Einschätzung zum Minsk-Prozess, MH17-Klage der Niederlande gegen Russland, Kolomojskyj kontra Poroschenko und weitere Themen

Die Lage im Kampfgebiet im Osten der Ukraine

Vergangene Woche hat sich die Lage im Kampfgebiet verschlechtert. Insgesamt haben am 12. Juli illegale bewaffnete Verbände der Russischen Föderation elf Mal gegen die Waffenruhe verstoßen. Der Feind schoss im Morgengrauen aus 152-mm-Artilleriesystemen in der Nähe von Nowotoschkiwske und mit 120-mm-Mörsern auf die Verteidiger von Orichowe und Krymske. Der Feind eröffnete auch das Feuer in der Nähe von Chutir Wilnyj.

Im Verantwortungsbereich der operativen und taktischen Gruppe “Ost” setzte der Angreifer am Morgen 122-mm-Artilleriesysteme und 120-mm-Mörser, Granatwerfer verschiedener Systeme und Kleinwaffen in den Vororten von Awdijiwa ein.

Ein weiterer grober Verstoß wurde in der Nähe von Opytne registriert. Dort wurden Waffen eingesetzt, die durch die Minsker Vereinbarungen verboten sind. Der Feind setzte dort 120-mm-Mörser und Panzerabwehr-Granatwerfer ein. Darüber hinaus feuerten die Besatzer mit Granatwerfern verschiedener Systeme, großkalibrigen Maschinengewehren und Kleinwaffen auf die ukrainischen Verteidiger in der Nähe von Marjinka und Kamjanka.


Was passiert eigentlich in Minsk?

Das letzte Treffen im Normandie-Format (Ukraine, Deutschland, Frankreich und Russland) fand Anfang Juli statt. Ihm wurde viel Aufmerksamkeit gewidmet, obwohl es ein gewöhnliches Treffen politischer Berater war. Es gab kein gemeinsames Kommuniqué und auch keinen Durchbruch. Die Teilnehmer suchten elf Stunden lang nach einem Kompromiss für die Umsetzung des Pariser Dokuments vom Dezember 2019, das eine Reihe dringender Maßnahmen definiert, insbesondere Fragen der Sicherheit und humanitären Hilfe. Ohne sie kann nicht zur Diskussion über eine politische Lösung übergegangen werden. Maria Solkina, Expertin der Ilko-Kutscheriw-Stiftung “Demokratische Initiativen” ist den neuen Entwicklungen in den Normandie-Gesprächen nachgegangen:

Rückkehr zur klassischen “Normandie-Formel”. Einer der wichtigen und positiven Trends der letzten Monate ist die Wiederaufnahme der Aktivitäten im Normandie-Format. Obwohl ein neues Treffen der Staats- und Regierungschefs in diesem Format unrealistisch ist, solange es keine prinzipielle Einigung über eine Regelung gibt, versucht Kiew, den Prozess am Laufen zu halten.

In den ersten Monaten des Jahres 2020 fanden Gespräche unter der Ägide des informellen Kanals zwischen dem Chef des ukrainischen Präsidenten-Büros, Andrij Jermak, und dem russischen Ukraine-Beauftragten Dmitrij Kosak statt. Doch seit April gibt es allmählich eine Rückkehr zur klassischen Formel der Normandie-Gespräche zwischen Kiew, Berlin und Paris einerseits und Russland mit seinen “Interpretationen” der Minsker Vereinbarungen auf der anderen Seite.

Neue Taktik von Kiew. Generell verdient die Verhandlungstaktik Kiews, nachdem die Idee eines Konsultativ-Rates gescheitert ist, Aufmerksamkeit. Parallel zur Intensivierung des “Normandie-Kanals” wurden in Minsk auch die taktischen Schritte angepasst. Es geht insbesondere um die Beteiligung ukrainischer Binnenflüchtlinge an einer politischen Untergruppe. Dies wird der Ukraine allerdings nicht ermöglichen, die Umsetzung des Minsker Abkommens bezüglich Konsultationen mit Vertretern der von Kiew nicht kontrollierten Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk in der Praxis “für sich zu verbuchen”, stärkt aber die diplomatische Position Kiews.

Rückkehr zur Idee von “Sicherheit zuerst”. Seit April findet allmählich eine Rückkehr zum Ansatz “Sicherheit zuerst” statt, der zuvor angesichts aktiver Versuche, eine Einigung mit dem Kreml zu erzielen, de facto in den Hintergrund gerückt wurde. In der politischen Untergruppe und allgemein rund um eine politische Regelung hat die Intensität der Verhandlungen hingegen im Vergleich zum Frühjahr abgenommen, als noch die Einrichtung eines Konsultativ-Rates heiß diskutiert wurde.

Darüber hinaus haben die Russen selbst begonnen, neue Forderungen zu stellen, die die Verhandlungen eindeutig noch weiter in eine Sackgasse treiben. Dabei geht es insbesondere um die Idee, ukrainische Binnenflüchtlinge aus dem Gesetz über den sogenannten “Sonderstatus” zu “streichen”. Russland und seine Marionetten wollen ukrainische Binnenflüchtlinge bei der Wiedereingliederung der derzeit von Kiew nicht kontrollierten Gebiete der Regionen Donezk und Luhansk in keiner Weise berücksichtigen, als würden sie nicht existieren und ihre Rückkehr nicht in Betracht gezogen werden müssen.

SMM-OSZE. Eine vollwertige Arbeit der Special Monitoring Mission (SMM) der OSZE ist zu einer noch schwierigeren Aufgabe geworden als noch vor vier oder fünf Monaten. Aufgrund der Corona-Quarantäne wurde die Arbeit der Beobachter in den vorübergehend besetzten Gebiete fast völlig heruntergefahren.

Die Tatsache, dass Russland in der Trilateralen Kontaktgruppe in Minsk und im Normandie-Format auf der Stelle tritt, macht die eher konstruktive und ausgewogene Politik der ukrainischen Seite deutlich. Auch wenn dies nicht zu Fortschritten im Minsker Prozess führt, so legt dies zumindest den Grundstein für eine ernste Veränderung in Kiews Verhalten. Zumindest könnten die Vorschläge überarbeitet werden, um die Minsker Vereinbarungen zu revidieren oder ihre Umsetzung und die Situation de facto einzufrieren.  


MH17: Niederlande wollen Russland vor dem EGMR verklagen

Die Niederlande werden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen der über dem Donbass im Jahr 2014 abgeschossenen malaysischen Passagiermaschine mit der Flugnummer MH17 eine Klage gegen Russland einreichen. Die entsprechende Entscheidung hat die niederländische Regierung getroffen. 

Einer Erklärung zufolge werden die Niederlande dem Gericht alle verfügbaren Informationen über die MH17-Katastrophe zur Verfügung stellen. Mit der zwischenstaatlichen Klage wollen die Niederlande alle 298 MH17-Opfer aus 17 Nationen und deren Angehörigen unterstützen. Oberste Priorität für die Regierung sei, so die Erklärung, Gerechtigkeit für Opfer zu erreichen. “Indem wir den Fall an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte übergeben und die Erklärungen der engsten Angehörigen maximal unterstützen, nähern wir uns diesem Ziel”,  so die niederländische Regierung. Sie stellt außerdem fest, dass die Niederlande Treffen mit Vertretern Russlands bezüglich seiner Verantwortung für die Katastrophe große Bedeutung beimessen. Ziel solcher Treffen sollte sei, eine Wiedergutmachung für das enorme Leid und den Schaden zu finden.


Kolomojskyj verklagt Poroschenko

Gegen den ukrainischen Ex-Präsidenten Petro Poroschenko sind vier Strafverfahren im Zusammenhang mit der Verstaatlichung der PrivatBank im Jahr 2016 eingeleitet worden. Dies teilte am 10. Juli sein Anwalt Ihor Holowan mit. Ihm zufolge wurden die Verfahren von der Generalstaatsanwaltschaft aufgrund von Aussagen des Oligarchen Ihor Kolomojskyj eröffnet. “Kolomojskyj hat das Übliche gesagt und seine Aussagen beziehen sich natürlich auf die PrivatBank”, sagte der Anwalt und fügte hinzu, dies zeige, “wer mit der Generalstaatsanwaltschaft und der jetzigen Staatsführung bei der Organisation politisch motivierter Verfahren zusammenarbeitet”.

Und Poroschenkos Anwalt Ilja Nowikow sagte in diesem Zusammenhang: “Dies ist das erste Mal, dass Ihor Kolomojskyj persönlich die Arena betritt. Das ist eine neue Phase der Entwicklung all dieser Fälle. Dies fügt sich perfekt in alle Ereignisse ein, die mit dem Rücktritt des Chefs der Nationalbank zu tun haben. Dies fügt sich auch perfekt in alle Klagen ein, die eine Rückgabe der PrivatBank an Kolomojskyj und sein Umfeld verfolgen.”


Wie die Ukraine gegen COVID-19 kämpft

Mit dem Stand vom 13. Juli gibt es in der Ukraine 54.133 bestätigte Coronavirus-Fälle. Davon sind bisher 1398 Menschen an COVID-19 gestorben. Derzeit gibt es in der Ukraine über 26.000 aktiv Erkrankungen, zugleich sind inzwischen über 26.000 COVID-19-Patienten genesen. 

In den letzten 24 Stunden wurden 612 neue Coronavirus-Fälle festgestellt, darunter bei 52 Kindern und 68 Medizinern. 110 Menschen wurden ins Krankenhaus gebracht. 15 Menschen sind an COVID-19 gestorben. 385 Patienten wurden als genesen gemeldet.