Der Versuch, die Reform des Staatsdiensts in der Ukraine zu revidieren, schadet den Interessen der Gesellschaft – Experten

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Kiew, 22. September 2015 – Die Idee, die Prinzipien der Reform für den Staatsdienst in der Ukraine zu revidieren, ist falsch und schadet den Interessen der Gesellschaft: die Verzögerung des Beginns bedroht die Reformierung des Landes insgesamt. Diesen Standpunkt äußerten Vertreter aus der Expertengemeinschaft und der Zivilgesellschaft während einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center im Rahmen des Projekts „Ukrainisches Media Center der Reformen“.

Diese Erklärung entstand als Antwort auf einen Kommentar des ukrainischen Präsidenten, Petro Poroschenko, zur Unzweckmäßigkeit der Reform für den Staatsdienst in dem Format, wie es im Gesetzentwurf „Über den Staatsdienst“ (Nr. 2490, weiter Gesetzentwurf) vorgesehen ist, den er bei der letzten Sitzung des Nationalen Reformrats (NRR) am 18. September 2015 abgab. Das Parlament stimmte Ende April 2015 in der ersten Lesung über den Gesetzentwurf ab. Derzeit läuft der Prozess, den Entwurf für die zweite Lesung vorzubereiten. Während der gleichen NRR-Sitzung schlug der Vorsitzende der Werchowna Rada, Wladimir Grojsman, vor, diesen Gesetzentwurf zurückzulegen und die Vorbereitung eines neuen Gesetzentwurfs beim nächsten Schlichtungsrat der Parlamentsfraktionen zu besprechen.

Diese Herangehensweise stieß unter der Expertengemeinschaft, die während der Reformerarbeitung eingesetzt wurde, auf Empörung, da sie den bestehenden Gesetzentwurf als Kompromiss betrachten, der die Interessen ausnahmslos aller Prozessbeteiligten berücksichtigt. „Der Gesetzentwurf enthält alle Novellen, die zur Umsetzung der Reform im Staatsdienst notwendig sind. Darüber wird auch in der Erklärung der Europakommission gesprochen. Wir sind davon überzeugt, dass alle Ideen, neue Arbeitsgruppen zur Vorbereitung eines neuen Gesetzentwurfs zu gründen, zum gleichen Ergebnis führen werden, aber erst in 6-12 Monaten. Wir versuchen bereits seit über einem Jahr, einen Kompromiss zu finden“, sagte Denis Brodskij, Experte des Reanimierungspakets für Reformen und ehemaliger Vorsitzender der ukrainischen Nationalagentur zu Fragen des Staatsdienstes.

Die Teilnehmer der Pressekonferenz merkten an, dass sie den wahren Beweggrund für den Versuch, auf die Reform einzuwirken, darin sehen, dass es um einen Machtkampf geht. Unter anderem wies Igor Koliuschko, Vorsitzender des Zentrums für rechtspolitische Reformen, auf Unterschiede bei der Herangehensweise zur Wahl der lokalen Staatsverwaltungschefs hin, wie sie im Gesetzentwurf definiert wurde, und auf die Reform zur Dezentralisierung, die vom Präsidenten eingeleitet wurde. „Es war vereinbart, dass die Reform des Staatsdiensts der erste Schritt ist. Es wurde über einzelne Bestimmungen diskutiert, aber insgesamt gab es die Übereinstimmung, sie zu übernehmen. Und heute gibt es plötzlich die Erklärung aus dem Mund des Präsidenten, dass man alles wieder von vorn anfangen soll. Vielleicht ist dies ein bedauerliches Missverständnis. Aber wenn nicht, bedeutet das, dass auf höchstem staatlichen Niveau die Entscheidung getroffen wurde, von der institutionellen Demokratiereform, die mit der Dezentralisierung und der Transparenz bei staatlichen Behörden verbunden ist, Abstand zu nehmen. Und faktisch bedeutet dies einen Kurs auf eine Machtkonzentration. Deshalb müssen wir die Folgen dieser Politik erklären“, sagte Igor Koliuschko.

Viktor Timoschtschuk, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende des Zentrums für rechtspolitische Reformen, nannte einige Aspekte des Gesetzentwurfs, die Stein des Anstoßes sind und jetzt die Reform behindern. Unter anderem geht es um die Ausschreibung für höchste Regierungsposten, die Lokalverwaltungen, die Einführung von Staatssekretären und das Verbot, während des Staatsdiensts Mitglied in einer politischen Partei zu sein. „Sogar in diesen grundsätzlichen Fragen sind annehmbare Lösungen möglich, aber man muss sie trotzdem beschließen. Und es wäre dabei zu wünschen, eine klarere Position des Präsidenten und Ministerpräsidenten zu hören. […] Das letzte ist überhaupt seltsam, weil er in den vergangenen eineinhalb Jahren nie über diesen Regierungsgesetzentwurf sprach und dass dieses Gesetz wichtig sei“, merkte Viktor Timoschtschuk an.

Wladimir Kuprij, Vertreter des Forums für die Zivilgesellschaft der Östlichen Partnerschaft, erinnerte daran, dass die Annahme des entsprechenden Gesetzentwurfs eine Verpflichtung der Fraktionen ist, die sie durch ihre Unterschrift unter dem Koalitionsvertrag übernahmen. Und sie hätten sie bereits im vergangenen Jahr erfüllen müssen. „Es ist nicht die einzige Reform, in deren Verlauf seitens der Regierungsstrukturen und der Expertengemeinschaft ein Kompromiss erreicht wurde. Deshalb sehen solche Aussagen über eine Revision seltsam aus. Wenn die Regierung und Staatsführung, Verpflichtungen übernehmen, müssen sie erfüllt werden. Andernfalls geht das Vertrauen, sowohl seitens der Gesellschaft, als auch seitens der Europäischen Gemeinschaft, verloren. Man kann alles bis ins Unendliche verbessern“, sagte Wladimir Kuprij.

Seinerseits merkte der Parlamentsabgeordnete Alexej Rjabtschyn an, dass die Abgeordneten für die Beschließung des Gesetzentwurfs die politische Verantwortung tragen müssen. Und wenn es Unterschiede bei den Ansichten gibt, müssen sie im Sitzungssaal und nicht im Ministerkabinett oder in der Präsidialverwaltung gelöst werden. „Mir bereitet die Tatsache Sorge, dass diese wichtigen Korrekturen am Gesetzentwurf, über die wir uns während der Sitzung des entsprechenden Parlamentskomitees einigten, nach einem Hinweis von verschiedenen Einflusszentren gescheitert sind. Und wir werden vor die Tatsache gestellt, dieses Gesetz in dieser unannehmbaren Form zu beschließen. Aber wir werden nicht schweigen. Und wir werden die Namen der Personen nennen, die an diesem Prozess beteiligt waren. Deshalb sehe ich es am effektivsten, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und sich über die Beschließung eines Kompromissgesetzentwurfs zu einigen“, betonte der Abgeordnete.

Den Pasko, Mitglied des NRR und Mitbegründer der Initiative „Professionelle Regierung“, wies noch auf einen weiteren wichtigen Aspekt hin, den die Reform des Staatsdiensts lösen soll, aber der bisher nicht durch den Gesetzentwurf gelöst wird. Es geht dabei um eine angemessene Bezahlung der Staatsangestellten. Dies ist jedoch kein Anlass, auf die Reform zu verzichten. „Dies ist die wichtigste Reform ohne die keine anderen Reformen möglich sind“, fasste Den Pasko zusammen.