ist inakzeptabel”, sagte Tschalyj.