Kiew, 21. November 2014 – Der Maidan 2004 und 2014 kann mit einer altrussischen Volksversammlung (Wetsche) während außerordentlichen Situationen verglichen werden. Diese Meinung vertraten ukrainische Historiker bei der Pressekonferenz, das im Rahmen eines Sonderprojekts vom Ukrainischen Crisis Media Center zum 1. Jahrestag des Euromaidan organisiert wurde. Der Euromaidan stellt eine Facette der ukrainischen Geschichte dar. Sowohl 2004, während der Orangenen Revolution, als auch 2013, als der Euromaidan begann, erhofften sich die Menschen massive, neue Veränderungen. Es ist eine Sache, Demokratie einen Monat lang zu praktizieren, aber es ist eine weitaus schwierigere Angelegenheit, Demokratie über Jahre zu leben,“ erklärte der Historiker, Ethnosoziologe, Publizist und Leiter des Projekts „LIKBEZ. HISTORISCHE FRONT“, Kyrill Galuschko.
Nach den Worten von Galuschko entstand während des Euromaidan eine soziale Bewegung, die noch heute nachwirkt. „Aber die Ziele, die sie hervorbrachte, verschoben sich aus Kiew in den Donbass. Die drei Monate im Vorjahr wühlte jene Unsicherheit auf, die früher für die Ukrainer charakteristisch war. Wenn man die Ereignisse des Maidan 2004 mit dem Euromaidan vergleicht, kann man sagen, dass die Orangene Revolution zwar eine Massenerscheinung war, die aber nicht über ein sozialgesellschaftliches Phänomen hinauswuchs. Es gab kein Gefühl der Krise oder Gefahr. Jener Maidan war kein gesellschaftlicher Schock, da es keine Opfer gab,“ erklärte der ukrainische Historiker.
Wladimir Wjatrowitsch, Historiker und Direktor des Ukrainischen Instituts für Nationalgedenken, machte darauf aufmerksam, dass es außer der Orangenen Revolution und der Revolution der Würde einen dritten Maidan gab, der Anfang der 1990er Jahre stattfand. Er brachte die These auf, dass „wir heute über drei Maidans sprechen, aber waren sie wirklich Revolutionen?“. „Mir scheint, dass wir keines dieser Ereignisse als abgeschlossene Revolution bezeichnen können. Leider führte die Revolution von 1990 nicht zu Veränderungen im Gesellschaftssystem. 2004 protestierten die Ukrainer wieder, aber schafften es nicht, ihren Sieg zu nutzen. Ob eine Revolution im gesellschaftspolitischen Sinn stattfindet, hängt von uns allen ab. Können wir die Energie des bereits dritten Massenprotests in systempolitische Reformen umwandeln, die es uns erlauben, dass sie das Land in ein neues ändern? Der Euromaidan in der Ukraine wird sich dann in eine echte Revolution verwandeln, wenn die Staatsführung Reformen umsetzt,“ merkte Wjatrowitsch an.
Der Historiker und Publizist Andrej Plachonin teilte die Meinung seiner Kollegen, allerdings mit einer Ergänzung. Er meint, dass es nicht drei Revolutionen gibt, sondern eine, die noch nicht abgeschlossen ist. Deshalb „kommen die Ukrainer auch immer wieder zusammen, um diese Revolution zu beenden. Sie versammeln sich und bringen die Sache jedes Mal ein bisschen weiter: Die Barrikaden werden ein wenig höher, die Gespräche über Reformen etwas stärker, und leider steigt auch die Opferzahl“. „Der Euromaidan ist auch deshalb etwas besonderes, weil er vor dem Hintergrund von Interventionen ablief. Und die Rede ist nicht nur von den militärischen Ereignissen, sondern über den ideologischen Krieg gegen unser Land. Zuerst wurden die Gehirne der Menschen besetzt, und dann die Städte, wo diese Menschen leben,“ ergänzte Andrej Plachonin.