Kiew, 16. September 2015 – „Am wirtschaftlichen und politischen Horizont Russlands zogen viele dunkle Wolken auf. Praktisch alle Analysten meinen, dass die Preise für Erdöl und Gas weiter fallen werden. Dies hängt mit der Aufhebung von Sanktionen für den Iran zusammen, sowie der Dauerkrise in China und der vor kurzem erschlossenen neuen Erdöl- und Gasvorkommen bei Ägypten“, erklärte Galia Ackerman, Wissenschaftlerin, Journalistin und Historikerin, sowie ausführende Direktorin des internatonalen Verbands „Europäisches Forum für die Ukraine“, während einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center.
Außer dem Preisrückgang bei Öl und Gas, deren Verkauf die Haupteinnahmequelle des russischen Staatshaushalts ist, wies die Expertin auf weitere Faktoren hin, welche die wirtschaftliche und politische Situation in Russland negativ beeinflussen. Zum einen wird Ende Oktober der abschließende Untersuchungsbericht zum Absturz der Boeing MH17 veröffentlicht. Nach vorläufigen Informationen werden darin die sogenannten Separatisten von Donezk und deren Hintermänner im Kreml direkt beschuldigt. Ein weiterer Fall ist die Yukos-Geschichte, bei dem das Gericht in Den Haag den Aktionären 50 Mrd. USD als Entschädigung zusprach. Russland hat nicht vor, diese Entschädigungen zu zahlen und verletzt damit alle internationalen Normen. Dies führte bereits dazu, dass einige Aktiva der Russischen Föderation beschlagnahmt wurden. Die Yukos-Aktionäre wandten sich an deutsche Gerichte, um Aktiva der Russischen Föderation in Höhe von 42 Mrd. USD, die sich in Deutschland befinden, zu beschlagnahmen. Drittens machen sich die Sanktionen bereits deutlich bemerkbar. Dadurch entstand in Russland ein Budgetdefizit und die Unmöglichkeit, Geld aus dem Ausland aufzunehmen. Die Direktinvestitionen halbierten sich im vergangenen Jahr und die Bankeinnahmen gingen im letzten halben Jahr um das 8-fache zurück. „Kurz gesagt, die wirtschaftliche Lage ist so, dass es für Putin immer schwieriger wird, die stille Vereinbarung zu erfüllen, die er mit der russischen Bevölkerung seit Beginn seiner Regierungszeit getroffen hatte: „Wir regieren, und Ihr werdet besser leben“. Ein besseres Leben ergibt sich nicht und wenn die Mehrheit der Russen das nicht mehr mitspielt, wird sich die Herrschaftselite wahrscheinlich bemühen, sollte es zu keinem Umsturz kommen, die russische Außenpolitik zu ändern, und vielleicht auch die Innenpolitik.“
Galia Ackerman betonte, dass gerade die Ereignisse in Griechenland ein wesentliches Merkmal für eine solche Änderung sind. Nach ihrer Aussage versuchte Russland seit Anfang 2014 Unordnung in die Europäische Union zu bringen und benutzte dafür Griechenland. „In der deutschen Presse, unter anderem in der Bild-Zeitung, wurden Nachrichten veröffentlicht, laut denen sich Yanis Varoufakis, der ehemalige griechische Wirtschaftsminister unter der Regierung von Alexis Tsipras, noch vor dem Wahlerfolg von „SYRIZA“, in engem Kontakt mit dem Institut für Strategieforschung befand, das unter der Schirmherrschaft von Präsident Putin steht. Im Grunde genommen bedeutet dies, dass gerade in diesem Institut die Strategie für den Machtantritt von „SYRIZA“ entwickelt wurde, damit Griechenland aus der Europäischen Union austritt. Sowohl Varoufakis, als auch Tsipras waren mehrfach in Russland zu Besuch und trafen sich mit Putin persönlich. Laut Informationen in der deutschen Presse, hatten Varoufakis und mehrere andere Personen von „SYRIZA“ einen Putsch vorbereitet. So sollen sie geplant haben, den Zentralbankchef von Griechenland zu verhaften, sowie die noch bestehenden Euro-Vorräte zu beschlagnahmen und damit zu beginnen, Drachmen zu drucken und alle Verpflichtungen Griechenlands gegenüber der Europäischen Union abzulehnen. Gerade aus diesem Grund organisierte die griechische Regierung auch das Referendum. Nachdem die Ergebnisse des Referendums bekannt gegeben wurden, reichte Varoufakis seinen Rücktritt ein und Tsipras stimmte allen Bedingungen der Europäischen Union zu. „Es gibt mehrere Versionen, wie es zu dieser Kehrtwende kam. Es ist nicht bekannt, ob Putin Tsipras 10 Mrd. USD versprach oder ob es jemand seiner Berater war, aber Tsipras bekam dieses Geld nicht. Warum? In der Zeit zwischen den Vorbereitungen zu dem Referendum und dem Referendum selbst gab es mehrere Ereignisse: der Ölpreis fiel, die russische Wirtschaft brach ein, die Gerichtsentscheidung im Fall Yukos, die Untersuchung von MH17 und der Effekt der Sanktionen. Aber das wesentlichste – die Wirtschaftskrise in China, die Abwertung des Yuan und der starke Rückgang des Warenumsatzes zwischen Russland und China. Ich denke, dass russische Ökonomen nachrechneten, was bei einer griechischen Katastrophe passiert und dass dieses Beben nicht nur die Europäische Union betrifft, sondern auch die russische Elite, die enorme Investitionen und Immobilien in EU-Staaten hat. Wahrscheinlich gab Putin deshalb Griechenland auf, wonach dem Land nichts anderes übrig blieb, als demütig in die Europäische Union zurückzukehren.“
Galia Ackerman erinnerte daran, dass während des „Referendums“ auf der Krim einige Vertreter von extremen rechten und linken Parteien als Beobachter anwesend waren. Und in diesem Sommer war plötzlich eine Delegation französischer Abgeordneter auf der Krim, die Mitglieder der Partei von Nicolas Sarkozy sind. Parallel dazu fing Nicolas Sarkozy damit an, Russland aktiv zu unterstützen, und seine rechte Hand, Nadine Morano, gründete eine Unterstützungsgruppe für Russland im Europaparlament. Durch den Einbruch der russischen Wirtschaft war Russland offenbar gezwungen, den Kurs zu ändern: gerade ist nicht mehr Chaos in der Europäischen Union das Hauptziel, sondern die Aufhebung der Sanktionen und die Wiederaufnahme der Geschäftsbeziehungen.
Die ausführende Direktorin des internationalen Verbands „Europäisches Forum für die Ukraine“ wies ebenfalls auf das unerwartete Erscheinen von Dmitrij Medwedew im Informationsraum hin. „Die Unterbrechung der Kampfhandlungen im Donbass, das Erscheinen von Dmitrij Medwedew, der Europa als völlig akzeptable liberale Alternative zu Putin erschien, und die bedeutende Reduzierung der Hilfen für europäische ultra-rechte und ultra-linke Parteien, weist auf eine Änderung der russischen Außenpolitik hin.“