Stalins Donbass-Industrialisierung nur ein Mythos

WATCH IN ENGLISH

Noch immer hält sich der sowjetische Mythos, wonach das ostukrainische Industrierevier Donbass erst unter Stalin aufgebaut wurde. Eine Ausstellung in Kiew zeigt nun, wer in Wirklichkeit dort zuerst investierte.

Kiew, 10. März 2016 – Im Ukraine Crisis Media Center ist am Donnerstag (10.3.) die  Ausstellung “Ausländische Investitionen in der Ukraine – Die Entwicklung der östlichen Landesteile Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts” eröffnet worden. Mit der Ausstellung soll vor allem der Mythos zerstört werden, die Sowjetunion habe die Industrie in der ukrainischen Donbass-Region aufgebaut.

Walentyna Lasebnyk, Autorin der Ausstellung, sagte während der Eröffnung, dass sich die heutigen ukrainischen Gebiete Donezk, Luhansk, Saporischschja und Dnipropetrowsk dank Investitionen aus Belgien, Frankreich, England, der Schweiz, den Niederlanden und Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts – in die damalige Provinz Katerynoslaw – entwickelt hätten. Das damals neue Industrierevier Donbass hätten in Wirklichkeit Europäer aufgebaut. Jene ersten, sehr großen Investitionen in die Region hätten zu ihrer rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Ende des 19. Jahrhunderts geführt.

Nachforschungen in der Sowjetzeit verboten

Nadija Kapustina, Direktorin des nach dem ukrainischen Historiker und Etnografen benannten Nationalen Historischen Dmytro Jawornyzkyj-Museums in Dnipropetrowsk, sagte, ihr Museum verfüge heute über eine Sammlung von fast 200 wertvollen Dokumenten, die ausländische Investitionen in die Ukraine nachweisen würden. Sie stammten aus speziellen Archiven, die während der Sowjetzeit nicht zugänglich gewesen seien. Viele Nachweise seien vernichtet worden. Ferner befinde sich viel Archivmaterial im Ausland.

Walentyna Lasebnyk wies ihrerseits darauf hin, dass in der Sowjetunion Nachforschungen zu diesem Thema verboten gewesen seien. Deswegen gebe es  im postsowjetischen Raum so gut wie keine entsprechende Literatur. Die Menschen würden nichts über den ausländischen Beitrag beim Aufbau des Donbass wissen. Die Unkenntnis der eigenen Geschichte sei auch einer der Gründe für die heutigen Ereignisse im Osten der Ukraine. “In der Sowjetunion wurde nur von Stalins Industrialisierung in den 30er Jahren gesprochen. Und sie galt als Beginn der Industrialisierung. Informationen über die Zeit davor wurden verheimlicht”, betonte Lasebnyk. In den 60er Jahren seien einige wenige Berichte über ausländische Investitionen erschienen. Erst nach der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahr 1991 habe man frei zu diesem Thema forschen können, so die Autorin der Ausstellung.

“Wissen muss popularisiert werden”

Leonid Maruschtschak, beim Ukraine Crisis Media Center zuständig für den Bereich Kunst, ist überzeugt: Im Hinblick auf die Ereignisse in der Ukraine, insbesondere auf die Kämpfe im Osten des Landes, aber auch auf die Schwierigkeiten bei der Entkommunisierung ist diese Ausstellung eine sehr gute Wissensquelle. Und das Wissen müsse popularisiert werden. “Oft wird gesagt, im Osten des Landes bestünden Mythen über die sowjetische Industrialisierung. Diese Ausstellung zerstört diesen Mythos”, sagte Maruschtschak. Die Veranstalter wollen ihre Ausstellung in mehreren ukrainischen Städten zeigen.

Mäzen und Sponsor der Ausstellung ist der ukrainische Forscher Dmytro Pirkl. Ihm zufolge ermöglicht die Ausstellung den Besuchern, historische Nachweise mit eigenen Augen zu sehen, und ermuntert Wissenschaftler zu weiteren Nachforschungen. Verloren gegangene  Dokumente sollten in die Ukraine zurückgeholt werden. Das würde Wissenschaftlern ermöglichen, sich gründlicher mit dem Thema zu befassen. Pirkl sagte ferner, geplant sei eine Ausstellung in Brüssel zum “Gesamtbild” westlicher Investitionen in ukrainische Unternehmen.

Belgischer Botschafter begrüßt Ausstellung

Luc Jacobs, Außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter Belgiens in der Ukraine, bezeichnete während der Eröffnung der Ausstellung das Ende des 19. Jahrhunderts und den Anfang des 20. Jahrhunderts als wichtige Seite in der Geschichte der Ukraine und Europas. “Wie sich herausstellt, unterhielten unsere Länder bereits Handelsbeziehungen und es gab schon vor vielen Jahren einen Technologieaustausch. Somit gehört die Ukraine bereits seit jener Zeit zum europäischen Raum”, betonte Jacobs.

Ihm zufolge ist auch die Geschichte der bilateralen Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen der Ukraine und Belgien lang. Belgische Unternehmen seien auf dem ukrainischen Markt sogar schon tätig gewesen, bevor die Ukraine ihre Unabhängigkeit erlangt habe, fügte der Botschafter hinzu.