Binnenflüchtlinge sind für den Staat keine Last, sondern bergen Potential – Aktivisten

WATCH IN ENGLISH

Kiew, 23. Dezember 2015 – Mit Stand von Anfang Dezember dieses Jahres flohen 1,650 Mio. Menschen aus der ATO-Zone; laut inoffiziellen Daten sind es bis zu 2,5 Mio. Menschen. Diese Zahlen wurden von Anatolij Putinzew, Vorstandsvorsitzender des „Kongress zur Ostukraine“, während einer Pressekonferenz im Ukrainischen Crisis Media Center veröffentlicht.

Nach seinen Angaben kann man alle Handlungen des Staates laut der UN-Konvention, die die Rechte dieser Menschen definiert, in zwei Etappen einteilen. Zum einen geht es um humanitäre Hilfe; das heißt, Aufgabe des Staates ist, die Binnenflüchtlinge mit Nahrung, Kleidung und vorübergehend mit Wohnraum zu versorgen.

„Insgesamt wurde dies erfüllt, obwohl ich das eher als „mehr schlecht als recht“ bezeichnen würde. Und dabei spielte der Staat eine geringere Rolle. Vielmehr halfen Freiwilligenorganisationen den Menschen, sich in der neuen Umgebung einzurichten, sowie lokale Behörden und zivile und internationale Organisationen, die Geld gewähren konnten“, erklärte Anatolij Putinzew.

Als zweite Etappe nannte er die soziale Adaption und Integration von Binnenflüchtlingen in die neuen lokalen Gemeinden.

„Laut Angaben des Internationalen Instituts für Soziologie, das eine Untersuchung durchführte, wollen mindestens 26 Prozent der Binnenflüchtlinge nicht in ihre Gebiete zurückkehren. Das heißt, wenn man von absoluten Zahlen ausgeht, dass faktisch eine halbe bis eine Million Menschen, vielleicht auch mehr, nicht in ihre ursprüngliche Heimat zurückkehren“, teilte der Vorstandsvorsitzende des „Kongresses zur Ostukraine“ mit.

Er merkte an, dass in den sogenannten „Grauzonen“ im Osten die dort verbliebenen Menschen aus verschiedenen Gründen längerfristig nicht normal leben können. Deshalb muss zu einer systematischen Arbeit für diese Gruppe von Menschen übergegangen werden. Diese muss aus der Zusammenarbeit aller Gesellschaftsorganisationen, die sich mit Fragen der Binnenflüchtlinge beschäftigen, und des Staats bestehen. Das sieht der Aktivist als Hauptaufgabe.

„Bisher wurde noch keine klare staatliche Strategie entwickelt, wie mit den Binnenflüchtlingen umgegangen werden soll. Ich würde sogar sagen, dass die derzeitige Strategie folgendes beinhaltet: verdrängen, nicht darüber nachdenken, und noch besser, sie reintegrieren, was heißt, sie dorthin zurückzubringen, wo sie herkamen. Dadurch wird sich das Problem erledigen“, meinte der Vorstandsvorsitzende des „Kongress zur Ostukraine“.

Er merkte auch an, dass man durch ein klares Staatsprogramm ausländische Investitionen und Hilfsmittel usw. gewinnen könnte, denn internationale Organisationen sind bereit, den Binnenflüchtlingen in der Ukraine zu helfen. Allerdings erwarten sie ein Signal seitens des Staates, dass die Binnenflüchtlinge keine Last für den Staat sind, sondern ein enormes Potential darstellen, das der Ukraine helfen wird, sich zu entwickeln, betonte Anatolij Putinzew.

Natalija Omeltschenko, Vorsitzende von „Aktive Bürgerposition“, merkte an, dass die Rechte von Binnenflüchtlingen systematisch verletzt werden. Nach ihren Angaben gibt es sogar im Budgetentwurf für das kommende Jahr keine konkreten Ausgabenposten für diese Gruppe von Menschen, und die Ausgaben, die sich auf sie beziehen, haben sich wesentlich verringert.

„Wir beobachten auch eine direkte und indirekte Diskriminierung und Stigmatisierung in Bezug auf Binnenflüchtlinge“, berichtete Natalija Omeltschenko.

„Es ist vor allem wichtig, die Anstrengungen und Aktionen aller Gesellschaftsorganisationen, die mit Binnenflüchtlingen arbeiten, zu vereinen und zu koordinieren“, meinte der Vorsitzende von „Ukrainischer Schutz“, Alexander Kiseljew.

Swetlana Lukjantschenko, eine Geflohene aus Luhansk und Vorsitzende von „Kraft der Zukunft“, die heute in Dnepropetrowsk lebt, meinte, dass Binnenflüchtlinge nicht auf staatlichem Niveau wahrgenommen werden.

„Millionen Menschen sind nicht zu Hause und warten auf Hilfe. Warum tun Sie das? Manchmal scheint es, dass es ein Genozid ist“, mit diesen drastischen Worten wandte sie sich an die Staatsbeamten.

Dabei führte Swetlana Lukjantschenko das Beispiel auf, dass es für Menschen, die die ATO-Zone verlassen wollen, sehr schwierig ist: „Um die Demarkationslinie zu überqueren, muss man an die Grenze zwischen Leben und Tod gehen. Die Leute gehen buchstäblich zu Grunde, weil man 8-12 Stunden warten muss […]“, erklärte die selbst Geflohene und betonte, dass bis heute an den Checkpoints Korruption existiert, was es den Menschen erschwert, in die friedlichen Gebiete zu fliehen.