Am 26. Januar hat in Paris nach langer Pause und vor dem Hintergrund der Gefahr eines russischen Einmarsches in die Ukraine ein Treffen im Normandie-Format auf Berater-Ebene stattgefunden. Nach dem Treffen sagte Andrij Jermak, Leiter des ukrainischen Präsidialamtes, die Gespräche könnten als “Wiederbelebung des Normandie-Formats” betrachtet werden. Unterdessen fürchtet die ukrainische Öffentlichkeit, Kyjiw könnte angesichts der russischen Aggression von den Partnern im Normandie-Format zu Zugeständnissen gedrängt werden. Was ist über die Gespräche bekannt?
Das Treffen dauerte länger als geplant. Die Berater der Staats- und Regierungschefs der vier Staaten – Andrij Jermak (Ukraine), Dmitrij Kosak (Russland), Emmanuel Bonne (Frankreich) und Jens Plötner (Deutschland) – verbrachten mehr als acht Stunden hinter verschlossenen Türen. Die Gespräche brachten jedoch keine greifbaren Ergebnisse, die nach den Gesprächen öffentlich gemacht worden wären.
Erklärungen von Andrij Jermak. Ihm zufolge sind die wichtigsten Errungenschaften des Treffens ein vereinbartes Kommuniqué sowie die Vereinbarung, sich in zwei Wochen in Berlin wieder zu treffen. Die Seiten hätten sich geeinigt, den Waffenstillstand im Donbass strikt einzuhalten.
“Die Seiten haben offen erklärt, dass es viele Differenzen zwischen der Ukraine und Russland in Bezug auf die Minsker Vereinbarungen gibt, aber es besteht der Wunsch, an diesen Differenzen zu arbeiten. Das nächste Treffen findet bald, ich denke in zwei Wochen, in Berlin statt. Wir haben vereinbart, diesen Dialog fortzusetzen”, sagte Jermak.
Zugleich nannte er keine Details. Er findet, dass der Waffenstillstand im Allgemeinen immer noch halte, wenn auch mit einigen Verletzungen. Vor dem Hintergrund der angespannten Lage an den Grenzen der Ukraine und Russlands sei die Unterstützung für den Waffenstillstand wichtig, so der Leiter des ukrainischen Präsidialamtes. Jermak fügte hinzu, das heutige Kommuniqué sei das erste, dass seit Dezember 2019 vereinbart worden sei.
Erklärungen von Dmitrij Kosak. Der stellvertretende Leiter der russischen Präsidialverwaltung bezeichnete das Treffen als “schwierig” und sagte, sein Hauptziel sei “eine Bestandsaufnahme verschiedener Lesarten der Minsker Vereinbarungen”. Er fügte hinzu, dass die Seiten vereinbart hätten, interne Konsultationen abzuhalten und sich dann erneut in Berlin zu treffen. Auch Kosak bestätigte die Vereinbarung über einen Waffenstillstand.
“Es wurde vereinbart, dass der Waffenstillstand trotz der unterschiedlichen Lesarten der Minsker Vereinbarungen bedingungslos umgesetzt werden soll”, sagte Kosak. Aber er schob die gesamte Verantwortung für die Einhaltung des Waffenstillstands auf die Ukraine und die selbsternannten “Volksrepubliken” im Osten der Ukraine. Er brachte erneut die Position Moskaus zum Ausdruck, wonach Russland im Donbass keine Konfliktpartei sei.
Unterdessen hat das Hauptquartier der ukrainischen Vereinten Kräfte schon am 27. Januar einen Verstoß gegen die Minsker Vereinbarungen registriert. “In der Region Luhansk, in unmittelbarer Nähe der Verteidigungslinie an der Front bei einer der mechanisierten Brigaden der Streitkräfte der Ukraine, wurde der Eindringungsversuch eines Sabotage- und Aufklärungstrupp des Feindes entdeckt. Dank der Wachsamkeit und Entschlossenheit der Soldaten der Streitkräfte der Ukraine gab der Feind seine Absichten auf und zog sich wieder in das vorübergehend besetzte Gebiet zurück”, heißt es seitens der ukrainischen Armee.
Wie wird das Normandie-Treffen in der Ukraine betrachtet? Es gibt mehrere Gründe, warum dieses Treffen in der Ukraine, auch wenn nicht mit nennenswerten Ergebnissen gerechnet wurde, dennoch sehr genau beobachtet wurde.
Erstens veröffentlichte die westliche Presse am Vorabend des Treffens Informationen unter Berufung auf Quellen, wonach die ukrainische Seite gezwungen werden könnte, direkte Gespräche mit den Anführern der selbsternannten “Volksrepubliken” im Donbass zu führen. Diese unbestätigten Informationen lösten in der Ukraine Empörung aus. Kyjiws Position besteht seit Jahren darin, keine direkten Gespräche mit den selbsternannten “Volksrepubliken” zu führen, da die Ukraine sie sonst legitimieren würde.
Auf der anderen Seite bestehen Russland, das sich nicht als Konfliktpartei im Donbass betrachtet, und die selbsternannten “Volksrepubliken Donezk und Luhansk” ständig auf direkten Gesprächen mit Kyjiw. Vor seiner Abreise nach Paris musste Andrij Jermak die Informationen westlicher Medien kommentieren und dementieren. Gegenüber RBC-Ukraine sagte er, dass “es keine direkten Gespräche mit den Separatisten gegeben hat und auch nicht geben wird”. Er betonte, dass es keine spezielle Tagesordnung für das Berater-Treffen im Normandie-Format gebe. Die ukrainische Seite beabsichtige, die Wiederherstellung des Waffenstillstands, humanitäre Fragen, die Öffnung von Kontrollpunkten sowie die zukünftige Arbeit im Normandie-Format zu erörtern.
Zweitens waren ukrainische Experten sehr beunruhigt darüber, dass Russland, damit dieses Treffen überhaupt stattfinden konnte, verlangt hatte, dass die Ukraine einen Gesetzentwurf über eine Übergangszeit für die vorübergehend besetzten Gebiete aus dem Parlament zurückzieht, was das ukrainische Kabinett auch sofort getan hatte. Das Präsidialamt versuchte, dies zu bestreiten, was aber wenig überzeugend war. “Der Grund für diese Forderung der Russischen Föderation ist sehr einfach: Der Gesetzentwurf besagt eindeutig, dass eine De-Okkupation der nicht kontrollierten Gebiete stattfinden müsse und alle Besatzungsbehörden automatisch aufgelöst werden müssten. Dies negiert zusätzlich die Möglichkeit eines ‘direkten Dialogs’ oder einer Koexistenz zwischen den ukrainischen und selbsternannten Behörden. Und für Moskau ist dies von entscheidender Bedeutung”, schreibt die Expertin Maria Solkina in einem Artikel für die ukrainische Zeitung “Jewropejska Prawda” (Europäische Wahrheit).
Zudem profitiert Russland laut Solkina von leeren Verhandlungen. In der Konfrontation mit Washington werde Moskau sie als Akt des guten Willens darstellen. “Man kann sicher sein, dass Russland das Pariser Berater-Treffen, die formelle und unverbindliche Unterstützung für den ‘Waffenstillstand’ und die Vereinbarung über ein neues Treffen in Berlin dem Westen als Deeskalation ‘verkaufen’ wird, als würde Russland von seiner Seite zu Konstruktivem übergehen. Es ist wohl ein kluger Zug: Ein leeres ‘Berater-Treffen’ abzuhalten und der Ukraine sogar noch Zugeständnisse dafür abzuringen, dass es überhaupt organisiert wurde. Das ist für Russland strategisch günstiger, als Zugeständnisse bei seinen Forderungen an die USA und die NATO zu machen, umso mehr, seine Truppen von der Westgrenze zurückzuziehen. In Wirklichkeit hat Moskau nichts gemacht, aber die Möglichkeit erhalten, seine ‘guten Absichten’ in den Gesprächen mit Washington geltend zu machen”, meint Solkina.