Wie die Ukrainer den Ausdruck von Gewalt bewerten – Untersuchung

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Eine kanadische NGO führte mit Hilfe der britischen Botschaft in der Ukraine eine Untersuchung durch, bei der die Beziehung zu unterschiedlichen Gewaltausdrücken in der Gesellschaft erforscht wurden. Die Untersuchung fokussierte sich erstmals auch auf die Verhältnisse von Soldaten und Zivilisten, sowie auf die Beziehung zu Veteranen, die in ein ziviles Leben zurückkehren.

Soldaten und Zivilisten bewerten Gewalt gleich negativ und versuchen, Konflikte auf friedlichem Weg zu lösen. 76 Prozent meinen, dass die Erfahrung von Kampfhandlungen keine Rechtfertigung für häusliche Gewalt sein darf. Das zeigen die Ergebnisse der sozial-psychologischen Untersuchung im Rahmen des Projekts “Konfliktalternativen und Gewalt”, wie die Pressesprecherin von “Stabilization Support Service” in der Ukraine, Agata Gajko, sagte.

Die Untersuchung wurde im Rahmen des Programms “Überwindung von sozialen Folgen des Konflikts im Donbass und der illegalen Annexion der Krim mit Hilfe von staatlichen Strukturen in der Ukraine und der Zivilgesellschaft” durchgeführt, die von der kanadischen NGO “Stabilization Support Service” mit Unterstützung der britischen Botschaft geleitet wurde.

“Ziel dieser Untersuchung war, auf die reale Situation aufmerksam zu machen, sowie um die Systeme der öffentlichen Normen, Regeln und Vorurteile in Bezug auf die Entwicklung des Konflikts in der ukrainischen Gesellschaft und die Freund-Feind-Beziehung bei Soldaten und Zivilisten aufzuzeigen”, berichtete die Projektleiterin Halyna Tsyganenko.

Die Untersuchung wurde insbesondere unter Zivilisten und Soldaten in der Zentral-West- und Süd-Ostukraine, sowie in der Zone der Anti-Terror-Operation (ATO) durchgeführt. Insgesamt wurden 1270 Repräsentanten aus sechs Fokusgruppen befragt.

Soldaten im friedlichen Leben

Die Untersuchung widerlegt die weit verbreitete Meinung, dass im Konfliktfall zwischen Zivilisten und Soldaten letztere aggressiver wären.

“Sowohl Soldaten, als auch Zivilisten sehen eine gewaltfreie Lösung des Konflikts als besser. Aber es beunruhigt, dass diese friedliche Strategie auch eine Konfliktvermeidung beinhaltet. Das bedeutet ein Fehlen von Dialogen und Ansatzpunkten zum Verständnis”, erklärte Olga Kucharka, Psychologin und Mitglied der Projektforschungsgruppe.

Die Untersuchung zeigte auch eine Stigmatisierung der Teilnehmer von Kampfhandlungen. 71 Prozent der Zivilisten meinen, dass sie unter einer unvermeidlichen Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) leiden und dieses Problem nicht selbst lösen können. Unter den Soldaten sind 53 Prozent dieser Meinung.

Kateryna Borosdina, Mitglied der Projektarbeitsgruppe und Vertreterin der Gesellschaftsorganisation “La Strada Ukraina”, merkte an, dass bei der Hotline von “La Strada Ukraina” während eines Jahres über 300 Anrufe zu PTBS von demobilisierten Soldaten eingingen und zirka 200 Anrufe zu häuslicher Gewalt in solchen Familien, wo ein Familienmitglied in der ATO-Zone kämpfte. Die demobilisierten Soldaten klagen auch über Fälle von negativen Einstellungen außerhalb der Familie.

Häusliche und genderbedingte Gewalt

Insgesamt ist die Einstellung zu Gewalt widersprüchlich. 85 Prozent der Befragten sehen Gewalt in jeder Form als unannehmbar, wobei 32 Prozent der Befragten psychologische Gewalt (Missachtung, Druck, Flüche) als zulässige Methode ansehen. In der ATO-Zone ist dieses Ergebnis höher: 38 Prozent.

Der problematischste Bereich ist häusliche und genderbedingte Gewalt. Gerade hier zeigen sich in der Meinung der Repräsentanten die am stärksten verbreiteten Vorurteile. Jeder Vierte glaubt, dass es in Familienkonflikten besser ist, wenn sich keine Unbefugten einmischen, selbst wenn es um Gewalt geht. 29 Prozent der männlichen Soldaten und 27 Prozent der Zivilisten stimmten der Auffassung zu, dass wenn in einer Familie ein Mann Sex haben will, sich die Frau dem fügen müsse, weil “es ihre Pflicht sei”. Dabei ist interessant, dass 90 Prozent der befragten Zivilisten in der ATO-Zone dieser Auffassung nicht zustimmten, berichtete Kateryna Borosdina.

15 Prozent der Soldaten und 10 Prozent der Zivilisten meinen, dass Frauen, die vergewaltigt werden, gewöhnlich selbst schuld daran wären. 14 Prozent meinen, Frauen sollten sich nicht über die Gewalt beschweren. 28 Prozent meinen, dass wenn ein Mann verprügelt wird, er selbst daran schuld wäre, weil er sich nicht schützen konnte. Und 45 Prozent meinen, dass Menschen, die Opfer sexueller Gewalt wurden, schweigen sollten.

Gesetzgebung und Training zum Forschungsergebnis

Nach Meinung der Untersuchungsautoren werden die Ergebnisse Psychologen, Sozialarbeitern, Journalisten, Juristen und dem Gesetzgeber dabei helfen, ein konstruktives System zur Konflikt- und Gewaltprävention zu entwerfen.

“Wir werden Schulungsprogramme für die Rechtsschutzorgane und Staatsangestellten entwickeln”, sagte Dmytro Rewa, Mitglied der Projektarbeitsgruppe und Leiter der Gesellschaftsorganisation “Gesamtukrainisches Zentrum zur Hilfe von Opfern der Terrorhandlungen in der Ostukraine “Forpost”.

Die Teilnehmer der Pressekonferenz merkten auch an, dass die Untersuchungsergebnisse an den entsprechenden Ausschuss der Werchowna Rada übergeben werden, der derzeit an dem Gesetzentwurf “Über die Prävention und Gegenwirkung von häuslicher Gewalt” arbeitet. Der Gesetzentwurf gilt als progressiv und schlägt effektive Instrumente vor. Das Parlament übernahm das Dokument am 7. November 2016 in der ersten Lesung, nachdem es eine heiße Debatte unter den Abgeordneten gab, die insbesondere durch die Worte “Gender” und “sexuelle Orientierung” im Gesetzentwurf hervorgerufen wurde.